Über Worte und Menschen

Gespräch mit Alexandru Bulucz, Mitglied des PEN-Boards und Bachmann-Preisträger

Alexandru Bulucz beim Bistritzer Poesiefestival | Fotos: privat

Alexandru Bulucz (mitte, PEN Berlin) mit Radu Vancu (rechts, PEN Romania) und Ștefan Baghiu (links, Revista Transilvania), nahe Hermannstadt/Sibiu

Bei der Internationalen Buchmesse in Frankfurt hatte der PEN Berlin e.V. nicht etwa einen Infostand, sondern eine Begegnungsstätte organisiert, bei der etablierte wie neue Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Publizisten und mit Claudia Roth auch die hohe Politik ins Gespräch miteinander kamen. Business as usual? Nur ein knappes halbes Jahr nach Initiierung ist es alles andere als selbstverständlich, dass diese NGO bereits als Agora für das freie Wort derart gesellschaftlich agiert – getragen von ehrenamtlicher Tätigkeit. Demnächst steht Anfang Dezember der erste Kongress des PEN Berlin an. Über das Anfangsjahr und die anstehende inhaltliche Ausgestaltung führte Ortwin Rainer Bonfert folgendes Ferninterview mit Alexandru Bulucz, Mitglied des Boards vom PEN Berlin e.V. und Gewinner des Deutschlandfunk-Preises beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2022.

Sehr geehrter Herr Bulucz, Sie sind der Leserschaft mit philosophischen Fachaufsätzen, moderner Lyrik, literarischen Essays und einer Biographie bekannt, die „einige Grenzen weiter östlich  – von hier aus betrachtet“ ihre Anfänge hat. Spätestens mit dem Ihnen verliehenen Deutschlandfunk-Preis beim internationalen Bachmannwettbewerb 2022 haben Sie hohe Anerkennung für Ihr Wirken erfahren. Sie haben es eigentlich gar nicht nötig, sich mit einem Ehrenamt hervorzutun. Warum dieses soziale Engagement?

Das liegt in der Natur der Sache. Wenn schon mir – mit einem der wertvollsten Pässe der Welt, nämlich dem deutschen – mulmig ist bei Grenzübertritten oder während bestimmter Aufenthalte, wie in der Türkei, wie muss es erst schreibenden Kolleginnen und Kollegen ergehen, die in Ihrer jeweiligen Heimat mit Publikationsverbot belegt werden, isoliert, unterdrückt … mit Gefängnis und Schlimmerem rechnen müssen, nur weil sie nach bestem Wissen und Gewissen handeln und schreiben? Ihnen gilt das soziale Engagement.

Als man mir signalisierte, dass man mich im Board braucht, habe ich nicht gezögert, ja zu sagen. Die Arbeit ist zäh und aufwändig, aber sie ist es wert. Damit, dass diese Exilantin oder jener Exilant sicheren deutschen Boden unter den Füßen hat, ist es nicht getan. Es folgen Wohnungssuche, Anträge betreffs Aufenthaltsstatus, auf Stipendien oder zur Abschließen z. B. einer Krankenversicherung, Ermöglichung von Sprachhilfe, Unterstützung bei Familiennachzug, Anbieten von psychosozialer Betreuung etc. Man muss sich vorstellen, dass sich Flucht häufig traumatisch auswirkt und ein Schreiben für lange Zeit verunmöglichen kann …

Welche Rolle räumen Sie dabei der Literaturszene in Ihrem Heimatland ein? Sie waren 2022 bei gleich zwei internationalen Lyrikfestivals in Rumänien dabei, haben kürzlich auch Gespräche mit Radu Vancu, dem Vorsitzenden des PEN Romania geführt, der früher eher als Außenstelle der dort omnipräsenten Schriftstellerunion fungierte. Aber ist das nicht wesentlich für die Arbeit im PEN?

Ich empfinde die Literaturszene in Rumänien als genau so lebendig wie hier in Deutschland. Ich weiß von der großen Ukraine-Solidarität, für die Radu und der rumänische PEN bürgen. Das verbindet PEN Berlin und PEN Rumänien neben vielem anderen, das eine künftige Zusammenarbeit begünstigen wird.

Als ich kürzlich in Sibiu war, erzählte mir Radu vom aromunischen PEN, der sich seit diesem Jahr unter dem Dach des internationalen PEN befindet. Das ist toll – und gelungene Sprachpolitik. Das Aromunische hat ja nicht gerade viele Sprecher und muss dementsprechend besonders geschützt werden.

Bedurfte es früher der schützenden Unterstützung deutsch-sprachiger Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die aus dem Ostblock nach Deutschland  ins Exil kamen, so geht es heute eher um Archivierung, Vergangenheitsbewältigung und Austausch zu solch einschlägiger Literatur. Was kann innerhalb des PEN Berlin in deren Sinne getan werden, um sich gezielt jenen – literarisch zusammengefügten – Worten und Menschen zu widmen?

Ich glaube schon, dass es Versäumnisse im Umgang mit rumäniendeutschen Schriftstellern gab, als sie die Hilfe am nötigsten gebraucht hatten.
Und ich meine gar nicht die Zeit vor der Wende, sondern jene danach. Die öffentlich-mediale Aufmerksamkeit, die sie bekamen, war historisch bedingt und von kurzer Dauer, bis etwa Mitte der Neunziger. Danach waren sie historisch nicht mehr relevant und sie wurden mehr oder weniger fallengelassen, nur die wenigsten konnten institutionell unterkommen, indem sie Leitungen von Literaturhäusern übernahmen.

Das ist doch eine schmerzliche Erfahrung: Wahrzunehmen, dass die Geschichte dich relevant macht und nicht wirklich die Qualität deines Schreibens. Ostdeutschen Schriftstellern erging es nicht anders. Dass der ostdeutsche Wolfgang Hilbig den Büchner-Preis bekam und die rumäniendeutsche Herta Müller den Literaturnobelpreis, das war Trostpflaster für die ostdeutsche und rumäniendeutsche Literatur.

Heute haben sich andere historische Relevanzen in den Vordergrund geschoben: Ukraine, Iran, China etc. Man könnte ostdeutsche und rumäniendeutsche Schriftsteller zu Ehrenmitgliedern erheben, aber das lindert nicht den Schmerz ihrer existenziellen Erfahrungen in Diktaturen.

Besonders beeindruckt hat mich kürzlich ein Symposium zu Literatur und Übersetzung „FILIT“ in Iași, unweit der rumänischen Grenze zu Moldawien. Übersetzer literarischer Texte sind nicht selten auch Scouts fremdsprachiger Literatur und verleihen unterdrückten Literaten Gehör hierzulande. Es ist noch immer nicht selbstverständlich, dass Übersetzer und Übersetzerinnen am Cover genannt werden. Ob der PEN Berlin für diese Berufsgruppe in Zukunft tätig wird, gar seine Mitgliedschaftspforten öffnet?

Das ist das Versprechen des PEN Berlin und wird bereits eingelöst: Den Kreis zu öffnen für möglichst viele Gruppen der schreibenden Zunft. Ein Beispiel: Brigitte Döbert ist Mitglied. Sie ist die Übersetzerin von Bora Cosic, ebenfalls Mitglied, und hat auch das Wunder vollbracht, seine „Tutoren“ zu übersetzen, was ja als unübersetzbar galt. Die Geschichte der „Tutoren“ ist eine dramatische. Das würde den Rahmen dieses Gesprächs sprengen.

Herzlichen Dank für das Interview!


Das Interview hat per Email Ortwin-Rainer Bonfert geführt.
Es erschien, inklusive einer Übersetzung ins Rumänische, auf dem privaten Feuilleton-Blog diespiegelungen.wordpress.com