„Unbegrenzter Fundus an historischer, wertvoller Substanz“

Der Architekt Jan Hülsemann über seine Arbeit beim Mihai-Eminescu-Trust und seine Leidenschaft für das siebenbürgische Bauerbe

Jan Hülsemann warnt vor dem Verlust der traditionellen Hauslandschaften.
Foto: Holger Wermke

Der gebürtige Hamburger Architekt Jan Hülsemann hat sich im vergangenen Jahrzehnt den Ruf eines ausgewiesenen Fachmannes für siebenbürgische Baudenkmäler erarbeitet. Mehrere Jahre lang war der 61-Jährige quasi der „Hausarchitekt“ des Mihai-Eminescu-Trust (MET), dem er bis heute verbunden ist. Hülsemann ist ein Bewunderer der siebenbürgischen Hauslandschaften, vor deren Verschwinden er leidenschaftlich warnt. Über Hülsemanns Erfahrungen bei der Restaurierung historischer Gebäude und die Gefahren für das Kulturerbe sprach er mit ADZ-Redakteur Holger W e r m k e.

Herr Hülsemann, wie kamen Sie zum Mihai-Eminescu-Trust?

Ich bin im Herbst 2001 über die deutsche Entwicklungshilfe zur GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, d. R.) gekommen. Diese hat mir eine Stelle bei der Hermannstädter Altstadtsanierung vermittelt. Auf dem Weg habe ich die Direktoren des Mihai-Eminescu-Trust kennen gelernt. Schnell wurde klar, dass diese Verbindung mir mehr entsprach, weil dies mehr die Arbeit mit Handwerkern auf dem „grass-root level“ war, die mir liegt. So bin ich in die Tätigkeit des MET hineingewachsen, bis ich dann in den Jahren 2006 bis 2009 auch als Vollzeitmitarbeiter, finanziert über das Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM), dort gearbeitet habe. Nach dem Ende dieser Vollzeittätigkeit bin ich weiter als freischaffender Architekt in unterschiedlichen Projekten für den MET und andere Organisationen tätig.

Was für Projekte haben Sie für den MET betreut?

Mein Einstandsprojekt war das Apafi-Landhaus in Malmkrog/Mălâncrav. Damals existierte eine Planung, mit der alle unzufrieden waren. Daneben gab es Kostenvoranschläge von mehreren großen Firmen aus der Region, die so hoch waren, dass der MET einen Schreck bekommen hatte und mich bat, das einmal zu prüfen. Es mündete schließlich in der Frage, warum man das Projekt nicht nach dem MET-Grundkonzept umsetzen sollte, mit lokalen Arbeitskräften und traditionellen Materialien und Bautechniken auf behutsame Weise. So kam es dann auch. Ich habe die Restaurierung geleitet und bin auch sehr glücklich mit dem Ergebnis. In der Folgezeit habe ich den MET bei anderen Vorhaben beraten, beispielsweise bei Sanierungen einzelner Häuser in verschiedenen Dörfern. Ein weiteres größeres Projekt war der Bau einer  modernen ökologischen Abwasserkläranlage im Gästehaus in Birthälm/Biertan. Dies war eines der wenigen Projekte, bei denen man sich im Rückblick fragt, ob wir mit diesem Vorgriff auf eine fortschrittliche Technologie die richtige Lösung gewählt haben. Dann betreute ich den Umbau des Hauses am Kürschnerturm in Schäßburg/Sighişoara als MET-Büro und darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Projekte. Ich habe den Blick auf die Scheunen initiiert, das war damals noch nicht so präsent, und ich habe mitgeholfen, das System der Dokumentation, der Kostenkalkulation und Abrechnung beim MET effizienter zu gestalten.

Was fasziniert Sie an Siebenbürgen?

Das Déja-vu. Es ist eine Kulturlandschaft, die wir in Deutschland leider verloren haben. Das etwas Provinzielle, Unverstellte, Unverbaute. Es nimmt allerdings auch hier ab, worüber ich ein bisschen traurig bin. Man läuft als Denkmalpfleger immer gegen den Strom, versucht zu verteidigen, was zu verteidigen ist, man ist Sand im Getriebe der Zeit. Damals, als wir hier angefangen haben, war das noch gar nicht so deutlich, sondern da war dieser schier unbegrenzte Fundus an historischer, wertvoller Substanz, diese Bauweisen mit Lehm und Stein, dieses Einfache, aber trotzdem so Nachhaltige – und das hat mich fasziniert.
Wenn Sie die Dorflandschaft vor 10 Jahren mit der Situation heute vergleichen – was hat sich verändert?
Es gibt sehr viele einzelne Zerstörungen. Kleinigkeiten hier und da, aber auch größere Veränderungen. Die Industriehallen an den Rändern von Hermannstadt/Sibiu, Mediasch oder auch um Reps herum gab es nicht. Es gab sehr viel Leerstand.

Wodurch ist der Erhalt von Baudenkmälern am stärksten gefährdet?

Es gibt zwei Kategorien. Ich sehe zum einen die institutionellen Bedrohungen, was sich vor allem im Fehlen gesetzlicher Rahmenbedingungen ausdrückt. Es gibt meiner Meinung nach schlichtweg nicht genügend verbindliche Bebauungspläne, Gestaltungssatzungen und klare Vorgaben für die Entscheidungsträger und die Menschen in den Dörfern, nach denen sie Veränderungen auch lenken können. Dazu gehört auch, dass es an institutioneller Durchsetzungskraft fehlt, an Stellen vor Ort, die solche Regelungen auch durchsetzen können. In diese Kategorie gehört auch das Monopol von Fachdiensten. Wir haben vor einigen Jahren die Erfahrung mit Electrica gemacht, die plötzlich kamen und flächendeckend in allen Dörfern Stromzähler in die Fassaden brachen. Der Fachingenieur dort macht aus seiner Sicht das Richtige, er ist aber nicht eingebunden in einen größeren Zusammenhang. Ich bin überzeugt, dass solche Unachtsamkeiten gegenüber dem gebauten Erbe auch weiterhin passieren im Kanalbau oder in der Wasserversorgung. Was passiert beispielsweise mit dem wunderbaren Straßenpflaster in Arkeden, wenn der Kanal gebaut wird?

Die zweite große Gruppe ist die Bedrohung durch private Investitionen. Es zeigt sich immer wieder der Zusammenhang, dass dort, wo Kapital einzieht, historische Substanz zerstört wird, trotz aller Beteuerungen, eben diese zu respektieren. Das ist in Deutschland nicht anders. Einher geht das meistens mit Ignoranz und Unwissenheit über den Wert des baukulturellen Erbes und auch mit einem falschen Verständnis bautechnischer und bauphysikalischer Zusammenhänge. Als Beispiel möchte ich das Ankleben von dichten Materialien an Häusersockeln nennen. Leider gibt es nur sehr wenige Beispiele, wo mit Kapital versucht wird, Richtiges zu machen und Denkmalpflege zu betreiben, z. B. in Großkopisch/Copşa Mare.

Was ist aus Ihrer Sicht die Konsequenz für die Denkmalpflege?

Da ist als erstes eine breite Öffentlichkeitsarbeit zu nennen. Die industrielle Lobby ist ja überall vertreten. Über die Werbung kommt sie in den letzten Winkel des Landes. Laminat und PVC-Fenster werden überall angeboten. Belange der Denkmalpflege werden dagegen immer stiefmütterlich behandelt. Dann müssen wir gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, damit das kulturelle Erbe erhalten bleibt. Ich denke, dass da einiges in Arbeit ist, und dass diejenigen, die an der Denkmalpflege interessiert sind, darauf achten müssen, dass die richtigen Dinge in die Bebauungspläne oder Gestaltungssatzungen eingetragen werden. Es muss eine Baupolizei geben, die Verstöße genauer verfolgt, es muss Menschen in den Dörfern geben, die auch anklagen können, wenn etwas Falsches gemacht wird. Eigentlich müsste man bereits in der Schulbildung damit anfangen, den Wert des kulturellen Erbes und regionale Nachhaltigkeit zu diskutieren.
Schließlich fände ich es gut, wenn man ein Monitoringsystem einrichten könnte, das die baulichen Entwicklungen dokumentiert und auch zur Lenkung eingesetzt werden könnte. Weiterhin sind die Qualifizierung und Fortbildung von Handwerkern wichtige Themenfelder.

Beobachten Sie den Verlust historischer Bausubstanz flächendeckend oder gibt es Ortschaften, wo diese Gefahren größer sind als anderswo?

Ja, sicher. Es gibt drei Kategorien von Ortschaften nach meiner Meinung. Das eine sind die Orte in den „Speckgürteln“ um die Städte herum und an den Hauptstraßen, die sich sehr rapide verändern, die vollkommen überformt werden, die ihren Charakter als sächsische Dörfer verlieren, die aber wirtschaftlich weiter prosperieren werden und sich sogar ausweiten. In die zweite Kategorie fallen Dörfer, die auf mittlere Sicht erhalten werden können, wo auch sehr viel Aktivität zum Schutz der Bausubstanz ist, beispielsweise durch den MET, Monumentum oder auch andere Organisationen. Das sind Ortschaften, die in ihrem Charakter erhalten bleiben und die auch lebendig bleiben. Die dritte Kategorie umfasst Orte, die so ein bisschen hinten runterfallen. Also Dörfer, die immer mehr kaputt gehen. Allerdings werden diese immer weniger, weil heutzutage nahezu alle Orte irgendwie erschlossen werden.

Haben Sie Beispiele für Ihre Kategorisierung?

In die erste Kategorie fallen beispielsweise Großau/Cristian, Großscheuern/Şura Mare, oder auch Thalheim/Daia. Die zweite Kategorie umfasst Dörfer wie Deutschweißkirch/Viscri, Malmkrog/Mălâncrav, Felsendorf/Floreşti, Arkeden/Archita – da gibt es eine ganze Reihe. Und die dritte Kategorie sind Dörfer wie Şapartoc oder Denndorf/Daia. Das sind Dörfer, die ganz schwierig sind, kurz vor dem Verschwinden. Im Fall Şapartoc habe ich gehört, soll jetzt eine neue Straße hinführen, und es gibt angeblich jemanden, der dort etwas entwickeln will. Im so genannten Krautwinkel (Gebiet nördlich von Fogarasch, d. R.), da gab es auch zwei, drei, vier solcher Orte, Felmern/Felmer beispielsweise.

Sie haben vor wenigen Wochen einen Restaurierungsleitfaden für siebenbürgisch-sächsische Bauernhäuser veröffentlicht. Warum?

Ich wollte gern die Erfahrung von 10 Jahren Tätigkeit beim MET und darüber hinaus meine vorherige Erfahrung im Bereich des Arbeitens mit traditionellen Materialien, Bautechniken und Handwerken zusammenfassen. Ich dachte, ich hätte dazu etwas zu sagen und wollte mein Wissen und meine Erfahrungen gern künftigen Generationen zugänglich machen.

Das Buch ist in deutscher Sprache erschienen. Ist auch eine rumänische Version geplant?

Auf Rumänisch soll das Buch demnächst erscheinen. Die erste Auflage kann dann beim MET bezogen werden und soll umsonst verteilt werden. Ob es dann noch eine kommerzielle Auflage gibt, weiß ich jetzt nicht.

Sie selbst haben eine rund 40.000 Bilder umfassende Fotosammlung sächsischer Bauernhäuser. Welche Bedeutung messen Sie der Dokumentation und wissenschaftlichen Bearbeitung der dörflichen Architektur in Siebenbürgen bei?

Schon der Hausforscher Viktor Roth hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefordert, man müsse die Bauernhäuser Siebenbürgens flächendeckend aufnehmen. Dies würde ich aus heutiger Sicht ergänzen wollen durch die Begriffe Gefügeforschung und die Bestimmung bautechnischer Begriffe, weil vieles davon in den nächsten Jahrzehnten verloren gehen wird. Es wäre wünschenswert, wenn man möglichst viel davon festhalten und für kommende Generationen erlebbar machen kann.
Der Hausforscher Erhard Pressler hat in den letzten zwei Jahren eine verlässliche Referenzkurve für dendrochronologische Datierungen hergestellt. Wir haben auch das Equipment dazu, sodass man heute sehr genaue Datierungen von Holzkonstruktionen machen kann. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch die Archäologie erwähnen, die bei der Hausforschung eine wichtige Rolle einnimmt. Die hiesigen Scheunen sind ein schönes Beispiel. Diese repräsentieren eine Bauform, die sonst überall in Europa ausgestorben ist.

Es ist nämlich der Übergang vom Pfostenbau zum Fachwerkbau. Der Pfostenbau ist eine Konstruktion, bei der die Hölzer in den Boden eingegraben sind. Bei Fachwerkkonstruktionen sind die Hölzer in einem Rahmen gebaut. Überall in Mitteleuropa hat dieser Wechsel im 14. und 15. Jahrhundert stattgefunden. Nur hier in Siebenbürgen bis heute nicht. Es wäre eine sehr lohnenswerte Forschung, an einem Scheunenstandort eine archäologische Grabung durchzuführen, ob diese Theorie stimmt. Zuletzt möchte ich die Einrichtung eines Bauernhausarchives hier in Siebenbürgen erwähnen. Der Architekt Eugen Vaida führt derzeit eine umfangreiche Inventarisierung in den Dörfern durch. Es gibt aber auch sehr viele alte Fotos, sehr viele private Bestände für ein solches Archiv, sodass ich meine, es wäre sehr schön, ein solches Archiv zu zentralisieren.