„Unsere Aktivitäten müssen sich am Mehrwert für die Unternehmen messen“

Ein Interview mit Sebastian Metz, Leiter der Deutsch-Rumänischen Handelskammer

Sebastian Metz, seit 2012 Leiter der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer | Foto: AHK

Sebastian Metz leitet seit Januar 2012 die Deutsch-Rumänische Industrie- und Handelskammer (AHK Rumänien). Schon vorher war er im „Planetensystem des Auslandshandelskammer-Netzwerkes“ tätig, wie er es beschreibt. Der Wirtschaftswissenschaftler begann im Jahr 2006 bei der Auslandshandelskammer (AHK) Algerien, wonach er für ein weiteres Projekt für zwei Jahre nach Nepal wechselte, bis er sich „ganz klassisch“ auf den Posten in Bukarest beworben hat. „Es war vor allem die Neugierde auf Rumänien. Es war spannend für mich, in einem Land zu arbeiten, wo die wirtschaftliche Dynamik noch am sich Entfalten war“, erklärt Metz. Die AHK Rumänien – sowie alle AHKs insgesamt –besitzt ein offizielles Mandat des deutschen Wirtschaftsministeriums, die deutsche Wirtschaft in Rumänien zu vertreten. Doch wie genau arbeitet eine solche Organisation und wie kann sie ihrer offiziellen Rolle gerecht werden? Dies besprach Sebastian Metz mit Valentin Brendler.

Herr Metz, am 5. September 2002 wurde die AHK Rumänien gegründet – warum?

Die AHK Rumänien wurde 2002 offiziell gegründet – als eine vollwertige bilaterale Auslandshandelskammer, das stimmt. Sie gehört zum Netzwerk der deutschen AHKs, die von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Berlin koordiniert werden und offiziell von dem deutschen Wirtschaftsministerium mandatiert werden. Ihr Ziel ist es, die deutsche Wirtschaft in Rumänien offiziell zu vertreten und dabei auch der zentrale Motor zur Pflege und Weiterentwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu sein. 

Zu beachten ist jedoch, dass es zwei Vorgängerorganisationen der AHK in Rumänien gab, nämlich die Repräsentanz der deutschen Wirtschaft – gegründet Anfang 1994 – und dann im Jahr 2000 die Delegation der deutschen Wirtschaft. Aus dieser Delegation wurde im Jahr 2002 eine vollwertige Auslandshandelskammer – unsere Historie geht also fast dreißig Jahre zurück. 

Um eine vollwertige AHK zu werden, braucht es eine tragende Mitgliedergemeinschaft von Unternehmen, um wirklich die Stimme der deutschen Wirtschaft in Rumänien sein zu können. 2002 war die Grundlage dafür da. Wir haben angefangen mit grob 150 bis 200 Mitgliedern und sind jetzt auf rund 600 Mitgliedsunternehmen angewachsen. Ich würde sagen, dass auch eine andere Komponente sehr entscheidend war: Nämlich die sehr dynamische Entwicklung der deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen, die immer stärker Fahrt aufgenommen hat. 

Viele deutsche Unternehmen sind zum Beginn der 2000er Jahre nach Rumänien gekommen – wie man so schön sagt: „die Karawane ist weiter gen Osten gezogen“ – und hat diesen tollen Wirtschaftsstandort für sich entdeckt. Das war auch gut so, denn immer konkreter wurde zu dieser Zeit auch über die EU-Beitrittsperspektive diskutiert. 2007 ist Rumänien ja beigetreten und in dieser Vorbeitrittszeit gab es eine unglaubliche Dynamisierung und Intensivierung der bilateralen Handlungsbeziehungen – das ist der Beginn der aktuellen Erfolgsgeschichte der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen.

Welche Herausforderungen hatte die AHK in Ihren Anfangsjahren im Jahr 2012?

Es war wichtig, die Kammer weiter zu professionalisieren – dass das Team die Kenntnisse und Skills entwickelt und die Reputation der Kammer weiter aufgebaut wird. Hierfür mussten wir eine Vision, eine Unternehmenskultur und auch den Platz für unsere Aktivitäten erzeugen. Wir sind eine marktorientierte Organisation – wir handeln nicht in einem fernen Elfenbeinturm. Wir arbeiten tagtäglich mit Unternehmen. Unsere Aktivitäten werden an ihrem Mehrwert für die Unternehmen gemessen.

Wie haben Sie es geschafft, zum Vertreter der deutschen Wirtschaft in Rumänien zu werden?

Wichtig ist es zuallererst eine breite und starke Mitgliederbasis zu haben, die einem dann auch die Kraft und Stimme verleiht, für die Wirtschaft zu sprechen. Das andere ist natürlich auch das offizielle Mandat der Bundesregierung. Außerdem bestehen auch zwischen Deutschland und Rumänien Vereinbarungen, die der AHK ein vertragliches Fundament geben. Das tägliche Geschäft sieht dann so aus, dass wir jeden Tag von deutschen und rumänischen Unternehmen deren Meinungen, Beobachtungen und Rückmeldungen direkt aus der unternehmerischen Praxis einholen. Dies zum Beispiel durch Umfragen, Arbeitsgruppentreffen, Gespräche und Veranstaltungen – durch jegliche Interaktion! 

Diese sammeln und konkretisieren wir und bringen sie dann auf einen Nenner – darin besteht das Kunstwerk, einen Konsens herzustellen. Das sind sehr komplexe Vorgehensweisen. Diese Arbeit bringen wir schlussendlich zu einem Positionspapier, einem Brief, einer Publikation zusammen und adressieren sie anschließend an die politischen, administrativen Entscheidungsträger. Uns ist dabei wichtig, konkrete und konstruktive Beiträge zu erarbeiten, die die Entscheidungsträger in ihre Arbeit einfließen lassen können. 

Was sind derzeit die großen Themen für deutsche Unternehmen?

Ein großes Thema ist momentan Fachkräfte und Bildung. Wir wollen eine grüne Wirtschaft, aber haben wir die Fachkräfte dazu? Wir wollen mehr deutsche und rumänische Unternehmen, aber haben wir die Fachkräfte dafür? Wir wollen eine stärker digitalisierte Wirtschaft, aber haben wir die Fachkräfte dafür? Können unsere Bildungsstrukturen in Rumänien mit dem wirtschaftlichen Tempo mithalten? Das ist eine der größten Fragen, natürlich nicht nur in Rumänien. Gleichzeitig gibt es steigende Löhne in Rumänien, auch auf Grund einer hohen Inflation, aber die Produktivität muss hier auch mithalten. Die Löhne, die Unternehmen zahlen, müssen von den Arbeitnehmern erwirtschaftet werden und dafür brauchen wir eine kontinuierliche Steigerung der Produktivität und diese bekommen wir nur hin, wenn wir besser ausgebildete Fachkräfte haben. Das ist das Top Thema.

Zweites Thema ist – sehr aktuell – die Verfügbarkeit von Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen, insbesondere von grüner Energie. Rumänien ist ein Industriestandort und Industrie bedeutet immer auch Energie. Der Transformationsprozess der industriellen Aktivitäten zur grünen Industrie muss gelingen ansonsten könnte es zu spürbaren Wohlstandsverlusten kommen.

Das dritte große Thema dreht sich um Vorausschaubarkeit und Kontinuität der Wirtschaftspolitik. Darunter verstehen wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die für die Wirtschaft relevant sind. In Rumänien, aber nicht nur hier, neigt man manchmal dazu, kurzfristige Veränderungen vorzunehmen. Nicht immer natürlich. In den letzten vier-fünf Jahren ist der Austausch mit der Privatwirtschaft aber wesentlich besser geworden. Auch viele Wirtschaftsorganisationen haben ihre Arbeit weiter professionalisieren können.

Was uns auch wichtig ist, ist nachhaltiges Stadtmanagement. Der Zuzug in die Städte geht immer weiter und wir brauchen attraktivere, nachhaltigere, lebenswertere Städte, weil die Leute sonst abwandern. In diesem Bereich haben wir das Projekt „Cities of Tomorrow“ ins Leben gerufen (ADZ berichtete).

Welche anderen Projekte laufen derzeit?

Im Bereich der dualen Berufsausbildung veranstalten wir Konferenzen, wir begleiten deutsche Unternehmen bei der Zertifizierung und wir haben ein eigenes Berufsausbildungsprojekt im Bereich Einzelhandel mit sechs deutschen Unternehmen – da haben wir um die 500 Azubis an acht Standorten, das ist das einzige Projekt in Rumänien, das landesweit aufgestellt ist. 

Wir veranstalten Beratungen, koordinieren Projekte und Programme für die betriebliche Ausbildung von Ausbildern – denn neben der schulischen Ausbildung findet ein Teil ja auch im Betrieb statt, und diese Ausbilder vor Ort müssen weiter qualifiziert werden. 

Hilfe! Ich bin ein deutsches Unternehmen und will nach Rumänien expandieren! Wie helfen Sie mir?

Zunächst einmal analysieren wir Ihren Bedarf. Wollen Sie exportieren, aus Rumänien importieren, wollen Sie investieren? Suchen Sie einen Geschäftspartner, einen Produktionsstandort oder wollen Sie ihre Produkte hier verkaufen? Wollen Sie eine Firma kaufen? Brauchen Sie eine Marktstudie? Brauchen Sie vertrauensvolle Dienstleister? Oder Informationen zur Wirtschaftslage?

Das ist in etwa das Universum an Anfragen von deutschen Unternehmen. Von Problemen bis Projekte, von Dienstleistungen bis zu einem gut gemeinten Rat. Unsere Arbeit ist es, die deutschen Unternehmen nach Rumänien zu begleiten und auch rumänische Unternehmen auf ihrem Weg nach Deutschland zu unterstützen. Natürlich konzentriert sich unsere Arbeit derzeit noch mehr auf deutsche Unternehmen als andersherum, aber vielleicht ändert sich das auch eines Tages.

Was fragen deutsche Unternehmen am häufigsten nach?

Nehmen wir doch mal die Investorenbetreuung. Das sind momentan in erster Linie eher klein- und mittelständische Unternehmen, es kann sich aber auch um mehrere 100 Millionen Euro handeln. Diese Firmen kommen erst einmal zur AHK und fragen: „Wie schätzen Sie den rumänischen Wirtschaftsstandort ein? Sind hier genügend Arbeitskräfte? Ist er in seiner Steuerpolitik vorausschaubar? Was können wir über die Lohnentwicklung aussagen? Wie sieht die Infrastruktur aus? Gibt es finanzielle Unterstützung?“ – das sind einige Fragen unter vielen. Wir beantworten eine Frage nach der anderen und begleiten das Unternehmen bis zum Spatenstich und darüber hinaus. 

Was bedeuten deutsche Unternehmen für Rumänien?

Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen stehen für einen bilateralen Handelsaustausch von über 40 Milliarden Euro. Das sind über 20 Prozent des rumänischen Außenhandels. Es gibt über 9.500 Unternehmen mit einer deutschen Kapitalbeteiligung. Diese Unternehmen beschäftigen rund 250.000 Arbeitnehmer direkt und leisten einen substantiellen Beitrag zum Know-How-Transfer nach Rumänien.

Diese Unternehmen sind Teil eines lokalen, regionalen, nationalen Geschäftsnetzwerks und entwickeln dieses weiter, so dass auch viele rumänische Unternehmen involviert werden und davon profitieren.  Auch Universitäten und andere Bildungseinrichtungen werden involviert, die Bildungslandschaft und -infrastruktur insgesamt entwickelt sich weiter. Auch die Städte, wo die Unternehmen aktiv sind, entwickeln sich weiter und werden attraktiver für ihre Bevölkerung.  Das sind beispielhaft nur einige positive Effekte für Rumänien – ganz zu schweigen von den vielen kleinen und großen sozialen Projekte, an denen sich diese Unternehmen beteiligen. 

Hat Deutschland eine führende Rolle in der Außenwirtschaft Rumäniens?

Für Rumänien ist Deutschland mit Abstand der wichtigste Handelspartner. Und das schon seit Jahren. Auch wenn man sich die ausländischen Direkt-Investitionen anschaut, ist Deutschland auf Platz eins. Ich bin davon überzeugt, dass wir ein guter und wertvoller Wirtschaftspartner sind, der hier sehr viel positive Entwicklungen und Beiträge geleistet hat.

Welche Rolle spielt Rumänien für die deutsche Wirtschaft?

Rumänien ist in Deutschland auf der Liste der Handelspartner unter den Top 20. Rumänien hat einen Namen und ist ein sehr wichtiger strategischer Investitionsstandort. 

Die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen wird maßgeblich auch dadurch gewährleistet, dass diese Unternehmen in Rumänien investiert haben. Die Standortvorteile, die Rumänien bietet – gut ausgebildete Fachkräfte, eine hohe Produktivität, eine breit aufgestellte industrielle Wertschöpfung und natürlich die EU- und NATO-Mitgliedschaft – das alles leistet einen wichtigen Beitrag, dass diese deutschen Unternehmen international wettbewerbsfähig sind. Hieran müssen wir die politischen Entscheidungsträger hin und wieder einmal dran erinnern.

Spielt die deutsche Minderheit in den Handelsbeziehungen eine wichtige Rolle?

Definitiv! Die deutsche Minderheit hat eine sehr wichtige sozio-kulturelle aber auch ökonomische Brückenfunktion. Die Reputation, die die deutsche Minderheit in Rumänien hat, ist ein Glücksfall. Diese kulturelle Brücke, nicht nur zwischen Deutschland und Rumänien, sondern auch lokal oder regional zum Beispiel in Hermannstadt/Sibiu oder Kronstadt/Brasov sorgt für Verständigung und menschliche Nähe. Dies ist von unglaublichem Wert.  Die deutsche Minderheit entfaltet eine große Wirkung und ist auch Teil der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte.

Geschäfte laufen ja zwischen Menschen ab, und diese müssen sich kulturell verständigen und dazu trägt die deutsche Minderheit enorm bei. Natürlich ist es schön, dass 800 Jahre gemeinsame Geschichte existieren und man darauf zurückschauen kann. Das baut Vertrauen auf, das kreiert Partnerschaften. Auf dieser Basis lässt sich wesentlich leichter als Geschäftsmann über eine Brücke gehen, als wenn diese Brücke erst noch gebaut werden muss. Das ist zu großen Teilen der deutschen Minderheit zu verdanken und sollte von uns allen anerkannt und wertgeschätzt werden.

Wie sieht die Situation in der Republik Moldau aus?

Die AHK Rumänien ist seit 2020 im Rahmen der deutschen Außenwirtschaftsförderung offiziell beauftragt, die deutsch-moldawischen Wirtschaftsbeziehungen zu fördern. Mit unser großen deutsch-rumänischen Wirtschaftsgemeinschaft leisten wir aber auch einen Beitrag zur Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Rumänien und der Republik Moldau. 

Hinsichtlich der Wirtschaftsbeziehungen mit der Moldau sprechen wir jedoch von anderen Größendimensionen. Der deutsch-moldawische Handel beträgt rund 800 Millionen Euro und ungefähr 140 bis 150 deutsche Unternehmen haben sich dort niedergelassen. Natürlich wollen wir durch unsere neue Zuständigkeit auch dazu beitragen, dass sich die Republik Moldau wirtschaftlich stärker mit Europa verbindet. 

Die größte Herausforderung ist aktuell natürlich die Sicherheitsfrage. Das zweite Thema ist die Energieversorgung. Hier sehen wir, dass es in die richtige Richtung geht, gerade durch die Gas- und Stromanbindung nach Rumänien ist ein erster Schritt getan. Die Republik Moldau hat durchaus Potenziale. Die öffentliche Verwaltung ist wirtschaftsnah, packt Reformen beherzt an und zeigt sich immer wieder als sehr innovativ bzw. anpassungsfähig. Derzeit sehen wir vor allem Potenzial im IT-Bereich und im Dienstleistungssektor. 

Vor Ort merke ich trotz der aktuell sehr komplizierten Situation mit Blick auf das verarbeitende Gewerbe keinen Rückzug deutscher Unternehmen. 

Vielen Dank für das Gespräch!