Vertrauen wieder herstellen und den Dialog fördern

Deutschlands Programm für den OSZE-Vorsitz 2016

Auf dem Podium: Antje Leendertse (OSZE) , Ion M. Ioniţă (Moderator), Außenminister Lazăr Comănescu
Foto: Nina May

Im Januar 2016 wird Deutschland den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) übernehmen. Zu diesem Anlass fand am 10. Dezember eine Podiumsdiskussion im New Europe College (NEC) Bukarest statt, gemeinsam organisiert mit der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Hintergrund der Diskussion war die „Renaissance der öffentlichen Wahrnehmung (der OSZE), insbesondere nach der Krise in der Ukraine“, wie das Pressekommuniqué der Deutschen Botschaft mitgeteilt hat. „40 Jahre nach der Schlussakte von Helsinki und 25 Jahre nach der Charta von Paris für ein neues Europa wurden die Grundparameter der europäischen Sicherheitsarchitektur ernsthaft gefährdet“, heißt es dort weiter. Über die aktuelle Situation in der OSZE-Region, Deutschlands Pläne für den Vorsitz unter dem Leitmotto „Erneuerung des Dialogs, Wiederherstellung des Vertrauens, Wiederherstellung der Sicherheit“ und die Erwartungen der rumänischen Partner an den OSZE-Vorsitz diskutierten Botschafterin Antje Leendertse (Stellvertreterin des Sonderbeauftragten der Bundesregierung für den OSZE-Vorsitz und Leiterin des Arbeitsstabs OSZE-Vorsitz 2016) und der rumänische Außenminister Lazăr Comănescu. Es moderierte Ion M. Ioniţă, Chefredakteur der Zeitschriften „Historia“ und „Foreign Policy“.

Kommunikationskanäle offen halten

Es sei dies die dritte Veranstaltung aus einer Serie in Kooperation mit dem NEC, leitet der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk ein. Ziel sei, die Policy Agenda 2016 zu präsentieren, auf die sich Deutschland vorbereitet hat. Einer der Gründe, den OSZE-Vorsitz anzustreben, war der Wunsch, einen konstruktiven Beitrag zu dem langfristigen Ziel in einer krisengeschüttelten Zeit zu leisten, erklärt Leendertse und präzisiert: Es gibt zwar einen sehr konstruktiven informellen und formellen Austausch auf politischer Ebene, doch derzeit leider wenig Konsensus auf Entscheidungsniveau.
Die Aufgaben der OSZE umfassen einen weitgespannten Ansatz: Sicherheit, politisch-militärische, wirtschaftliche, umwelttechnische und menschenrechtliche Aspekte fließen dort zusammen. So ergibt sich ein Spagat an Belangen und Zuständigkeiten, von Waffenkontrolle über vertrauensbildende und sicherheitserhaltende Maßnahmen, über Menschen- und Minderheitenrechte, Demokratisierung, Antiterrorismus bis zu wirtschaftlichen Aktivitäten und Umweltschutz. Alle 57 Mitgliedsstaaten genießen den gleichen Status, Entscheidungen werden auf Basis einer politischen Einigkeit, die jedoch rechtlich nicht bindend ist, herbeigeführt.

Leendertse stellt für 2016 einen Fünf-Punkte-Aktionsplan vor und betont, Deutschland wolle entschieden an der Vision und den Prinzipien der OSZE festhalten, wie in der Schlussakte von Helsinki festgelegt. Herausforderungen wie die Ukraine-Krise oder der Konflikt zwischen den Mitgliedsstaaten Türkei und Russland unterstreichen nur die Notwendigkeit, alle Kräfte  für eine Stärkung der OSZE-Mechanismen einzusetzen, damit der Dialog nicht abbricht und die Kommunikationskanäle offen bleiben. Dies sei ein Schritt-für-Schritt-Ansatz, zuerst jedoch müsse man den Dialog erneuern und dann zu mehr Ehrlichkeit, mehr Ernsthaftigkeit finden. Nur so könne man verlorenes Vertrauen zwischen den Staaten wieder aufbauen. Andererseits, so Leendertse, hat die OSZE vor allem in der Ukraine-Krise ihre Unverzichtbarkeit für den Dialog bewiesen. Wiederherstellung und multilateraler Dialog statt Krise und Chaos, so lautet nun die Devise. Was die OSZE hierfür braucht ist eine Festigung ihrer Fähigkeit zur Krisenbewältigung, bemerkt die Botschafterin. Die Krise sei jedoch zu frisch, um über eine Neudefinition der Ost-West-Beziehungen nachzudenken, daher könne ein gangbarer Ansatz nur empirisch nach der Bottom-Up-Methode erfolgen. Hierfür will der deutsche Vorsitz – vielleicht mehr als alle zuvor – den Dialog mit anderen Institutionen anstreben.

Fünf-Punkte-Aktionsplan

Punkt Eins: An erster Stelle steht Konfliktmanagement – vor allem in Bezug auf die Ukraine. Gestärkt werden müssen hierfür OSZE-Instrumente wie das Büro des OSZE-Sondervertreters und die Special Monitoring Mission (SMM), deren Mandat verlängert und deren Personal aufgestockt werden soll. Krisenmanagement sei auch für andere Konflikte angesagt: Transnistrien, die Aktivitäten der Minsk-Gruppe, die Grenzstreitigkeiten in Georgien. Von einer Lösung während des deutschen Mandats gehe man freilich nicht aus.

Punkt Zwei: Stärkung der Kapazitäten der OSZE. Dies bedeutet nicht, die NATO oder EU zu kopieren, erklärt Leendertse, sondern vielmehr eine Stimulation der Diskussion zwischen den OSZE-Staaten. Die Werkzeuge hierfür müssten für die Anforderungen der Zukunft angepasst und das Krisenmanagement besser vorbereitet werden.
Punkt Drei: Stärkung der Plattform für den Dialog. Diese hat sich in der Ukraine-Krise als wertvoll erwiesen und soll nun auf länderübergreifende Themen ausgedehnt werden: Diskussionen sollen zu Migration, Terrorismus, Extremismus, Cyberkriminalität und einer Modernisierung der Instrumente zur Waffenkontrolle stattfinden.
Punkt Vier: Nachhaltigkeit in Bezug auf Wirtschaft und Umweltthemen fördern. Die Zivilgesellschaft soll stärker eingebunden werden und der private wirtschaftliche Sektor eine Stimme in der OSZE erhalten. Hierfür wird für Mai 2016 eine Business-Konferenz angekündigt.

Punkt Fünf: Die menschliche Dimension in der OSZE-Region steht stark unter Druck, durch Fanatismus, Nationalismus etc. Man müsse sich daher eher darauf konzentrieren, die alten Zusagen und Übereinkünfte zu verteidigen, als neue aufzustellen: Redefreiheit, unabhängige Medien, Abbau von Diskriminierung, auch im Hinblick auf den Flüchtlingsstrom. Die Herausforderung besteht darin, der Gesellschaft hierzu einen Beitrag abzuringen, denn der Aktionsplan kann nicht erfüllt werden, wenn er auf Regierungsorganisationen beschränkt bleibt, erklärt die Botschafterin. Die Teilnehmerstaaten werden aufgefordert, in Zukunft zunehmend NGOs, Think Tanks, Jugendprogramme und die Zivilgesellschaft in die Diskussionen einzubinden. Außenminister Comănescu äußerte einen „realistischen Optimismus“ in Bezug auf den deutschen OSZE-Vorsitz und sagte Rumäniens Unterstützung in den unterbreiteten Prioritäten zu.  

Weiche Linie zur Konfliktvermeidung

In der anschließenden Frage-Antwort-Runde, die Ioniţă mit den Worten einleitete, Optimismus sei auch notwendig in Anbetracht der Herausforderungen – wirtschaftliche Probleme in der EU, der Konflikt zwischen Russland und Türkei, der Krieg im Nahen Osten, der zunehmende Nationalismus in Europa und die Anti-EU-Stimmung innerhalb der EU –, wurden folgende Aspekte thematisiert:
Waffenkontrolle: Trotz russischer Verletzungen des Vertrages über konventionelle Streitkräfte und zur Begrenzung schwerer konventioneller Waffensysteme in Europa als Folge der Ukraine-Krise und der Annexion der Krim setzt der deutsche OSZE-Vorsitz auf Dialog und Inklusion statt Ausschluss. In Bezug auf nationale Sicherheitsfragen hat jedes Land Souveränität, Isolation eines Landes aufgrund unliebsamer Entscheidungen sei zwar eine Möglichkeit, jedoch sei die Stärke der OSZE immer Inklusion gewesen, erklärt Leendertse hierzu. „Wir benötigen Geduld und Ausdauer auf diesem Gebiet“, fügt sie an. Und ergänzt: In Krisenzeiten herrscht Zurückhaltung auch seitens der anderen Mitgliedsstaaten in Bezug auf die Durchführung von Waffenkontrollen. Zudem seien die Technologien inzwischen weiter fortgeschritten und zahlreiche moderne Waffensysteme nicht mehr in den Prozeduren erfasst. Comănescu ergänzt: Das Thema Waffenkontrollen birgt außerdem derzeit das Risiko einer Debatte ohne Ende.
Zweischneidige Rolle der Türkei: Auf die durch den irakischen Botschafter im Zuschauerkreis aufgeworfene Frage, wie der deutsche OSZE-Vorsitz die Rolle der Türkei als Unterstützer der ISIS in Bezug auf deren Zugang nach Syrien und in den Irak sehe, aber auch den Umgang mit den Kurden, sowie die Vermittlung von Flüchtlingen in Richtung Europa, könne es aus Gründen der Deeskalationsstrategie keine Antwort geben, hält sich Leenderste bedeckt und betont, die OSZE sei eine Organisation des Konsenses, vergleichbar mit der UNO.

Truppenabzug aus Transnistrien: Auch in Bezug auf die bislang unerfüllte russische Zusage, 1999 die Truppen aus Transnistrien abzuziehen, sei die Taktik eher, Vertrauen in der Bevölkerung auszubauen, als den politischen Konflikt zu suchen. Projekte und Ausbildungsmaßnahmen sollen die Menschen überzeugen, dass die einzige Lösung eine gemeinsame sei, erklärt Leendertse. Unter diesen Umständen ist es natürlich schwer, etwas über die Zeitspanne zu sagen, räumt sie ein, „aber es ist wichtig, dass wir am Thema dranbleiben und nicht müde werden.“
Konfliktvermeidung ist eine höhere Kunst als Konfrontation – die weiche Linie daher vielleicht auch die mutigere. Der Moderator illustriert dies mit der Schlussbemerkung: „Ich habe Egon Bahr unlängst in Berlin gefragt, was dieser Tage das Wichtigste sei. Seine Antwort: Den Frieden in Europa zu erhalten!“