Vielfalt in der Landschaft als erstrebenswertes Ziel

Interview mit Wolfram Günther, erster stellvertretender Ministerpräsident von Sachsen

Ralf Sudirgian traf Wolfram Günther in Măgura.
Foto: der Verfasser

Landwirtschaft, wie sie im Nachbarland Sachsen-Anhalt in den 1950ern betrieben wurde.
Foto: Deutsches Bundesarchiv

Landwirtschaftlich geprägte Kulturlandschaft in Siebenbürgen
Foto: Wikimedia

Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen), sächsischer Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, beteiligte sich zwischen dem 4. und 10. Juni an einer vom Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL) organisierten Exkursion in Siebenbürgen. Im Gespräch mit ADZ-Journalist Ralf Sudrigian, das in Măgura in der „Vila Hermani“ stattfand, spricht Staatsminister Günther über die Einblicke, die er auf dieser Reise gewinnen konnte. Wie die Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts in Einklang mit einer vielfältigen gesunden Landschaft gebracht werden sollte, ist ein Thema, das sowohl im Freistaat Sachsen als auch in Rumänien nicht nur die Fachleute beschäftigt.

Was verfolgte die DVL-Fachexkursion in Rumänien?


Wir haben uns an verschiedenen Orten angesehen, wie landwirtschaftliche Nutzung Biodiversität und Vielfalt erzeugen kann, statt sie zu verringern. Dafür gibt es in Siebenbürgen viele gute Beispiele. Und wir haben einen Blick darauf geworfen, wie Menschen genau daraus Einkommen beziehen und mit der Vielfalt an Strukturen und Landschaftselementen nicht nur zum Naturschutz, sondern auch zum Tourismus beitragen können. Vieles in dieser Landschaft erinnert mich an meine Heimat Sachsen. Da haben die Landschaften in den letzten Jahrzehnten aber viel von dieser Vielfalt verloren. Mein Ziel ist es, möglichst viel von dieser Vielfalt zurückzugewinnen.

Unsere Exkursionsgruppe besteht aus Landwirten, die teil-weise Betriebe mit mehreren Tausend Hektar führen. Sie kommen aus konventionellen Betrieben genauso wie aus kleineren Biobetrieben. An der Exkursion nehmen Menschen teil, die sich seit Jahren für Naturschutz einsetzen, auch hauptberuflich. Hinzu kommen Mitarbeiter aus der Verwaltung. Uns geht es auf der Exkursion darum zu diskutieren, wie man ausgehend von dem Punkt, wo wir jetzt in Sachsen sind, das System der Landwirtschaft über Förderung, über Rahmensetzungen, über Bildung so verändern kann, dass wir wieder mehr Vielfalt in der Landschaft bekommen. Das ist eine sehr interessante Diskussion, weil wir für viele Fragen, wie man es bei uns am besten machen könnte, noch keine Antwort haben. Diese Diskussion ist sehr fruchtbar. Die Exkursion ist ein sehr guter Rahmen dafür, weil man die Vielfalt und ihren Nutzen vor Ort sieht und begreift.

Kommt es auch zu einem Erfahrungsaustausch mit rumänischen Landwirten?

Wir haben natürlich auch rumänische Landwirte besucht, uns mit ihnen ausgetauscht, uns ihre Wirtschaften angesehen. Wenn Landwirte miteinander sprechen, wird gefragt: „Wie machst du das denn so?“ Dieser Austausch ist ganz wichtig. Schon allein zum Beispiel zur Frage, wie Tiere gehalten werden. Man muss nur aufpassen, dass nicht jemand von außerhalb kommt und von oben herab sagt: „Das ist falsch. Mach mal das so.“ Wir hatten in Siebenbürgen einen Austausch auf Augenhöhe. Die Region ist uns sehr nah, diese alte Kulturlandschaft, die Dörfer. Vieles erinnert an das, was es bei uns gibt. Manches erinnert an die Dörfer meiner Großelterngeneration.

Nicht alles ist vereinbar mit moderner Landwirtschaft, wie die EU sie umzusetzen plant…

Klar ist: Es gibt kein Zurück in eine vormoderne, romantisierte Landwirtschaft. Aber darum geht es auch nicht. Wir wollen in Sachsen ja nicht die Landschaften rekonstruieren, die seit den 1950er Jahren und dann noch mal nach 1990 verlorengegangen sind. Sondern es geht darum, die Vielfalt der Landschaften, Strukturen und Produktionsweisen zurückzugewinnen, mit all ihren Wertschöpfungspotenzialen und ökologischen Vorteilen. Die Landwirtschaft hat heute vom Wissen her und dank Digitalisierung ganz andere Möglichkeiten als früher. Es geht darum, einen Weg für eine nachhaltige Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts zu finden.

Die Fehlentwicklungen der letzten Jahre sind schnell benannt: Das Immer-größer bei der Größe der Felder, die Fixierung darauf, Masse für den Export zu produzieren und sich damit von schwankenden Weltmarktpreisen abhängig zu machen, während der Selbstversorgungsgrad mit bestimmten Produkten vor Ort abnimmt. Die Landwirtschaft hat sich davon entfernt, dass sie eigentlich die Menschen vor Ort ernähren soll. Vieles hat mit Globalisierung zu tun, zum Beispiel die Stoffkreisläufe in der Tierhaltung, wo die Nahrung teilweise aus Südamerika kommt.
Zu all dem gab und gibt es Diskussionen im Zusammenhang mit der EU-Agrarförderung. In Deutschland fließen rund sechs Milliarden Euro öffentliches Geld in die Förderung der Landwirtschaft. Sie haben aber nicht die wünschenswerte Steuerungswirkung für Ökologie, Klimaresilienz, für eine richtige Einkommensunterstützung in der Landwirtschaft. Obwohl so viel Geld in die Landwirtschaft fließt, sind selbst die Landwirtinnen und Landwirte unzufrieden. Die Diskussion darüber und letztlich Veränderungen der Förderung ist wichtig. Denn wenn man öffentliches Geld ins System gibt, muss es auch einen Nutzen für die Allgemeinheit haben. Das Schlagwort heißt „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“.

Gibt es eine Zukunft für die kleinen Landwirte?

Ja, davon gehe ich fest aus. In Sachsen haben wir eine große Strukturvielfalt – von vielen kleinen Betrieben bis zu riesengroßen von mehreren Tausend Hektar. Für die Kleinen stellt sich die Frage, was sie anbauen, ob sie eine Nische finden. Da sehen wir große Chancen in der regionalen Versorgung. Bei regionalen Produkten erkennen die Menschen den Mehrwert sofort. Wenn sie den Produzenten kennen, sind das auf einmal Produkte, die ein Gesicht haben. Oder die Menschen entwickeln einen Stolz auf die Produkte aus ihrer Region. Auch die Qualität zählt, Bioprodukte sind wichtig. Das ist eine Diskussion auch in Sachsen, dass viele Regionen sehr viel Potenzial haben, auch touristisch. Da können wir noch viel hinzulernen zum Beispiel von Österreich oder Südtirol. Wenn man dort in eine Gastwirtschaft geht, bekommt man hochwertiges regionales Bio-Essen. Die Strukturen, die das dort möglich machen, wollen wir auch bei uns in Sachsen schaffen. Neben Produzenten braucht es Weiterverarbeitung, Veredlung, Vertrieb in Hofläden, im Einzelhandel, in Richtung Gastwirtschaft. Wir arbeiten in Sachsen daran, das zu verbessern, neue Wege zu erschließen. Das hat etwas mit harten volkswirtschaftlichen Fragen zu tun: Wie halten wir Einkommen in der Region, damit nicht Großstrukturen, die nicht aus der Region sind, das Geld verdienen? Aber wir erhöhen mit alldem eben auch den Mehrwert für die Natur, für die Landschaft. Diese Fragen stellen sich auch in Rumänien.

Siebenbürgen hat diesen Vorteil. Aber die Landwirtschaft ist offensichtlich auch hier im starken Wandel. Wir haben gesehen, wie manche Bewirtschaftung ganz schnell in einen Raubbau an den Ressourcen umkippen kann. Das kennen wir aus Deutschland. Systeme, die jahrhundertelang im Kreislauf funktioniert haben, werden auf einmal auf schnelle Erträge und großes Einkommen umgesteuert und laugen so im Prinzip die Ressourcen aus. Der Humus wird verzehrt, an manchen Standorten wird über Düngung und Pflanzenschutzmittel Vielfalt eingeebnet. Kurzfristig können so hohe Einnahmen erzielt werden, aber das System ist auf diese Weise nicht langfristig stabil und bringt am Ende viele Verluste.

Diese Fragen stellen sich nicht nur für die kleinen Betriebe, sondern auch für die großen. Damit muss man sich beschäftigen, vor allem, wenn öffentliches Geld dort hineinfließt.

Vielen Dank für dieses Gespräch!