Vom Einmachgläser-Rebellen zum Schlossherrn

Hat Übung darin, sich immer wieder neu zu erfinden: Historiker Prof. Dr. Konrad Gündisch

Das Lebensmotto von Konrad Gündisch: „Tu dein Bestes, wenn du kannst!“ Foto: die Verfasserin

Schloss Horneck. Foto: George Dumitriu

Ob in Bukarest als Vortragender auf der Konferenz „Brücken der Toleranz“, bei der Eröffnung der Ausstellung „Eine europäische Erfahrung. Das geschichtliche und kulturelle Erbe der Deutschen in Rumänien“ im Nationalen Geschichtsmuseum oder am Heimattag in Dinkelsbühl als Laudator für den mit dem siebenbürgisch-sächsischen Kulturpreis geehrten Altbischof D.Dr. Christoph Klein – Prof. Dr. Konrad Gündisch scheint omnipräsent zu sein. Man kennt ihn freilich auch als Vorsitzenden des Vereins „Siebenbürgisches Kulturzentrum Schloss Horneck“, der den Umbau des Gundelsheimer Schlosses managt, in dem das Siebenbürgische Museum, das Siebenbürgen-Archiv, die Siebenbürgen-Bibliothek und das im Juli 2020 zu eröffnende Kultur- und Begegnungszentrum ihren Sitz haben. Am 15. Mai dieses Jahres wurde der gebürtige Hermannstädter mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Gewürdigt wurde damit sein jahrzehntelanges und ehrenamtliches Engagement für die Kultur Siebenbürgens und des südosteuropäischen Raumes. Ein bewegtes Leben - dabei sollte der über 70-jährige Historiker eigentlich schon längst seinen wohlverdienten Ruhestand genießen..

„Das Bundesverdienstkreuz war für mich eine totale Überraschung! Ich hab’s nicht erwartet und weiß auch nicht, wer das initiiert hat“, bekennt Konrad Gündisch, als wir uns an Pfingsten am Heimattag in Dinkelsbühl gegenübersitzen. Als „Bürger des Landes, das mich aufgenommen hat“ war es für ihn umsomehr Genugtuung als auch Freude. Denn die Entscheidung, aus Siebenbürgen auszuwandern, das Einleben und Fußfassen in Deutschland, war nicht immer leicht gewesen. Wäre es nur nach ihm gegangen... 
„Der Historiker hat seinen Platz dort, wo das Objekt seiner Forschung liegt“, meint dazu Gündisch. „Die Geschichte Siebenbürgens war nicht aufgearbeitet – warum sollte ich also weg?“  Auch zur Identitätswahrung der verbliebenen Sachsen hätte er gerne seinen Beitrag geleistet. Nein, Auswandern war für ihn kein Thema.

Dann, 1981 und 1982, kamen die Kinder – ein wichtiger Einschnitt. Nach der Beobachtung der Perestroika zum Schluss gekommen, dass sich ja doch nichts im System ändert, musste er sich immer wieder mit der Frage auseinandersetzen: Verbaue ich ihnen die Zukunft? Auch die Ehefrau erhöhte den Druck. Allmählich war die Isolation zu spüren, alle Freunde waren im Zuge des Exodus ausgesiedelt. „Sie kamen nach zwei Jahren zu Besuch und waren andere Menschen geworden, die Freundschaft hatte sich auseinanderentwickelt“, musste Gündisch erkennen.  Dann gab es „noch so Kleinigkeiten“: Die Tochter kam aus dem Kindergarten. Stromausfall, kein Wasser. „Papa, was ist da los?“ - „Ach, das hat der Ceau-Baubau gemacht“, antwortete er lakonisch. Dann, eines abends vor dem Fernseher, eine Ceaușescu-Sendung wurde gerade ausgestrahlt, hörte er, wie die Kleine lauthals rief: „Bravo, bravo, Ceau-Baubau!“

Raus aus dem Mief!

Der Schritt von Klausenburg/Cluj-Napoca nach Heilbronn war von den genannten Umständen erzwungen. „Ich wusste, wohin ich fahre“, sagt der Historiker, der sich ausführlich mit den politischen Gegebenheiten auseinandergesetzt und kein idealisiertes Deutschlandbild hatte. „Was ich nicht wusste ist, dass die sprachlichen Verschiedenheiten so gigantisch sind!“ Er bekräftigt: „Ich hab die Sprache nicht verstanden! Dort wurde Schwäbisch geschwätzet. Da dachte ich, jetzt bin ich in Deutschland, aber nicht unter Deutschen! Es war ein richtiger Kulturschock. Enorm, welche Sprach- und Mentalitätsbarrieren es allein zwischen Bayern und Baden-Württemberg gibt“, stellt er fest. Hinzu kam die fehlende Willkommenskultur. „Wir waren die Ausländer. Das hat man zu spüren bekommen.“ 

Auch der Kontakt zu den mitausgewanderten Landsleuten, von denen viele in Heilbronn wohnten, weil dort das Übergangsheim lag, war nicht immer erfreulich. „Wenn ich in den Laden gegangen bin, haben mich die Leute auf Sächsisch angesprochen. Aber Dialekt nimmt man mit der Muttermilch auf  - ich hab nie Sächsisch gelernt“, erklärt der Sohn einer, wie er sagt, „transsilvanisierten Wienerin“. Dann hieß es vorwurfsvoll: „Wie kann das sein, dein Vater ist ein so guter Siebenbürger Sachse!“ „Ich hab mich eingeengt gefühlt. Wir sind dann bald in ein anderes Viertel gezogen, damit die Kinder nicht in diesem Mief und als Siebenbürger großwachsen“, gesteht Gündisch. „Ich bin gekommen, um eine neue Existenz anzufangen. Die Kinder sollten sich wohlfühlen. Ob sie sich später der Heimat ihrer Eltern verbunden fühlen, ist ihre Sache.“

Blick über den Tellerrand

Den Drang, aus dem eigenen Saft raus zu müssen, hatte er schon einmal verspürt. „In Hermannstadt pflegten die Sachsen ihre eigenen Kränzchen, ihre Kultur und Subkultur, Kontakte mit Rumänen gab es nicht“,  reflektiert er aus der Kindheit. Dies änderte sich schlagartig mit dem Studium in Klausenburg, das ihn in eine multikulturelle Welt katapultierte. Dort lernte er die rumänische und die ungarische Kultur kennen. „Ich hab mit beiden sehr enge Kontakte knüpfen können, die mich aus dem kleinstädtischen Mief herausgeführt haben – das können Sie ruhig so schreiben“, lacht er auf - „und die diesen latenten Gegensatz Rumänen-Sachsen auf eine ganz andere Ebene gebracht haben, was das Zusammenleben der Völker bedeutet.“ 

„Doch mein erster Ausbruch aus diesem kleinstädtischen Milieu war Temeswar gewesen“, erinnert er sich an den Besuch bei einem Freund des Vaters aus der Zeit der Zwangsarbeit am Kanal. „Schick doch mal deinen Sohn zu uns“, hatte dieser den damals 16-Jährigen ins Banat eingeladen. „Dort hab ich erstmals Multikulturalität erlebt - und Großstadt“, begeistert sich Gündisch. „Diese Leute konnten Deutsch, Ungarisch, Rumänisch und Serbisch, sie haben mich ins jiddische Theater, ins deutsche Theater, in die rumänische oder ungarische Oper geführt, und wenn das Telefon klingelte, haben sie mit dem Partner in dessen Sprache gesprochen. Ein ganz anderer Meltingpot als diese Apartheit in Hermannstadt! Das hat mich schwer beeindruckt.“ Multikulturalität erlebte er auch später mit seiner Ehefrau, halb Sächsin, halb Banaterin, deren Vater aus einem im Ersten Weltkrieg geteilten Ort kommt. Und natürlich auch ein wenig in der eigenen Familie: der Vater stammt aus Heltau/Cisnadie, die Mutter aus Wien.
Beide Eltern waren Historiker, wie auch der Großvater. So gab es zuhause ein Bücherangebot, das dem Heranwachsenden früh Einblicke in eine Welt eröffnete, die seinen Erlebnishorizont überstieg. „Alle sagten, klar, dass du Historiker wirst – stimmt nicht!“ stellt Konrad Gündisch richtig. Der Vater, der drei Jahre Zwangsarbeit am Kanal verrichten musste, hatte immer gefordert: „Meine Kinder müssen etwas Ordentliches lernen. „So sind meine Geschwister alle Ingenieure. Bis auf eine Schwester, die ist Geschichtslehrerin geworden.“ 

Ihn selbst hatte sein Geschichtslehrer Nikolaus Hubert am Brukenthal-Gymnasium mit dem Virus infiziert: „Er brachte Geschichte lebendig. Die Stunden mit ihm waren für alle ein Erlebnis! Und für mich dieses Herausbrechen aus einer traditionellen Geschichtsschau. Er hat die Zusammenhänge der Weltpolitik erklärt, das fasziniert mich bis heute.“ „Dieser Lehrer ist früh nach Freiburg ausgesiedelt“ fügt er an, „und hat mir von dort immer wieder Bücher geschickt – moderne Bücher, auch zur Vergangenheitsbewältigung in der Nachkriegszeit.“

Die Einmachgläser-Revolution

„Ich hab die Realität in Deutschland intensiv verfolgt, auch wegen dieses zeitgeschichtlichen Interesses“, bekräftigt der auf Mittelalter spezialisierte Historiker. Er las die „Zeit“, hörte „Deutsche Welle“, setzte sich mit der Studentenrevolution der 68er-Jahre auseinander. „Wir hatten ja auch unsere Revolution damals“, erinnert er sich plötzlich: „Es war zu Ostern, da sind wir zum ersten Mal mit den rumänischen Kollegen zur Auferstehungsfeier gegangen, um das mitzuerleben, ein schwer beeindruckendes Phänomen!“ Doch als sie aus der Kirche kamen, seien überall Securisten gewesen. „Der Ceaușescu hatte mitbekommen, dass die Studenten alle zur ‘Inviere’ gehen“. Er muss wohl ähnliche Aktionen wie in Deutschland befürchtet haben, mutmaßt Gündisch. „Jemand rief: ‘Wir müssen zusammenbleiben!’, und so sind wir geschlossen zu den Heimen gegangen, die Schlapphüte hinterher, wir auf unsere Zimmer“, erzählt er weiter, „und dann hat die ‘Borcanade’ begonnen!“ -  „Naja, es gab ja nicht das beste Essen in der Mensa“, holt er erklärend aus. „Da haben einem die Eltern ‘borcane’ (Anm.: Einmachgläser) geschickt, Schmalz mit Fleisch, die gab man dem Busfahrer mit, so hatte jeder seine. Die standen alle draußen auf dem Fensterbrett.“ Ein spitzbübisches Grinsen zieht sich über sein Gesicht: „Die haben wir dann fallenlassen: Wasser rein, runter - bumm! Da haben sich die Securisten zurückgezogen. Am nächsten Tag lag da soo eine Schicht Glas! Doch sie waren schlau“, fährt er fort, „und haben nichts unternommen.“ Am Folgetag wurden einfach Ferien erklärt und alle Studenten fuhren heim. 

Das Siebenbürgen-Virus kehrt zurück

In Marburg erhielt Gündisch seine erste Wissenschaftlerstelle. An der Uni Tübigen konnte er endlich promovieren, was ihm in Klausenburg verwehrt geblieben war, weil Genossin Elena Ceau{escu in der Prüfungkommission saß. „Warum befasst sich der Kandidat mit den Ausbeutern und nicht mit den Ausgebeuteten?“ kritisierte sie seine Arbeit über das Patriziat. „Die Unterlagen hab ich dann nach Deutschland mitgenommen...“ 1993 kam er ans Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) in Oldenburg, wo er zwei Jahrzehnte wirkte, zuletzt als stellvertretender Direktor, und als Honorarprofessor an der Uni lehrte. Er wurde Mitglied im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde: „Heute ist das meine Heimat und das möchte ich nicht missen.“ Doch schmunzelnd erinnert er sich: Wenn damals ein Anruf kam und die Kinder abhoben, hieß es mürrisch: „Schon wieder so ein Siebi von dir...“ 

„1987 hat mein Vater den Kulturpreis bekommen, da haben wir sie, sechs und sieben, dann zum ersten Mal nach Dinkelsbühl mitgenommen. Das war ein Schock für sie! Ständig hieß es, ‘ach so ein süßes Kind, ganz die Mama, ganz der Papa’. Die sind dann nur noch zu meiner Kulturpreisverleihung gekommen“ , erklärt er amüsiert. 
Konrad Gündisch hat nie einen Kult aus seiner siebenbürgischen Heimat gemacht, kein Haus behalten oder gekauft, „obwohl es mir schon gefallen hätte, wenn die Kinder einen Ort der Beheimatung in der Heimat ihrer Eltern gehabt hätten.“ 1984 ausgewandert, die Töchter waren zwei und vier, wollte er ihnen diese 1991 zumindest zeigen. „Wir haben in Michelsberg gewohnt, in einem Haus, das im Zuge des Exodus fluchtartig verlassen wurde - da lag wirklich noch der Pyjama im Bett und der Hund im Hof, der Bobby - die Kinder heulten Rotz und Wasser, als wir den nach drei Wochen wieder dort lassen mussten.“ Da war es für sie noch ein zwiespältiges Gefühl gewesen, vielleicht auch, weil sie zum ersten Mal über den Hof zur Toilette gehen mussten. 

Irgendwann aber hat die Töchter dann doch das Siebenbürgen-Virus gepackt - als sie schon größer waren und ganz von alleine. „Heute bekennen sie sich als Siebenbürger Sachsen - das hat sich verändert. Die eine macht sogar ein bisschen Genealogie“ erklärt Gündisch. Schmunzelnd bekräftigt er: „Aber Dinkelsbühl – nein!“

Vom Historiker zum Manager

Das verlassene Haus in Michelsberg - er hätte es damals kaufen können, für einen Appel und ein Ei. Heute wäre es mehr als 100.000 Euro wert, gesteht er und meint entwaffnend: „Ich war nie ein guter Geschäftsmann!“ Doch Konrad Gündisch ist gut darin, sich ständig neu zu erfinden. Der Neuaufbau des IKGS (Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südost-europas) in München geht auf sein Konto, zwei Jahre lang befasste er sich damit, anstatt mit 65 in den Ruhestand zu gehen. „Eine Chance, endlich etwas selbst gestalten zu können“, so betrachtete Gündisch die Herausforderung. Dann klopfte man wegen Schloss Horneck an seine Tür. Vergeblich versuchte er, abzuwimmeln: „Ich bin kein Manager.“ Er lacht. „Sobald man in Rente geht, kommen die Hyänen und sagen, du hast jetzt Freizeit, und fressen sie dir weg.“ Entwaffnend fügt er an: „Ich kann eben nicht nein sagen...“ 

In seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins „Siebenbürgisches Kulturzentrum Schloss Horneck“ musste sich der Historiker mit dem Umbau des alten Gemäuers als modernes Kultur- und Begegnungszentrum auseinandersetzen. Was das bedeutet? „Mich mit Gesetzen herumschlagen, zu sehen, wie sie nicht miteinander verzahnt sind, Verzahnung herstellen, Widersprüche auflösen“, zählt er auf und scherzt: „Ich hab selbst nie ein Haus gebaut, doch heute bin ich Bauherr. Noch dazu von einem Schloss!“