Vom Stammtisch zum geschätzten Wirtschaftsclub

Elf Jahre lang leitete Ludger Thol den Deutschsprachigen Wirtschaftsclub Nordsiebenbürgen

Ludger Thol gibt nach elf Jahren die Leitung des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Nordsiebenbürgens weiter.
Bild: DWNT

Im Mai dieses Jahres hat Ludger Thol den Vorsitz des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Nordsiebenbürgen (DWNT) abgegeben. Aufgewachsen in der Nähe von Freiburg, hat Thol in Karlsruhe Bauingenieurwesen studiert und kam 2003 für ein erstes Projekt nach Klausenburg. Dazu gründete er die rumänische Niederlassung seines damaligen Arbeitgebers und später zwei weitere Unternehmen. Heute bietet er mit der LMT Ingenieure SRL deutschen Investoren in Rumänien Baudienstleistungen von der Projektplanung bis hin zur Bauüberwachung an und erstellt für Bauvorhaben in Deutschland Schal- und Bewehrungspläne. Über den DWNT, der heute über 100 Mitgliedsfirmen zählt, und die wirtschaftliche Entwicklung von Klausenburg in den vergangenen knapp zwanzig Jahren sprach er mit ADZ-Redakteur Michael Mundt.

Sie sind bereits im Jahr 2003 nach Klausenburg gekommen. Wie hat sich die lokale Wirtschaft in diesen nun fast zwanzig Jahren verändert?

Als ich nach Klausenburg kam, waren nur wenige ausländische Firmen hier ansässig. Die regionale Wirtschaft war im Umbruch und kämpfte ums Überleben, auch die Arbeitslosigkeit war relativ hoch. Mit der Wahl von Emil Boc zum Bürgermeister im Jahr 2004 begann sich Klausenburg – später als andere große Städte in Rumänien – für ausländische Investoren zu öffnen. 

Die guten Rahmenbedingungen wie der internationale Flughafen, die bekannten Universitäten, die hohe Verfügbarkeit von Arbeitskräften und das große kulturelle Angebot zog ausländische und insbesondere auch deutsche Firmen an. Heute ist Klausenburg eine pulsierende, multikulturelle Großstadt mit sehr niedriger Arbeitslosigkeit.

Welche Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum haben sich denn in Klausenburg angesiedelt? Konzentrieren sich diese auf bestimmte Wirtschaftsbereiche?

Bedingt durch die späte Öffnung Klausenburgs für ausländische Investoren hatten sich die großen Firmen schon in anderen Städten wie Temeswar, Hermannstadt, Kronstadt und Bukarest angesiedelt. Daher sind mit Bosch, E.ON oder auch Siemens nur wenige deutsche Großfirmen in Klausenburg vertreten. Darüber hinaus gibt es aber viele mittelständische Firmen aus den unterschiedlichsten Bereichen, aber mit einem Schwerpunkt in IT. 

Welche wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Ziele verfolgt denn der DWNT?

Unser Anliegen ist ein stärkeres und gemeinsames Auftreten aller deutschen Firmen und Institutionen – als deutsche Gemeinschaft in der Stadt. Als Non-Profit-Organisation haben wir keinerlei wirtschaftliche Ziele. 

Bezüglich der Qualifizierung von Arbeitskräften liegt in Klausenburg allerdings noch einiges im Argen. Die wenigen hier vertretenen Großfirmen helfen sich selbst mit eigenen Ausbildungszentren. Doch es fehlen die Initiatoren und Sponsoren für die flächendeckende Einrichtung eines deutschen dualen Ausbildungsgangs in Zusammenarbeit mit den rumänischen Berufsschulen. Gut ausgebildete Arbeitskräfte will jede Firma, sich finanziell dafür engagieren aber nur wenige.

Bei den Veranstaltungen des DWNT sind stets auch Vertreter aus der lokalen Politik vertreten. Welche Funktionen nimmt der Club gegenüber diesen Akteuren wahr?

Laut Satzung sind wir ein apolitischer Verein. Die Kontakte mit lokalen Politikern sind informativer und beratender Art. Wir unterstützen beispielsweise die Stadt oder den Kreis bei Themen wie der Ansiedlung neuer Firmen, zeigen Missstände auf und vertreten unsere Mitglieder, falls diese Probleme haben. 

Aber auch bei Fragen zur Entwicklung von Klausenburg sind wir beteiligt. Beispielsweise war der DWNT in den letzten Jahren zusammen mit der Stadt und dem Kreis an dem von „Transylvania Evolution“ organisierten Messestand auf der EXPOREAL (Fachmesse für Immobilien und Investitionen) in München vertreten.

Wie unterstützen sich denn die Mitglieder und welche Veranstaltungen bietet der DWNT an?

Im Rahmen unserer Mitgliederabende tauschen sich die Teilnehmer aus, diskutieren untereinander über Geschäfte, Erfahrungen und Ziele. Um aber auch weiterreichende Kontakte außerhalb des Clubs knüpfen zu können, hat der DWNT drei Großereignisse im Jahr eingeführt: Den Neujahrs-Businessempfang, das gesellige Sommerfest und das dreitägige Herbstfest. Alle drei Veranstaltungen bieten ideale Voraussetzungen für Networking.

Zuletzt haben Sie mit dem französischen Wirtschaftsclub eine Gesprächsrunde zum Thema Bildung als Voraussetzung für Wirtschaftswachstum in Rumänien veranstaltet. Was war die Quintessenz der Diskussion?

Bildung ist der Schlüssel für sozialen und gesellschaftlichen Aufstieg, zumal wenn das Land nicht reich an Bodenschätzen ist. Somit basiert auch in Rumänien eine starke Wirtschaft auf Bildung. Aller-dings ist nicht nur Hochschulbildung wichtig, sondern eben auch die Berufsschulbildung. Facharbeiter braucht das Land.

Klausenburg wird insbesondere mit einem aufstrebenden IT-Sektor in Verbindung gebracht. Doch ist die Stadt eher mit San Francisco oder Bangalore zu vergleichen?
In der Tat ist der IT-Sektor in Klausenburg in den letzten Jahren immer stärker gewachsen. Das Rathaus spricht gerne vom Silicon Valley, was ich allerdings für etwas übertrieben halte. Die IT-Werbekampagne für Klausenburg lockt immer mehr kleine und mittelständische IT-Firmen an, mit dem Ergebnis, dass die Gehälter in diesem Bereich stark steigen, da die Nachfrage nach ausgebildetem IT-Personal größer ist als das Angebot. 

Wenn das so weiter geht, wird Klausenburg wegen zu hoher Gehälter für deutsche IT-Unternehmen nicht mehr interessant sein. Die Branche zieht dann weiter in Niedriglohnländer, um wirtschaftlich agieren zu können.

Gibt es neben den geringeren Lohnkosten besondere Gründe oder Ursachen für die Attraktivität von Klausenburg bei Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum oder generell ausländischen Unternehmen?

Die Attraktivität und Anziehungskraft für ausländische Unternehmen sind der internationale Flughafen, die über die Grenzen hinaus bekannten Universitäten sowie ein riesiges Kultur- und Sportangebot. Die Stadt hat ein eigenes Büro als Anlaufstelle für ausländische Investoren eingerichtet. Für die deutschen Firmen sind die deutschsprachigen Studiengänge an der Babe{-Bolyai-Universität (UBB) und der Technischen Universität sicher ein zusätzliches Argument.

Wie sehen die Kooperationen des DWNT und seiner Mitglieder mit den deutschsprachigen Studiengängen der beiden großen Universitäten in der Praxis aus?

Sowohl zur Babe{-Bolyai-Universität, und hier insbesondere zur Wirtschafts- und zur IT-Fakultät, als auch zur Technischen Universität – hier insbesondere zur Maschinenbaufakultät – unterhält der DWNT enge Beziehungen. Einige unserer Mitglieder engagieren sich bei Workshops, Seminaren oder halten auch Praxis-Vorlesungen. Zudem ist ein Kooperationsvertrag zwischen der UBB und dem DWNT geschlossen worden, der die Basis der Zusammenarbeit bildet.

Klausenburg strahlt weit über Nordsiebenbürgen hinaus. Welche Auswirkungen hat die enorme Anziehungskraft der Stadt für kleinere Städte wie Zillenmarkt oder Armenierstadt?

Die Bevölkerung der kleineren Städte in der Umgebung von Großstädten wie Klausenburg veraltet und stirbt aus. Die jungen Leute ziehen in die Stadt, um zu studieren oder zu arbeiten, denn in den kleinen Orten gibt es für sie keine Zukunftsperspektiven. Schon heute gibt es entlang der Bundesstraßen in ländlichen Gebieten ziemlich unbewohnte „Geisterdörfer“ mit vielen leer stehenden Häusern.

Große Projekte und Veranstaltungen haben Klausenburg auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht. Doch was sind die nicht so offensichtlichen Dinge, die sich in den vergangenen Jahren verändert haben?

Als nicht politische Organisation haben wir viele Veränderungen im Bereich der Politik beobachtet, uns aber nicht öffentlich damit auseinandergesetzt. Auch die Kurzlebigkeit von immer wieder neuen Gesetzen und Notverordnungen machten uns häufig nur ratlos und kopfschüttelnd. Intern setzen wir uns natürlich mit diesen Entwicklungen auseinan-der, da wir uns auf geänderte Lagen und Situationen einstellen und das Beste draus machen müssen. Letztendlich sind wir Gast in diesem Land und müssen die politische Kultur, die Mentalität der Menschen und die rumänische Lebensart akzeptieren.

Warum geben Sie nach elf Jahren den Vorsitz nun ab, und vor welchen Aufgaben steht ihr Nachfolger?

Seit der Gründung bis heute habe ich den DWNT gemeinsam mit den jeweiligen Vorstandsmitgliedern vom Stammtischclub zu einem anerkannten, geschätzten und weit über die regionalen Grenzen hinaus bekannten Wirtschaftsclub mit über 100 Mitgliedern entwickelt. Nach elf Jahren ist es Zeit, die Führungsaufgabe in jüngere Hände zu geben. Die Aufgabe des neuen Vorstandes ist es, den DWNT mit neuen Ideen entsprechend der Herausforderungen der Zukunft zu führen. In dieser multikulturellen Umgebung muss der DWNT unter Beibehaltung seiner Identität seinen Platz finden.

Ludger  Thol wurde  in  Essen geboren und  studierte von 1978 bis 1983 an  der  TH  Karlsruhe  (heute  KIT)  Bauingenieurwesen. Anschließend arbeitete er als Statiker, Oberbauleiter und Prokurist in verschiedenen Firmen, gründete 2003 die REIF Construct SRL und 2006 die LUPP Projekt Transilvania SRL. Seit 2016 ist er als Gründer Geschäftsführer der LMT Ingenieure SRL, zwischen 2012 und 2016 war er Vorstandsmitglied der Deutsch-Rumänischen Außenhandelskammer (AHK), im selben Jahr wurde er auch Vorstandsvorsitzender des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Nord Transilvanien (DWNT). Darüber hinaus ist er seit 2014 Ehrensenator im Großen Senat der Babe{-Bolyai-Universität in Klausenburg.