Von sprechenden Tieren und Schranken

Ein Interview mit dem österreichischen Künstler Ovidiu Anton

Der Künstler Ovidiu Anton | Foto: Argyro Toumazou

„53,32 m2 Straßenschranken“ (2014) | Foto: Ovidiu Anton. Christine König Galerie

Haben Sie sich jemals das Zusammenleben von Mensch und Hund als eine aus dem Gesichtspunkt des letzteren unnütze Freundschaft, sondern eher als ein Abhängigkeitsverhältnis vorgestellt? Oder die Hundeleine mit Halsband als „tragbaren Zaun“? Was halten Hunde überhaupt von den menschlichen Sozialnormen und Stadtplanung? Zu Fragen wie diesen und vielen anderen, die zu einer indirekten Gesellschaftskritik beitragen, haben sich der in Temeswar gebürtige österreichische bildende Künstler Ovidiu Anton zusammen mit dem in Deutschland ansässigen Soziologen Alexandru Bălășescu in ihrem sogenannten DOGumentarfilm „Riecht nach dem Paradies“ geäußert. Nicht persönlich problematisieren die Filmautoren die Themen Freiheit, Migration und Grenzen durch die Kinokunst, sondern sie verleihen Tieren menschliche Stimmen als Verfremdungseffekt. 
„Riecht nach dem Paradies“ stellt zwei Hunde, zwei Städte, zwei Stimmen einander gegenüber: Eine weibliche und eine männliche. Auf der einen Seite wird ein streunender Hund aus Bukarest – aus der Zeit, als diese Vierbeiner permanent in der Stadt anzutreffen waren –, vorgestellt, der von einer Wiener Familie adoptiert, domestiziert und in eine Mensch-Tier-Beziehung integriert und damit in ein bequemes, aber auch stark reguliertes System eingebettet wurde. Auf der anderen Seite steht eine Hündin aus Wien, die zusammen mit ihren Besitzern in der rumänischen Hauptstadt „zu Besuch“ ist. Weil der Drang nach Freiheit zu groß ist, flieht das Tier und verschwindet „im urbanen Dschungel der postsozialistischen Gesellschaft“, lernt eine neue Lebensweise kennen, mit anderen Zwängen und Freiheiten, in Abwesenheit jeglichen menschlichen Schutzes oder Hilfe.
Der Film wurde 2017 zum ersten Mal in Rumänien präsentiert, während Ovidiu Antons persönlicher Ausstellung „Home is where my problems are“, im Rahmen des Projekts „Future Museum“ des Tschechischen Kulturzentrums in Bukarest, und Ende März 2021 wurde er eine Woche lang, wie damals in der ADZ angekündigt, online auf der Website des Österreichischen Kulturforums Bukarest als Beitrag zum Jahresthema „Migration“ gezeigt.
Das vorliegende Interview beruht auf einem Telefongespräch der ADZ-Redakteurin Cristiana Scărlătescu mit Ovidiu Anton über den DOGumentarfilm und andere seiner Kunstprojekte. 

Wie ist es zum Projekt dieses Dokumentarfilms in Zusammenarbeit mit dem Soziologen Alexandru Bălășescu gekommen? Wann haben Sie ihn kennengelernt und wem ist die Idee eines Doku-Films mit Hunden als Hauptdarsteller eingefallen?
Herrn Alexandru Bălășescu habe ich 2013 beim rumänischen Kulturinstitut in Istanbul während meines Aufenthalts für das ursprüngliche Projekt mit sprechenden Tieren kennengelernt. „Street cat deluxe“ hieß die Monolog-Reihe, an der ich zu dem Zeitpunkt arbeitete. Daran haben sich sechs aus unterschiedlichen sozialen Milieus stammende Personen beteiligt und aktuelle Themen ihrer Gesellschaft diskutiert. 
Dann habe ich zum ersten Mal Tiere, genauer gesagt Katzen, als Vertreter der Sprecher in einem Video benutzt. Unter den Sprechern war auch Herr Bălășescu, und ein Paar Jahre später haben wir das Folgeprojekt „Riecht nach dem Paradies“ für den Wettbewerb „Create your Bukarest“, der 2015 vom MAK (Wiener Museum für angewandte Kunst) im Rahmen der ersten Ausgabe der „Vienna Biennale“ veranstaltet wurde, gemeinsam entwickelt. 
Dabei wird die Geschichte von den Tieren aus ihrer Perspektive erzählt und mit Kommentaren, Aperçus und philosophischen Spekulationen über das Zusammenleben von Hund und Mensch sowie über Themen wie Exil, Migration, Stadtplanung und politische Machtverhältnisse ausgestattet. Zoomorphisierung ist als Verfremdungseffekt zu verstehen, aber auch als künstlerischer Versuch, die Grenze zwischen Mensch und Tier aufzulösen und eine Form des Miteinander zu insinuieren, die auf Enthierarchisierung des Verhältnisses zielt.

Das Projekt „Riecht nach dem Paradies“ war sogar der Gewinner des Wettbewerbs: „Die Geschichte des heutigen Bukarest zu erkunden, indem die gegensätzlichen Leben von zwei Stadthunden nacherzählt werden, ist eine ungewöhnlich eloquente, prägnante und originelle Form der Auseinandersetzung mit kritischen und oft schmerzhaften Themen der heutigen Gesellschaften“, begründete damals die fünfköpfige Jury ihre einstimmige Entscheidung. 
Behandelt werden darüber hinaus aktuelle Themen wie die  Auswanderung, das Exil, politische Machtverhältnisse, der Umgang des Gaststaates mit Migranten usw. Auch Sie haben Migrationshintergrund. Schildert der Film etwa in einem gewissen Maße Aspekte Ihrer eigenen Erfahrung als rumänischer Emigrant in Österreich?

In geringem Maße, ja. Der Film ist jedoch nicht autobiografisch. Mein Vater hat es als erster aus unserer Familie gewagt, gleich nach der Wende auszureisen. Ein Jahr später sind 1991 meine Mutter, meine Schwester und ich ihm nach Österreich gefolgt. 
Mit der Auseinandersetzung mit der Problematik der Auswanderung habe ich erst später, während meines Studiums begonnen, da ich mir den Auswirkungen der Migration zur Zeit unserer Umsiedlung nach Österreich als 8-Jähriger nicht bewusst war. Damit setzte ich mich auch 2010 in meiner Diplomarbeit „Zeit totschlagen und Umgebung beobachten“ auseinander. Diese besteht aus zwei Dia-Projektionen und zwei Audiointerviews mit meinem Vater, in denen er über seine Erfahrung und die Eindrücke beim Verlassen des Heimatlandes erzählt.

Was hat Ihnen beim Anpassungsvorgang geholfen? Haben Sie einen Bewältigungsmechanismus, wie etwa der nach Deutschland ausgesiedelte Besitzer des Hundes aus dem Film, der manchmal auf Spaziergängen mit seinem Vierfüßler auf Rumänisch, seiner Muttersprache, redet – oder haben Sie einfach ein Haustier angenommen?
Als introvertierter Mensch habe ich viel Sport getrieben und Fußball gespielt. Familie und Lehrer haben für meine Integration gesorgt. Meine Eltern haben immer viel Wert auf gute Bildung gelegt, und obwohl ich in der Schule ziemlich viel unter dem Druck litt, habe ich die ganze Sache gut gemeistert.

Die Parabel der Hundeadoption trifft meiner Meinung nach den Nagel auf den Kopf, was die Aufnahme der Migranten vom Gastgeberland betrifft. Wo fühlen Sie sich zu Hause und was bewahren Sie immer in Ihrem Sinn von der alten Heimat?
Die Frage lässt sich in meinem Fall schwer beantworten. Ich würde sagen, dass eher Österreich mein Zuhause ist, und dies hat mit der Kindheit und der Adoleszenz zu tun, wenn man seine Persönlichkeit formt. Die Lebensgeschichten der Freunde aus Rumänien klingen mir fremd, weil ich hier ziemlich andere Erfahrungen machte. Und alles kommt auf die Sprache an. Spreche ich eine andere Sprache als Deutsch, so ändert sich meine Identität. Wenn ich nach Rumänien komme, spreche ich Rumänisch, das ich zwar nie vergessen habe, aber worin ich jedoch ein bisschen Übung brauche. Ich würde Rumänien meine kleine Heimat nennen, denn hier bin ich ein anderer Mensch. Trotzdem empfinde ich „Heimat“ als ein schweres, politisch gefärbtes Wort. 

Wer hält Sie auf dem Laufenden mit den Nachrichten aus Rumänien? Erfahren Sie die Neuigkeiten von Verwandten, Freunden oder aus den Medien?
Ich bin ein sehr politisch engagierter Mensch und habe aber in letzter Zeit beschlossen, wegen der andauernden Korruption mich kaum noch über die politische Landschaft in Rumänien zu informieren. 
Vor der Künstlerkarriere war ich in den 2000er Jahren als Ökoaktivist viel in Rumänien mit der NGO „Green Peace“ unterwegs. Waldgeschichten, Nachrichten über illegale Abholzungen und die umweltschädliche Goldgewinnung in Roșia Montană sind mir alle bekannt, und in diesem Zusammenhang bin ich bestens informiert.

In Ihren Werken behandeln Sie durch Film, Fotos, Holzinstallationen, Performances und Grafiken Themen der Raum- und Zeitdarstellung, Grenzen und Wiederverwertung. Besonders überraschend wirken vor allem die Installationen mit hölzernen Straßenschranken in einer Galerie, und sie sind auch ein wiederkehrendes Motiv. Wie verschaffen Sie sich die fertigen Dinge oder die Rohstoffe, und welche Bedeutung tragen sie in sich?
Kleine Straßenschranken nehme ich einfach, und in gewissem Maße grenzt dies an Diebstahl, jedoch verläuft alles nach einem Programm. Dadurch erziele ich es, Straßenkunst zu schaffen. Zum Bau der großen Holzinstallationen wie „53,32 m2 Straßenschranken“, die 2014 in der Rotor-Galerie in Graz ausgestellt wurde, verschaffe ich mir von Baustellen Bretter, die ich wiederverwerte, neu baue und weiß-rot streiche. Sie verweisen auf Sozialnormen sowie auf eine gewisse Einschränkung des öffentlichen Raums.

Welche Projekte planen Sie für die Zukunft?
Gegenwärtig bereite ich zwei Ausstellungen vor, die am 25. bzw. 27. Mai in der österreichischen Arbeiterkammer und bei der Christine-König-Galerie jeweils in Wien eröffnet werden. Die beiden Ausstellungen sind das Ergebnis meines sechsmonatigen Rechercheaufenthalts in den USA an der Grenze zu Mexiko, dank der Förderung durch das „MAK-Schindler-Stipendium“. 
Durch meine Skulpturen versuche ich, einen kleinen Teil der 3500 km langen Mauer, die der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump gebaut hat, als Flickwerk nachzubauen. Kunstliebhaber sind gern zu beiden Vernissagen eingeladen. Meine anderen Werke können sie auf der Website ovidiuanton.com sehen.

Wir bedanken uns herzlich für das angenehme Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!