Vor 70 Jahren: Baragan- und spätere Zwangsumsiedlungen

Letzte Banatdeutsche Familien verließen vor 58 Jahren die Dörfer Rubla und Răchitoasa

Das stattliche Haus der Familie des Anton Hochstrasser in Lenauheim (Hauptgasse) aus dem Jahr 1922 zeigt einiges vom Wohlstand und Besitz, der 1945 enteignet und dann 1951 noch zum Verhängnis wurde.
Foto: aus dem Familienbesitz Peter Hochstrasser.

In den meisten Veröffentlichungen zur Baragan-Deportation vor 70 Jahren wird die Zeitspanne von Juni 1951 bis Ende 1956 behandelt, die Periode, die tatsächlich die absolute Mehrheit der insgesamt rund 44.000 Deportierten betraf, die nahezu fünf Jahre Verbannung. Dieser Massenumsiedlung aus dem Grenzraum Südwestrumäniens, einschließlich der Türken der Insel Ada Kaleh, waren jedoch schon früher Zwangsumsiedlungen von Familien als Strafmaßnahme vorausgegangen – nicht zu verwechseln mit den Internierungen von Einzelpersonen nach dem 23. August 1944. 

Das CNSAS-Archiv hat dazu kürzlich viele weitere Dokumentseiten zu Einweisungen in Arbeitslagern und Zwangsaufenthaltsorten ins Internet gestellt, beginnend mit 1945 und bis in die 60er Jahre. Darunter auch die Dokumente mit den Namenslisten der überprüften Zwangsumgesiedelten, worin angegeben wird, welche bleiben und welche freigelassen werden sollten . Unter anderem gab es dazu beim Innenministerium eine „Kommission zur Überprüfung der Umgesiedelten mit Zwangsaufenthalt in den neuen Dörfern“ und eine Abteilung „D. O.“, also Zwangsdomizil.

Auch nach den „Schwarzen Pfingsten“ 1951 – dem Tag der Deportation – war der Klassenkampf-Beschluss des Innenministeriums bzw. der Parteiführung aus dem Jahr 1949 weiter in Kraft, und diese Art der Bestrafung ohne Prozess und Urteil wurde bis weit in den 60er Jahren vollzogen. Das traf auch auf die unterschiedlichen Verlängerungen zu, die Familien mit Zwangsdomizil im Baragan ohne Begründung auferlegt wurden, von einem Jahr bis zu zwölf und mehr Jahren (nicht mehr aus politischen Gründen, sondern aus „dienstlichen“, also Unabkömmlichkeit, später auch freiwillig wegen Mischehen). Es gab auch Fälle früherer Entlassungen und von Enthebungen, so beispielsweise bei einer Gruppe von 90 Familien, die nicht zu den „Ausbeutern“ gehört hatten, deutsche Familien waren aber keine dabei. 

Durchwegs fanden alle Maßnahmen von Anfang an unter strenger Überwachung des Staatssicherheitsdienstes und der Miliz sowie der regionalen Parteispitzen statt. Das belegen die erhaltenen Deportationsakten. Die vorgegebenen Kriterien der Deportations-Verordnung (Decizie) wurden aber auch bis über die festgelegte 25-Kilometer-Zone eingehalten, ob es sich beispielsweise um einen rumänischen Schafhirten aus Bruckenau (Pișchia) handelte oder den deutschen Kreisarzt und Arzt-Hauptmann der rumänischen Armee Dr. Hans Bürger in Jahrmarkt (Giarmata), dessen Geburtsort in der Grenzzone lag. Den lokalen Gemeindebehörden waren durch die Vorgaben in der „Decizie“ in Bezug auf eigene Entscheidungen und Übergriffe Grenzen gesetzt. Schon Tage vorher sorgte die Miliz mit Lügen und Tricks dafür, dass betroffene Personen heimkehrten, damit sie deportiert werden konnten. 

Es ist bekannt, dass bei der Durchführung der Deportation über mehrere Tage in allen betroffenen Ortschaften Beobachter seitens der Partei zugegen waren, die zeitnah telefonisch und schriftlich vor allem über die „Stimmung“ in der Gesamtbevölkerung berichteten, auch kritisch. Es wurden mehrfach verschiedenartige Unregelmäßigkeiten und Übergriffe gemeldet. Über Maßnahmen gegen die Verursacher ist noch nicht recherchiert worden. Namentlich sind mindestens drei Banater Deutsche bekannt, die einen solchen Partei-Auftrag hatten. Leider sind diese Berichte bis heute, nach 70 Jahren, noch nicht veröffentlicht. 

Von Ada Kaleh bis Dobrudscha

Beispiele von Zwangsumsiedlungen weiterer Familien aus dem Banater Grenzgebiet nach 1951 innerhalb der Region können viele angeführt werden, so nach Lippa, Paulisch (beide Kreis Arad), Busiasch/Busiaș und Kalatscha/Călacea („Gemeinde Orzidorf“ steht meist in den Akten). Oft handelte es sich dabei um Deutsche, denen die Flucht aus Jugoslawien gelungen war, und um Familien, die aus den Nachbarländern stammten oder deren Familien-oberhaupt im Ausland geboren war, was in der Grenzregion durch Heiraten häufig vorkam. 

Betroffen waren aber von derartigen Übergriffen Menschen aus fast allen Landesteilen, so rumänische Familien aus den Westkarpaten, die Orte räumen mussten, wo für die Sowjetunion Uranerz abgebaut werden sollte, Familien aus der Dobrudscha, Krim-Tataren (Bsp. nach Vădeni und Tătaru Nou im Baragan), die vor der Roten Armee zu ihren „Brüdern“ geflüchtet waren, dann „Ausbeuter“-Familien aus Kreisen der Siebenbürger Sachsen, die ins Burzen- oder Szeklerland eingewiesen wurden (beispielsweise die Großindustriellen-Familie Scherg aus Kronstadt), und mazedorumänische wie aromunisch-albanische Umsiedler aus dem Kadrilater nach dem sogenannten Schiedsspruch von 1940, aber auch „politisch nicht zuverlässige“ türkische Familien von der Donauinsel Ada Kaleh sowie einige jüdische „Ausbeuter“-Geschäftsleute. 

Weitere Banater deutsche Familien wurden 1952 in Orte der Südbukowina gebracht, von wo Jahre vorher die altadeligen Großgrundbesitzer von ihren Gütern verjagt worden waren, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit – die reichen armenischen Barone von Capri gleichermaßen wie die rumänischen Freiherren von Grigorcea.

Politische Häftlinge

Eine weitere Gruppe mit Zwangsdomizil nach 1951 – in diesen Fällen meist Einzelpersonen – waren sogenannte „Politische“, in deren Baragan-Personalakten in der Rubrik „Categoria“ mit Rotstift das Kürzel CP (Condamnat politic/politisch verurteilt) eingetragen ist. Zu dieser Gruppe gehörten illegale „Grenzgänger“, „Titoisten“ oder beispielsweise die bekannte Gruppe siebenbürgisch-sächsischer Schriftsteller, die nach ihrer Gefängnisstrafe noch Zwangsaufenthalt hinnehmen mussten. Außerdem viele rumänische Intellektuelle, ehemalige Politiker sowie deren Familienangehörige, oder beispielsweise die Familie des Rechtsanwalts Schneider aus Temeswar, die enteigneten Eltern von Dipl.-Ing. Helmut Schneider, dem inzwischen verstorbenen Gründungsvorsitzenden des Hilfswerks der Banater Schwaben in Deutschland.

Die Verflechtung der ursprünglichen Umsiedlungsziele mit Dorfgründungen und der nachfolgenden Einweisung politischer Häftlinge in diese Dörfer erschwerte später die Lösung der Baragan-Frage nach der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Rumänien und Tito-Jugoslawien im Sommer 1954 und der Beseitigung der Hauptvertrauten Moskaus aus der Bukarester Parteispitze nach Stalins Tod 1953. Das Baragan-Problem wurde zum „gordischen Knoten“ der sich entspannenden Beziehungen der Ostblock-Staaten zu Jugoslawien, obwohl die Banater Serben und Kroaten mit etwa 860 Familien zahlenmäßig nur rund 10 Prozent der Zwangsumsiedler ausmachten, der Anteil der Deutschen betrug etwa 25 Prozent. 

Auch nach der Belgrader Erklärung vom 2. Juni 1955 – ihr folgte der Besuch von Staatschef Tito vom 24. bis 27. Juni in Rumänien – und der folgenden Moskauer Erklärung vom 20. Juni 1956 zur Normalisierung der sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen war die Freilassung der Baragan-Serben ein Schlüsselthema. Im Oktober des Jahres besuchte dann Partei- und Staatschef Gheorghiu-Dej Belgrad. Der im Bukarester Innenministerium zuständige Chef der Kommission zur Überprüfung der Personen mit Zwangsaufenthalt („Baragan-Mission“), der ungarisch-jüdische Siebenbürger Altkommunist und Geheimdienst-Oberstleutnant Wilhelm/Vilmos Einhorn (geboren 1911), wurde dann zum 1. Sekretär der Botschaft Rumäniens in Budapest wegbefördert. Für die Rückkehr der meisten Umsiedler aus der Steppe 1956 spielten jugoslawische diplomatische Einsätze eine wichtige Rolle. Daher waren die serbischen, kroatischen und bulgarischen Familien die ersten, die 1956 in ihre Dörfer zurückkehren durften.

Sonderfall Răchitoasa

Von der Familien- und Häuserzahl her war unter den 18 neugegründeten Orten „Giurgenii Noii“ der größte und lag ganz nahe an der Donau im Rayon Fetești, Region Konstanza (gegenwärtig Kreis Ialomița). Warum das Dorf – es gehörte zur Gemeinde Giurgeni – wie andere in der Baragan-Steppe damals umbenannt wurde, ist nicht ermittelt. Der angeführte „endgültige Name“ wurde etwa ab 1954 R˛chitoasa. Laut einer Statistik der „Securitate“ waren es 701 Familien, die das Dorf aufgebaut hatten, davon 310 deutsche, 312 rumänische (die bessarabischen mit erfasst), 48 serbische und 31 ungarische. Zu diesem Ort gibt es einen veröffentlichten Dorfplan in der wichtigen Dokumentation von Wilhelm Weber aus dem Jahr 1998. Ohne Entlohnung errichteten die Umgesiedelten das Gemeindehaus, die Milizdienststelle, das Schulgebäude, „Dispensar“ (Ambulanz-Gebäude) und alle anderen öffentliche Bauten. Kirchen durften nicht errichtet werden. Nach der Entlassung der Mehrheit der Familien aus diesem Dorf Ende 1956 mussten ein Dutzend Familien (deutsche und rumänische) ohne Begründung zurückbleiben. Die Entscheidung trafen die zuständigen Offiziere des Staatssicherheitsdienstes, der örtlichen Milizstellen sowie gelegentlich regionale Arbeitsämter. 

Aus manchen Begleitakten, die jetzt das Bukarester CNSAS-Archiv ins Internet gestellt hat, sind für uns heute die Kriterien teils herauszulesen, wie bei einer der zwei Lenauheimer Hochstrasser-Familien. In der oberen linken Ecke der Akte des Familienoberhauptes Anton H., Jahrgang 1897, sind die 50 Hektar Feld extra angeführt, obwohl sie bekanntlich schon 1945 komplett enteignet worden waren, einschließlich eines Teiles des Hausrates, der nicht angeführt wurde. Dazu ist mit Rotstift „Rămâne“ (Bleibt) vermerkt. Dass dieser Mann seinerzeit den rumänischen Gemeindesekretär Aurel Suciu (Notar) vor der Erschießung durch „Hitleristen“ gerettet hatte, spielte keine Rolle. Auch die Tatsache, dass die Mutter von Anton Hochstrasser, Magdalena Anton, und seine Ehefrau Anna Hochstrasser im Baragan gestorben waren, interessierte nicht. Beide Söhne wurden zudem aus der Verbannung zu drei Jahren Militärdienst eingezogen. Die Familie Hochstrasser bekam weder für die großen Häuser in Lenauheim noch für das Haus im Baragan eine Entschädigung. Anton H. starb 1975 bei seinem Sohn Peter in Grabatz.

Dass vor der Entlassung Rücksprachen mit den Partei- und Gemeindeführungen der Herkunftsorte geführt wurden, kann in diesen Sonderfällen unterstellt werden, weil bei diesen Familien die großen Häuser von staatlichen oder Grenzschutz-Einheiten, Gemeinde- oder Genossenschaftseinrichtungen belegt und inzwischen weitgehend umgestaltet worden waren. Es wäre den Gemeinden schlecht möglich gewesen, rasch den Vorgaben des Ministerratsbeschlusses 623 vom 14. April 1956 nachzukommen, obschon diesen durch einen Ministerratsbeschluss (HCM) vom 7. Dezember 1955 bekannt gemacht worden war, was die Häuser der Umsiedler betraf. Der Beschluss enthielt aber den auslegbaren Nebensatz, „die in ihren früheren Wohnort zurückkehren“ (durften). Außerdem ist nicht untersucht, wie die Stimmung in den Dörfern geschürt wurde, welche Folgen und Verluste die Verbannung von einer so großen Zahl von Familien aus einer Gemeinschaft über fünf Jahre nachhaltig mit sich brachte.

„Groß-Chiaburen“ und „Politische“ 

Die mit weiterem Zwangsaufenthalt härter bestraften Banater „Groß-Chiaburen“ lebten dann in dieser Siedlung mit etwa 400 (!) „Arrestanten“. Diese wenigen Familien und die „Politischen“ machten vor der großen Amnestie 1963 und 1964 sowie der Begnadigung 1964 auch diesen Ort platt, Zeitzeuge war der Lenauheimer Peter Hochstrasser, heuer 87 Jahre alt. Offiziell erfuhr Peter Hochstrasser am 22. August 1963 an seiner Arbeitsstelle in Fete{ti durch einen Milizmann, dass die Familie nun „frei“ sei. Er selbst hatte es bereits früher erfahren, bei einer Audienz bei Gheorghiu-Dej in Bukarest, jedoch nur mündlich. 

In Lenauheim kamen sie im September 1963 an. In keines der Familienhäuser durften sie einziehen. Insgesamt hatten die drei Hochstrasser-Männer 12 Jahre, zwei Monate und fünf Tage in der Zwangsverschleppung gelebt, die drei Jahre Militärzeit bei den Jungen miteingerechnet. 

In dem Baragan-Dorf Răchitoasa blieb nach ihnen ein einziges größeres Haus stehen, das der Lenauheimer Familie Blassmann als Geräte- und Werkzeugschuppen unweit der Donau erhalten blieb.