Wann kommen die Ärzte zurück?

Große Konferenz zu Migration vom rumänischen Verband für Gesundheitsförderung (ARPS)

Irina Boncea berichtet über die erschreckende Lage des rumänischen Gesundheitssektors

Pegida in Deutschland, UKIP in England, Front National in Frankreich, Lega Nord in Italien. In praktisch jedem Land Westeuropas werden nationalistische Strömungen größer - nicht nur auf der Straße, auch in vielen Parlamenten setzen sie sich durch. Nach der Krise 2008 scheinen Vorurteile gegenüber Ausländern größer geworden zu sein. Zudem sind viele Menschen einfach besorgter um ihren eigenen Wohlstand und fühlen sich von Ausländern häufiger bedroht als früher.

In Italien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich leben rund 10 Prozent Ausländer, in Deutschland beträgt der Anteil der Einwanderer 8,2 Prozent, rund jeder Fünfte hat einen Migrationshintergrund. Ist Zuwanderung nun gut oder schlecht? Schadet sie der einheimischen Bevölkerung oder trägt sie zum Wachstum bei? Glaubt man Ukip und Pegida sind Einwanderer kurz davor das Abendland zu überrennen. Doch harte Fakten hört man auf Stammtischen und Demonstrationen selten. Deshalb hat der rumänische Verband für Gesundheitsförderung (ARPS) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und dem rumänischen Innenministerium Wissenschaftler aus ganz Europa und der Welt zu einer Konferenz nach Bukarest geladen, um Tatsachen zu präsentieren. Zum Motto „Herausforderungen der Zukunft“ wurden die ganz großen Fragen diskutiert. Wie können Immigranten in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft integriert werden? Wie viele Migranten können einzelne Länder aufnehmen? Sollte es Obergrenzen geben? Und wie verändert Auswanderung Gesellschaften?

Soziologen, Ökonomen, Kulturwissenschaftler und Politikwissenschaftler debattierten 2 Tage lang und stellten interessante neue Erkenntnisse vor, freilich ohne vollständige Antworten zu haben. Der deutsche Professor für Soziologie Friedrich Heckmann sprach  gleich zu Anfang der Konferenz aus, was natürlich alle wussten: „Integration ist nicht einfach”. Selbst die Definition gelungener Integration ist in der Wissenschaft umstritten. Für Heckmann ist Integration geglückt, wenn die zweite Generation besser eingegliedert ist als die erste.

Die Bedingungen dafür seien  leicht zu erkennen aber schwer umzusetzen. Gerade die Bereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft offen zu sein und Migranten zu unterstützen sei sehr wichtig. Einwanderer müssten die Möglichkeit haben, an generellen Institutionen wie Schulen, Krankenhäusern aber auch Arbeitslosengeld und ähnlichem teilhaben zu können. Nur wenn die Gesellschaft offen für neues ist, sei Integration zu erreichen. Integration müsse auf verschiedenen Ebenen stattfinden: Von der Nachbarschaft über die Stadt und Region bis zum nationalen Level und schließlich EU-weit. Jede einzelne Ebene hat spezifische Aufgaben und Chancen, Integration gelingen zu lassen. So müssen sich Städte dafür einsetzen, dass Migranten in das öffentliche Leben eingebunden werden, während die EU dafür sorgt, dass Familien vereint werden können und alle Mitgliedsländer Gesetze gegen Diskriminierung haben.

Das dies nicht überall perfekt klappt, ist offensichtlich. Es gibt Regionen, in denen Integration seit Jahrzehnten nicht funktioniert, in denen Migranten in Parallelgesellschaften leben und aus unterschiedlichsten Gründen kein Interesse daran haben sich einzugliedern. Dennoch lässt sich feststellen, dass in den Zielländern das Einkommen steigt, wenn mehr Menschen immigrieren, gleiches gilt für die Steuerzahlungen. Der Ökonom Timo Baas drückte es ganz einfach aus: „Migranten sind keine Last für den Arbeitsmarkt”. Gefragt nach der steigenden Anzahl rumänischer Arbeitnehmer in Deutschland sagt er, dass Rumänen zu den am besten integrierten Gruppen in Deutschland zählen.

Für Rumänien hat Migration natürlich ganz andere Folgen. Es zählt zu den Ländern, die jedes Jahr mehr Aus- als Einwanderer zählen. Eine Studie von Irina Boncea von der Universität Bukarest zum medizinischen Sektor in Rumänien belegt die Probleme. Ihrer Forschung zufolge waren in den Jahren 2008-2014 allein 14.000 Rumänen aus dem Gesundheitsbereich daran interessiert, in ein anderes Land zu ziehen. Wie viele genau ausgewandert sind, ist statistisch nicht erfasst worden, doch es wird geschätzt, dass die Mehrheit den Schritt gewagt hat. 85 Prozent aller Doktoren, die emigriert sind, waren zwischen 25 und 44 Jahre alt, die meisten sind direkt nach dem Grundstudium in ein anderes Land gezogen um dort eine Spezialisierung zu entwickeln.

Für Rumänien bedeutet dies, dass erstens sehr viel Geld und Zeit in die Ausbildung der Ärzte investiert wurde, sie ihr Wissen jetzt aber nicht in Rumänien anwenden. Zweitens steigt das durchschnittliche Alter eines Arztes in Rumänien immer weiter an, heute sind 60 Prozent aller Beschäftigten im Gesundheitsbereich über 45 Jahre alt. Schon in kurzer Zeit wird es erhebliche Engpässe geben. Für die meisten Ärzte spielte das Gehalt die dominierende Rolle bei der Entscheidung in ein anderes Land zu ziehen. So erhielten 84 Prozent weniger als 450 Euro  monatlich in Rumänien, aber 81 Prozent verdienen mehr als 2000 Euro  im Ausland.

In ihrer Studie findet Boncea Hinweise, dass viele der Ärzte gerne wieder zurück nach Rumänien kommen würden, unter anderem weil sie sich, unabhängig von ihrem jetzigen Wohnort, sehr mit ihrer Heimat verbunden fühlen. Die Möglichkeit einer Rückkehr zu schaffen, müsse eins der wichtigsten Ziele der rumänischen Politik sein. Denn einer der großen Vorteile von Migration kann sein, dass rumänische Ärzte einen Teil ihrer Ausbildung an den renommierten Instituten Europas absolvieren und danach in ihrer Heimat praktizieren. So würde aus dem Verlust von Wissen ein Gewinn an Bildung und Erfahrung für Rumänien.

Migration war immer ein großes Thema in Europa, obwohl im Jahr 2013 gerade 3,2 Prozent aller EU-Bürger in einem anderen EU-Land als ihrer Heimat lebten. Das ist, im Verhältnis zu anderen großen Regionen, wie zum Beispiel den USA, sehr wenig. Was genau Ukip, Pegida und andere so in Angst und Schrecken versetzt, ist also nicht ganz klar. Anstatt uns hinter einfältigen Parolen zu verstecken, sollten wir uns dringend in einem vereinten Europa mit den Problemen der Staaten, die Migranten aufnehmen, wie auch der Staaten, aus denen Menschen wegziehen, auseinandersetzen. Denn am Ende, so formulierte es Professor Crul aus den Niederlanden, „bekommt jedes Land die Migranten, die es sich selber macht”.