Warum man die Reichskriegsflagge nicht tragen sollte

Drei waagerechte Streifen – schwarz, weiß und rot – zieren die Flaggen, die dieser Tage bei Protesten in Berlin etwa für besondere Aufregung gesorgt haben. Solcherart Flaggen haben in Deutschland eine lange Tradition. Ab 1866 vereinte die Flagge des Norddeutschen Bundes erstmals das Schwarz-Weiß Preußens mit dem Rot der Hanse. Der Bund wandelte sich 1871 zum „Deutschen Reich“, das die Flagge erst ab 1892 offiziell als Nationalflagge einsetzte. In verschiedenen Abwandlungen, mit Eisernem Kreuz oder Adler, diente sie zudem als Handels- und Kriegsflagge.

Nach dem Ersten Weltkrieg entschloss sich die Weimarer Republik dazu, von kaiserlichen Symbolen Abstand zu nehmen und eine Flagge mit den Farben Schwarz, Rot und Gold zu nutzen. Hierüber entfachte sich in den 1920er Jahren der sogenannte Flaggenstreit. Dieser Konflikt, in dem die Kaisertreuen die republikanische Flagge stets als „Schwarz, Rot, Senf“ verspotteten, führte sogar zum Sturz einer Regierung. Im Jahr 1926 unterlag Reichskanzler Hans Luther einem Misstrauensvotum und musste zurücktreten. Schon damals hieß es auf Wahlplakaten der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP): „Wählt Schwarz-Weiß-Rot! Das ist Deutschnational!“

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 erfüllten sich die deutschnationalen Träume und die mit dem Eisernen Kreuz versehene Reichskriegsflagge wurde wieder zur Nationalflagge erklärt. Doch schon 1935, nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg, wurde sie durch die Parteiflagge der NSDAP, die bekannte Hakenkreuzflagge, ersetzt. Letztere ist heute in Deutschland verboten, während das Tragen einer Reichskriegsflagge mit Gesetz konform geht. So weht sie seit 1945 einfach weiter im Wind über Kleingärten und von Balkonen herab. Sie schwebt über den Demonstrationszügen rechter Parteien und Bewegungen, wie PEGIDA, und zuletzt der Coronaskeptikerinnen und -skeptiker.

Wer in einem Demonstrationszug mitläuft, in dem die Reichskriegsflagge geschwenkt wird, demonstriert eine mit ihren Trägerinnen und Trägern sympathisierende Haltung. Ob er oder sie das will, ob er oder sie sich dessen bewusst ist oder nicht, ist dies immer eine Einstellung, die gegenüber der ganzen Geschichte der Flagge eingenommen wird – einschließlich der Nationalsozialisten. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch die positive Bezugnahme auf das Kaiserreich bereits problematisch ist. Schließlich wurden unter Kaiser und Reichskriegsflagge ebenso ein Weltkrieg begonnen und Völkermorde wie an den Herero und Nama in Namibia begangen oder an den Armeniern mitverantwortet.

Angesichts dieser Geschichte verwundert es, dass die Trikolore aus Schwarz-Weiß-Rot nicht ebenso verboten ist wie die Hakenkreuzfahne. Doch selbst wenn man diese Verwunderung nicht teilt, weil man solche Maßnahmen für bloße Symbolpolitik hält, sollte sich dagegen eingesetzt werden, wenn heute wieder Reichskriegsflaggen vor dem Gebäude geschwenkt werden, das 1933 im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Flammen aufging.