„Was die Menschheit verbraucht, ist viel mehr als das, was der Planet bieten kann!“

ADZ-Gespräch mit Magor Csibi, Leiter von World Wide Fund For Nature Rumänien

Magor Csibi Foto: WWF-Rumänien

In der Nähe der Stadt B²lan im Kreis Harghita wurde ein Reservat für verwaiste Bären geschaffen. Foto: Leonardo Bereczky

Magor Csibi ist der Rumänien-Leiter von World Wide Fund For Nature (WWF ), eine international tätige Schweizer Stiftung mit Sitz in Gland, Kanton Waadt. Sie wurde 1961 gegründet und ist eine der größten internationalen Natur- und Umweltschutzorganisationen. Bevor Magor Csibi dieses Amt übernahm, hat er fünf Jahre lang Think Outside The Box koordiniert, eine Gemeinschaft von unabhängigen Journalisten, die sich auf landes- und weltweite Themen in Bereichen wie Umwelt, Politik, Wirtschaft fokussiert.

Magor Csibi war auch Mitglied des Europäischen Parlaments. Ihm mangelt es auch nicht an Erfahrung im Bereich der akademischen Tätigkeit – betätigt hat er sich jahrelang an der Babeş-Bolyai Universität in Klausenburg/Cluj. Seit gut vier Jahren engagiert sich Csibi Magor ausschließlich für die Natur und kann sehr genau über Probleme der Umwelt im In- und Ausland berichten. Das Gespräch mit Magor Csibi führte ADZ-Redakteurin Aida Ivan.



Herr Csibi, ist Rumänien ein grünes Land?

Wenn wir den natürlichen Reichtum betrachten, den Rumänien immer noch hat, dann können wir sagen, dass es ein grünes Land ist. Hier gibt es mehr als die  Hälfte der europäischen Urwälder, 60 Prozent der Bären in Europa leben in den Wäldern in den Karpaten und wir haben noch die Störe in der Donau – eine Spezies, die seit mehr als 200 Millionen Jahren lebt; es gibt das Donaudelta, die Flüsse in den Bergen, Wölfe, Otter, Luchse und Wisente.

Aus der Perspektive des strategischen Denkens, der Regierung und der Planung haben wir noch viel zu lernen. Die Mikrowasserkraftwerke zerstören die letzten natürlichen Flüsse in den Bergen, die Infrastrukturentwicklungen berücksichtigen kaum die Natur oder die Artenvielfalt, die Wälder und die Natur sind im Allgemeinen extrem unterfinanziert und ihre Verwaltung ist ineffizient.

In diesem Moment haben wir noch eine gute Basis, aber die Art und Weise, wie das Land und die Natur aussehen werden, hängt sehr viel von Entscheidungsträgern ab, vom Engagement der Menschen.

Man hört immer wieder schlechte Nachrichten in Bezug auf die Umwelt. Welches sind die größten Probleme, mit denen der WWF hierzulande konfrontiert wird?

WWF-Rumänien konzentriert sich auf den Schutz der Wälder und auf das Suchen von Mechanismen für die effiziente und nachhaltige Verwaltung für die Wälder, wo man eingreifen kann; auf den Schutz des Süßwassers, mit Schwerpunkt auf der Donau und den Bergflüssen, auf das Schaffen von grünen Wirtschaftsmodellen für die lokalen Gemeinden und Schutz von gefährdeten Tierarten, so wie der Bär und die Störe.

In Bezug auf die Konservierung der Wälder wurden ein paar wichtige Schritte in den letzten Jahren gemacht: Geschaffen wurden die Gesetze für den Schutz der Urwälder, erschienen ist der Rahmen, in dem SUMAL-Radarul Pădurilor in Kraft gesetzt werden kann, und die Bemühungen für die Wald-Zertifizierung FSC wurden fortgesetzt. Dafür gibt es kein neues Forstgesetzbuch, sondern nur ein unangemessenes und unwirksames Gesetz, das aktualisiert werden muss.

Die Entwicklung von Kleinwasserkraftwerken (MHC) ist die größte Bedrohung für die Flüsse. Auch wenn wir eine Vereinbarung mit dem Umweltministerium unterzeichnet haben, werden nur die geschützten Regionen vor solchen Investitionen bewahrt. Wir brauchen dringend einen gesetzlichen Rahmen, welcher die Planungsstrategie und die Zonen festlegt, wo man nicht eingreifen darf (wir haben sie No-Go-Zonen oder Sperrzonen genannt), und solche Regionen, wo man aufbauen kann – unter Bedingungen, die nachdrücklich gestellt werden müssen.

Welches sind die meistgefährdeten Regionen, warum sind sie es und was kann man tun, um diese zu retten?

Ich glaube, dass es im Moment einen riesigen Druck auf die Bergflüsse gibt und die Gefährdung echt ist, da das Eingreifen bei einem Fluss in einem guten ökologischen Zustand das ganze Ökosystem beeinflussen kann – manchmal sind die Auswirkungen unumkehrbar.

Um den aktuellen Kontext zu erklären, würde ich eine vor Kurzem veröffentlichte Studie ins Gespräch bringen: Es geht um das Alpen-Programm des WWF, das zeigt, dass nur noch 340 Fluss-Kilometer aus den Alpen ökologisch intakt sind – und das von insgesamt 57.000 Fluss-Kilometern, die evaluiert wurden. In Rumänien ist das Netzwerk von Flüssen und Quellen 78.723 km lang. 13.650 Kilometer sind in gutem und sehr gutem Zustand und diese repräsentieren die letzten Teile der natürlichen Unterwasser-Ökosysteme.

Wir brauchen dringend ein Gesetz, das sagt, welches die Regionen sind, wo man nicht eingreifen darf, um sicher zu gehen, dass die Flüsse in den Bergen, die in gutem und sehr gutem Zustand sind, geschützt werden.

Welches sind die konkreten Resultate der WWF-Projekte? Gibt es einen Bericht über die Aktivität der Organisation in den letzten Jahren?

Ich würde mit der Wald-Zertifizierung beginnen, die ein verantwortungsvolles Managementsystem der Wälder einführt. Dieses ist im Handel durch das Zeichen FSC (Forestry Stewardship Council) identifizierbar. Die FSC-zertifizierte Waldoberfläche in Rumänien beträgt 2,4 Millionen Hektar, das bedeutet 37 Prozent der gesamten Waldoberfläche Rumäniens von 6,4 Millionen Hektar.

Es ist uns gelungen, das Gesetz zum Schutz der Urwälder zu schaffen, und zusammen mit unseren Partnern die Dokumentation zusammenzustellen, damit einige Urwälder und jahrhundertealte Buchen Teil des UNESCO-Weltnaturerbes werden.

Wir haben mehrmals eine aus der Perspektive des Umweltschutzes allgemein schädigende Variante des Forstgesetzbuches gestoppt. Jedes Mal haben wir das Gesetz zum Expertenausschuss geschickt. Wir waren bei allen Sitzungen und Diskussionen über das Gesetzbuch mit Abänderungsanträgen  anwesend und wir haben die Umsetzung des Waldradars unterstützt. Wir haben Bildungsprojekte eingeführt, um zukünftig ein breiteres Engagement im Bereich Umweltschutz zu schaffen – von der Grundschule bis zur Universität. Wir haben Forschungs-, Konservierungs- und Kommunikationsprojekte für die prioritären Arten durchgeführt, wie die Störe und die Braunbären. Zusammen mit Rewilding Europe haben wir den Wisent nach 200 Jahren Abwesenheit ins }arcu-Gebirge zurückgebracht. Wir haben eine Kampagne für den Schutz der Bergflüsse durchgeführt. Kleinwasserkraftwerke wurden in den geschützten Regionen verboten. Man kann sich über alle unseren jährlichen Berichte auf unserer Webseite wwf.ro informieren, der Bericht für das Jahr 2014 wird bald veröffentlicht.

Herr Csibi, verlieren wir an Biodiversität? Was sollten wir retten und konservieren?

Leider ist die abnehmende Biodiversität ein reales Phänomen weltweit, das sich in allen Arten von Lebensräumen in Rumänien widerspiegelt. Die Naturregionen sind immer zerstückelter, die Eingriffe und die menschliche Aktivität werden überall intensiver und der Wirtschaftsdruck steigt in großem Umfang. Unter diesen Bedingungen ist es keine Überraschung, dass die Artenvielfalt sinkt, egal ob wir über Pflanzen, Tiere, Wälder oder Flüsse sprechen.

Trotz alledem hat die Biodiversität in Rumänien, so wie der ganze Donau-Karpaten-Raum, bessere Chancen als in den entwickelten Ländern. Das zeigt die letzte Ausgabe des Berichts Living Planet im Oktober 2014. Wir haben noch Urwälder, lebende, unangetastete Flüsse und repräsentative Spezies, die seit Langem aus Ländern auf anderen Kontinenten verschwunden sind.

Wir müssen aber verstehen, dass die Reichtümer, auf die wir stolz sind, verschwinden können, wenn es keine strategische Vision seitens der Behörden und kein Engagement seitens der Bevölkerung gibt. Zurzeit sind die Verwaltung und die Vision des Landes weit weg von einer nachhaltigen Linie, es gibt also viel Raum für eine Verbesserung.

Gibt es Gesetze, die die Rettung der Umwelt unterstützen?

Wir hatten Gesetze und wir haben sie immer noch. Manche davon müssen aber verbessert und – noch viel wichtiger – umgesetzt werden. Zum Beispiel hatten wir fast die ganze Zeit gute Gesetze für die Wälder, aber ihre Umsetzung war nicht gut. Wir werden als NGO einen großen Druck auf die Behörden ausüben, damit das Gesetz die Natur begünstigt, aber wir brauchen auch viel Unterstützung von den Naturliebhabern.

Wie bewusst sind die Leute gegenüber der Umwelt? Wurden Verbesserungen in diesem Bereich festgestellt?

Das Bewusstsein ist im Allgemeinen immer höher, auch wenn es immer noch viele Mythen und falsche Meinungen gibt. Zum Beispiel – auch wenn mehr als 80 Prozent der Rumänen glauben, dass der Bär eine wertvolle Art ist, die nicht gejagt werden sollte, glaubt ein großer Teil der Leute, dass es zu viele Bären gibt, auch wenn diese Information nicht mit Daten oder wissenschaftlichen Studien unterstützt werden kann. WWF wird weiter Umweltthemen bekannt machen und Diskussionen im öffentlichen Raum beeinflussen, damit diese korrekt und nutzbringend sind.

Letztes Jahr hat die Menschheit bis zum 19. August die gesamten Ressourcen aufgebraucht, die der Planet in einem Jahr generieren kann. Wie sieht die Situation heuer aus? Welche Stelle besetzt Rumänien bei diesem Kapitel?

Was die Menschheit verbraucht, ist auf globaler Ebene viel mehr als das, was der Planet bieten kann. Aus diesem Grund benutzen wir jedes Jahr immer mehr Ressourcen und verursachen auf diese Weise die Reduzierung der Ressourcen, die uns für das folgende Jahr zur Verfügung stehen.
Die Tendenz ist fallend, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass ein großer Verbrauch die Regenerierungsfähigkeit des Planeten reduziert. Jedes Jahr wird das Datum, an dem wir alles verbraucht haben, immer näher rücken. Im Jahre 2015 wird es wahrscheinlich am 17. oder 18. August sein.
Auf globaler Ebene verbrauchen wir so viel, als hätten wir 1,5 Planeten zur Verfügung. Es gibt Länder, die wesentlich mehr als andere verbrauchen, und Länder, die sich unter den Durchschnitt positionieren. Rumänien gehört eher zum Durchschnitt.

Was können Leute tun, um diese Tendenzen zu verändern? Worauf sollten sie achten?

Es gibt mehrere Ziele und Pläne, die umgesetzt werden müssen, um eine stabile Zukunft sichern zu können. Am wichtigsten ist, die Verschwendung zu reduzieren. Zum Beispiel bedecken die Lebensmittel, die weggeworfen werden, eine Oberfläche von 1,4 Milliarden Hektar – das ist die Oberfläche von China, zusammen mit der Mongolei und Kasachstan. Es ist also ganz einfach, uns vorzustellen, wie die Welt aussehen würde, wenn diese Zahlen sich verändern würden.

Wie erklärt sich die relativ große Verschwendung der Lebensmittel in einem armen EU-Land?

Die Verschwendung der Lebensmittel ist leider hoch in allen entwickelten Ländern. Sie hat viel mit der Bildung und individueller Verantwortung zu tun und weniger mit dem Lebensstandard oder mit dem Durchschnittslohn. Die neuen Gewohnheiten, die von einem Markt bestimmt werden, der mit sehr großen Quantitäten von verderblichen Produkten arbeitet, legen Wert auf Quantität und nicht auf Qualität. Die Läden ermöglichen einen leichten Zugang zu den Produkten mit akzeptablen Preisen, Marketing und Werbung kreieren Wünsche und der beschleunigte Lebensrhythmus zwingt uns, öfter größere Quantitäten zu kaufen. Auf diese Weise kaufen wir mehr, als wir brauchen, und werfen viel mehr weg. Die Lösung wäre eine bessere Planung und Aufmerksamkeit beim Einkaufen, so spart man langfristig Ressourcen und Geld.

Welches sind die Voraussagen über die Entwicklung der Umwelt, falls der Rhythmus der menschlichen Aktivitäten sich nicht ändert?

Die wilde Tierwelt ist in 40 Jahren zur Hälfte reduziert – das zeigt der Bericht Living Planet, eine globale Studie, die von WWF durchgeführt und alle zwei Jahre in aktualisierter Fassung veröffentlicht wird. Der ökologische Fußabdruck, der den Druck der Menschheit auf die Natur misst, deutet auf eine Steigerung.
Um diese Tendenz zu ändern, muss man sich auf internationaler Ebene stark anstrengen, erstens muss man sich der Verschwendung bewusst werden, die Bevölkerung muss korrekt informiert werden und es muss klare Strategien geben – für den Schutz der Artenvielfalt, der Ressourcen und für die Reduzierung des Verbrauchs. Zu diesem Zeitpunkt gibt es einen solchen Ansatz nicht. Der Schlüssel befindet sich bei den Menschen und nicht bei der Regierung. Wenn es eine Veränderung der Vision und des Verhaltens auf persönlicher Ebene gäbe, könnte diese Tendenz umkehrbar werden.

Vielen Dank für das Gespräch!