„What do we want? Climate justice! When do we want it? Now!“

Deutsche Klimaaktivisten von „Fridays for Future“ beim EU-Gipfel in Hermannstadt [Teil 1]

Die jungen Klima-Aktivistinnen Luisa Neubauer, Anuna de Wever und Paula Dörr (v.l.n.r.) Foto: Michael Mundt

„Wir wissen, dass die Staats- und Regierungschefs wissen, dass wir heute hier sind und streiken“, erklärt Luisa Neubauer ihren Mitstreitern und den anwesenden Journalisten vor dem Dumbrava-Einkaufszentrum am Rande der Hermannstädter Altstadt. Die 23-Jährige ist das bundesdeutsche Gesicht der Klimaschutz-Bewegung „Fridays for Future“. Mit rund 50 Schülern und Studenten brach sie am Mittwochnachmittag, dem 8. Mai 2019, in München auf, um am Rande des EU-Gipfels für einen stärkeren Klimaschutz in der Union zu protestieren.
In Wien und Budapest stiegen weitere Jugendliche zu. In Hermannstadt erhält die Gruppe zusätzliche Unterstützung vom lokalen „Fridays for Future“-Ableger sowie mehreren Greenpeace-Aktivisten.


In das Stadtzentrum werden die rund 100 Demonstranten von der Polizei nicht vorgelassen, stattdessen skandieren sie ihre Parolen über den Hermannsplatz/Piața Unirii. „What do we want? Climate justice! When do we want it? Now!” Um sie herum versammeln sich mehrere Journalisten. Luisa Neubauer gibt bereitwillig Interviews. Und auch Anuna de Wever und Paula Dörr klären rumänische Medien über ihre europäische Bewegung auf. Das größte Problem sei, dass die Menschen sich der Krise gar nicht bewusst seien, erklärt letztere. Anuna hat in Belgien die Schulstreiks gestartet und reiste zunächst von Antwerpen nach München, Paula stellte sich an einem Freitag im März mit einer Gasmaske in der linken und einem kleinen Spickzettel in der rechten Hand auf eine Plattform vor dem Brukenthalmuseum. „Uns wird stets gesagt, dass wir zuallererst die Schule zu besuchen haben und die Natur an zweiter Stelle steht. Ich aber behaupte, dass wir uns nicht länger zwingend daran halten müssen. Es wird immer Zeit für den Schulbesuch geben, aber die Zeit zur Rettung der noch erhaltenen Spuren von Natur und Umwelt, die läuft uns davon“, erklärte die 13-jährige damals.


Die 17-jährige Anuna de Wever aus Belgien geht mit ihrer eigenen Regierung hart ins Gericht. „Sie sind bei vielem dabei. Auch beim Pariser Abkommen. Aber sie tun nichts.“ Mit dem Abkommen hatten sich 196 Staaten dazu entschlossen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. „We are here, because we are the future“, ruft sie ihren Mitstreitern durch ein Megafon zu. „Wir fordern Klimagerechtigkeit und wir erwarten, dass sie (die Staats- und Regierungschefs) über die Zukunft Europas sprechen. Sie sollten über die existenzielle Krise sprechen, die uns bevorsteht.“ Die Politiker sahen das anders, sie hatten das Thema nicht auf ihrer Agenda.


Kurz vor 12 Uhr erhalten die Schüler und Studenten unerwarteten Besuch von Angela Cristea, Leiterin der Vertretung der Europäischen Kommission in Rumänien. Sie erklärt, dass sie von der Ankunft der Demonstranten zu spät erfahren habe, um ein Treffen mit Jean-Claude Juncker zu organisieren. Die jungen Klimaaktivisten übergeben ihr einen offenen Brief. In diesem heißt es: „Die EU ist der drittgrößte Emissions-Verursacher der Welt. Sie trägt eine enorme Verantwortung, nicht nur für unsere Zukunft, sondern auch für das Leben von Milliarden Menschen auf der ganzen Welt. Werden Sie dieser Verantwortung gerecht. Machen Sie das Klima zur Priorität. Es ist der einzig vernünftige Weg.“ Er ist unterschrieben von 17.000 Jugendlichen aus allen Staaten der Europäischen Union.


Für die kleine Gruppe ist das ein Erfolg, auch weil sie die einzigen Demonstranten sind, die am Rande des Gipfels von den Medien wahrgenommen werden. Die knapp zwei Dutzend Greenpeace-Aktivisten hatten sich unterdessen zurückgezogen. Doch der ganz große Coup sollte erst noch folgen. Denn plötzlich melden sich die Berater von Emmanuel Macron. Sie schlagen ein spontanes Treffen mit dem französischen Präsidenten auf dem Großen Ring vor, inmitten der ganz großen Öffentlichkeit. In Frankreich steht Macron seit Monaten in der Kritik, gegen die „Gelbwesten“ brachte er zuletzt sogar Anti-Terror-Kräfte der Armee in Stellung. Seine Polizisten sind für teils blutige Gewalt verantwortlich. Vor der europäischen Öffentlichkeit versucht sich Macron seit einigen Wochen als oberster Klimavorkämpfer zu profilieren. Bereits im Februar empfing er Anuna de Wever, Luisa Neubauer und Greta Thunberg im Elysée-Palast. Zusammen mit sieben weiteren EU-Staaten bildete Frankreich im Vorfeld des EU-Gipfels ein Klimabündnis, das fordert, dass die Union bis zum Jahr 2050 eine Treibhausgasneutralität erreicht.


Auf dem Großen Ring wartet schließlich nicht nur der französische Regierungschef, sondern auch Stefan Löfen (Schweden), Lars Lřkke Rasmussen (Dänemark), Mark Rutte (Niederlande), Charles Michel (Belgien), Xavier Bettel (Luxemburg) und Arturs Krišjanis Karinš (Lettland). Den drei Mädchen verrät Macron, dass der Druck auf die Politiker wichtig ist. „Wir brauchen euch, um mehr zu tun. Es gibt viel Widerstand.“ Am Tag vor dem Gipfel hatte das Bündnis – zu dem auch Spanien und Portugal gehören – noch den lettischen Ministerpräsidenten überzeugen können. Dieser erklärt den jungen Aktivistinnen, dass es in den östlichen EU-Staaten große Vorbehalte gäbe, denn eine Umstellung der Wirtschaft sei aus finanzieller Sicht nicht möglich. Doch der Standpunkt der lettischen Regierung ist es nun, dass diese wirtschaftlichen Veränderungen ermöglicht werden müssen. „Es ist eine Richtung, die wir alle gehen müssen.“


Luisa Neubauer machte den Staatsmännern zum Abschluss des kurzen Treffens noch einmal deutlich, dass sie die deutsche Bundeskanzlerin zu überzeugen haben. „Das ist doch ein Skandal, was hier passiert. Frau Merkel erzählt, wir müssen eine europäische Lösung finden, und dann geht sie nach Europa und blockiert,“ erklärte sie später gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“. Die einstige „Klima-Kanzlerin“ tritt in ihrer letzten Amtszeit bei umweltpolitischen Themen auf die Bremse. Aktuell laufen wegen Umweltdefiziten 16 Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Von Emmanuel Macron war es vor diesem Hintergrund ein geschickter Schachzug, mit Luisa Neubauer ausgerechnet eine deutsche Klimaaktivistin zu empfangen, verstärkte er damit doch den Druck auf Merkel noch einmal. Diese begrüßte die Initiative zwar, mochte sich ihr allerdings nicht anschließen. Die deutschen Klimaziele bis 2050 würden von der Zielsetzung der anderen Länder abweichen, erklärte sie auf der Abschlusspressekonferenz.