Wie berichten über den Ukraine-Krieg?

Die feinen Unterschiede in Europa – Aufzeichnungen von einer Journalistentagung in Temeswar

Wie kann man in Zeiten von Cyber- und Panzerkriegen verantwortungsvoll berichten über die Ukraine-Aggression Russlands? Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so einfach: Oftmals ist die Quellenlage unklar; meist lassen sich Informationen über Tote und Verwundete, über Raketeneinschläge und – um ein krasses Beispiel zu nennen – die Situation in dem vom russischen Militär umstellten Asow-Stahlwerk in Mariupol nicht objektiv überprüfen, auch, weil parallel zum realen ein Propagandakrieg tobt. Und zusätzlich gibt es noch, selbst innerhalb der Europäischen Union, höchst unterschiedliche Akzente in der Berichterstattung. Darüber haben in der zweiten Maiwoche Medienschaffende aus verschiedenen europäischen Ländern im Banat, in Temeswar, gesprochen. Sie trafen sich auf Einladung der European Journalists Association. 

Sei es im deutschen Radio oder im rumänischen Rundfunk: Der Krieg in der Ukraine spielt sowohl hier als auch dort eine wichtige Rolle. Dass dabei unterschiedliche Akzente gesetzt werden, liegt auf der Hand: Wenn Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach Kiew reist, muss das den deutschen Nachrichtenmedien geradezu zwangsläufig die Aufmacher-Meldung wert sein. 

Und wenn in Rumänien immerhin schon fast 900.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland Ukraine gezählt werden, ist das hier ein wichtiger Aspekt. Oder wenn Premierminister und PNL-Chef Nicolae Ciucă und der Chef der Abgeordnetenkammer und der PSD-Chef Marcel Ciolacu, vorher medial nicht angekündigt, nach Kiew reisen.

Debatten- und Informationskultur

Allerdings: Es gibt in der Art der Berichterstattung in Rumänien und in Deutschland noch weitere, ganz entscheidende Unterschiede: „Ich lese eben auch sehr viele deutsche Medien. Und ich würde deshalb sagen: In den deutschen Medien finde ich mehr Informationen und Debatten als in rumänischen Medien“ – sagt Alexander Jădăneanț, Dekan der Fakultät für politische Wissenschaften, Philosophie und Kommunikationswissenschaften an der West-Universität Temeswar. Fragen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg in rumänischen Medien kontrovers auszudiskutieren – Fehlanzeige!

„Die Hilfe, die die NATO und die EU-Staaten für die Ukraine gewähren sollten – um nur ein Beispiel zu nennen –, Debatten zu solchen Themen, die gibt es in Rumänien in den Medien gar nicht. Das finde ich dann wiederum stark repräsentiert in den deutschen Medien. Aber in den rumänischen Medien finde ich fast keine solchen Informationen.“ Was Alexander Jădăneanț auf eine zunehmende Kommerzialisierung und Interessensgebundenheit, auf Politikabhängigkeit und Interessen der Medienoligarchen zurückführt: „Leider gibt es kaum noch ein paar seriöse Zeitungen in Rumänien! Darum gibt es auch die Kehrseite: sehr viele Fake-News….“

Andere Länder, andere (Berichterstattungs-)Sitten – (nicht nur) im Bezug auf den Ukraine-Krieg. Paolo Magagnotti, Journalist aus dem italienischen Trento und Präsident der European Journalists Association, macht, ergänzend, ein generelles Defizit aus: „Es gibt immer wieder Berichte über den Krieg, über die militärischen Aspekte des russischen Aggressionskriegs. 

Aber es gibt bei uns bei Weitem nicht so viele Berichte im Fernsehen, in den Medien, über das alltägliche Leben: Wie kann man zur Arbeit gehen? Wie arbeiten die Geschäfte? Wie geht das mit den Schulen? Naja, etwas kommt da schon. Aber ich würde gern mehr übers soziale Leben, über die Zivilgesellschaft erfahren.“

Zurückhaltende Ablehnung? Oder?

Andrerseits – auch das gibt es innerhalb der EU: Länder, in denen sich Massenmedien eher schwer tun mit einer Verurteilung des russischen Angriffskrieges. Zum Beispiel Bulgarien, ein Land mit engen historischen, sprachlichen und kulturellen Bezügen zu Russland.

Ivan Kodedjikov hat  als Bulgare über Jahre hinweg im Sekretariat des Europarates mitgearbeitet und so einen distanzierteren Blick auf sein Land gewonnen: „Die Massenmedien spiegeln in ihrer Mehrheit Ansichten wider, die eher in Richtung Vorsichtiges-Auf-Distanz-Gehen und Neutralität gehen.

Und deshalb verhält sich unsere Regierung auch so zögerlich. Wir sind, neben Orbáns Ungarn, das einzige Land in der EU, das der Ukraine keine direkte militärische Hilfe leistet. Viele Leute sagen: Wir müssen uns neutral verhalten, wir dürfen und können Putin nicht provozieren. Aber: Man kann sich in solch einer Situation doch überhaupt nicht neutral verhalten!“ 

Ein Gedanke, der aber von den bulgarischen Medien so gut wie nicht aufgegriffen wird, was nach Ansicht von Ivan Kodedjikiv nicht für deren Qualität spreche. 

Kodedjikov bringt die Rede auf den Niedergang des Qualitätsjournalismus in Bulgarien, wegen, wie es heißt, einer ganzen Reihe von Gründen, zu denen Kommerzialisierung ebenso gehört wie politische Einflussnahme. Ähnliches bis Gleichlautendes hört man beim europäischen Journalistentreffen in Timi{oara in den Privatgesprächen auch von ungarischen Kolleginnen und Kollegen, die mit eigener Stimme und eigenem Namen aber nicht Stellung beziehen wollen. Allein schon diese Zurückhaltung spricht Bände zur Lage des Journalismus in Orbán-Ungarn.

Gefährliche selektive Medienblindheit 

Der Ukrainer Igor Fedyk arbeitet in Kiew als Journalist und Sicherheitsexperte. Er hält die derzeitige Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine in westeuropäischen Medien zwar für umfassend, erhebt aber für die Zeit vor dem Kriegsbeginn, bis zum 24. Februar 2022, einen schweren Vorwurf: 

„Ein wenig sind westliche, ja die europäischen und globalen Medien auch dafür verantwortlich, was ab dem 24. Februar passiert ist:  Sie haben ihren Blick von dem, was sich da an der Ostflanke der Europäischen Union abgespielt, ja über die Jahre zusammengebraut hat, abgewandt und Themen in den Vordergrund gerückt, von denen sie und (wohl auch) ihre Regierungen geglaubt haben, sie seien wichtiger, zum Beispiel: Die Nach-Covid Zeit, die Transformation hin zur grünen Energie, Flüchtlingsthemen – aber die Mehrheit der Medien wollten nicht diese schwierige, gefährliche, zum Explosiven tendierende Situation in der Ukraine wahrhaben. Auch nicht, dass die Ukraine Hilfe braucht!“

Möglicherweise habe das, gerade in Deutschland, zu einer zunächst eher zögerlichen Haltung der Bundesregierung beim Thema ‚Waffenlieferungen‘ geführt, meint er. Denn nur Themen, die in den Medien dominieren, fänden auch den Weg in die politische Entscheidungsfindung, ist der Medienmann aus Kiew überzeugt. 

Sein Landsmann Mykhailo Samus, Leiter einer politischen Denkfabrik in Kiew, geht noch weiter: Auch russische Oppositionelle fänden, trotz aller Sperrungen von Websites, immer wieder Mittel und Wege, sich übers Internet darüber zu informieren, was in westlichen Medien steht, was und wie sie berichten, sie fänden alternative Informationsquellen. 

Das Problem sei aber: Diejenigen, die solche Mittel und Wege nicht kennen, tun sich schwer mit dem Zugang zu westlichen Medien – sogar viel schwerer als noch in vergleichbaren Situationen vor Jahrzehnten: „Selbst in der Sowjetunion, ganz früher, war es einfacher, die westlichen Stimmen im Radio zu finden, wie beispielsweise die BBC und solche Sender, die sich auf Informationen spezialisiert haben, die speziell auf Osteuropa zugeschnitten wurden. Jetzt geht es zwar, irgendwie und mit Mühen, im Internet.
 
Aber unglücklicherweise informieren sich die meisten in Russland übers Fernsehen. Übers staatliche russische Fernsehen. Und das staatliche russische Fernsehen dort ist absolut ‚pro Putin‘. Aber trotz alldem: Westliche Medien sind und bleiben dort für viele die wichtigsten Informationsquellen. Und die glaubhaftesten.“