Wille und Machtfülle

Der Skeptizismus mit feindlichem Unterton, mit dem die Regierungskoalition unter Florin Cîțu in der Öffentlichkeit taxiert wurde, geht von der Voraussage ihres vorzeitigen Endes (Ex-Premier Grindeanu, PSD: „Das kommende Jahr erleben die nicht!“) über das Abwägen der Zerbrechlichkeit einer Koalition aus Parteien divergenter Interessensvertretungen mit hohem Konfrontationspotenzial (auch innerhalb von PNL, USR-PLUS, weniger offensichtlich bei UDMR) bis zum Unterstreichen der Kompetenzmängel der Minister und ihrer Staatssekretäre, die als nicht fähig hingestellt werden, die dringend nötigen Reformen durchzuführen. Nicht zuletzt gab es fast keine Stimme unter den Kommentatoren, die von dieser Regierung Effizienz erwartet.

Ein Pferdefuß der Regierung ist die Machtdistribution an der Spitze. Dem Premierminister, der kein Parteichef ist (also selbst einen weisungsberechtigten Parteichef – Parlamentspräsident Orban – im Genick sitzen hat), sind zwei selbst- und machtbewusste Parteichefs als Vizepremiers zur Seite gestellt, deren Veto jederzeit die Regierungskoalition platzen lassen kann. Damit gibt es eine Dreierkonfiguration der Regierungsspitze, keine kompakte Exekutivgewalt – niemand ist Herr des Zauberworts „BASTA!“. Das erinnert an 1996-2000, als eine ähnliche Rechtskoalition an ihrem eigenen Unvermögen in der Entscheidungsvorgabe zugrunde ging.

Das Damoklesschwert des Haushaltsdefizits ist schartig, mit dem der Finanzmann Cîțu als Premierminister droht – die häufigsten Formeln, die in der Haushaltsdebatte zu hören waren, lauteten „steuerliche Konsolidierung“ und „Einsparungen“. Dem Premier fehlt (aus Kalkül – er will Parteichef werden) der Mut zu Einschnitten: Streichung der Sonderrenten, Tilgung der Privilegien der Staatsbediensteten, Deckelung der Löhne im Staatsapparat, Kürzung der wahnsinnig hohen Löhne der Beamten in den fünf Dutzend Staatsagenturen usw. Dass ein glitschiges Stehaufmännchen der PSD, der Vorsitzende ihres Nationalrats Vasile Dâncu, auch noch das Stichwort „antisozial“ (in Wahljahren das fatale Wort) der Regierung zwischen die Beine warf, ist bloß ein Farbtupfer in der Debatte.

Auch wenn das Projekt des Haushalts 2021 die Schere bloß mit Sanftheit und äußerster Vorsicht ansetzt, im Lauf des Jahres wird in rohes Fleisch geschnitten – Entlassungen, Ausgabenkürzungen – und korrigiert, was den hinausposaunten Regierungszielen entgegensteht. U. a. wird die Koalition nicht umhin können, mehr Geld für Investitionen und fürs Gesundheitswesen herbeizuzaubern. Dass es auch noch fürs „gebildete Rumänien“ reichen wird, soll an dieser Stelle laut bezweifelt werden. Dafür bedarf es mehr als schallender Erklärungen des Landespräsidenten… 

Ein Problem dürfte auch der umsichtige Umgang mit den Landes- und den EU-Ressourcen werden, die in diesem Jahr zu verwalten sind. Beim typisch rumänischen Mischimaschi von Projekten, die aus dem Riesentopf der EU finanziert werden sollen (was bereits harsche Kritik aus Brüssel einbrachte), muss man erst an die Udrea/Dragnea-Art der Geldverschwendung (PNDL) denken (Fußballplätze auf Terrains mit zehnprozentiger Neigung, Schwimmbecken in Ortschaften ohne Abwassersystem usw.), aber auch an einen USR-Einflusspol Transportministerium-Gesundheitsministerium-Ministerium für EU-Fonds, der sich verselbstständigen könnte, unterm Schutzschirm von Vizepremier Dan Barna. Zieht noch der Ungarnverband mit Minister Attila Cseke im Entwicklungsministerium am Strang (ein paar Zugeständnisse reichen bei dem UDMR…), dann hätte Premier Cîțu es auch mit noch einer Regierung in der Regierung zu tun. 

Das Regierungsziel, „Reformen“ umzusetzen, die auch Präsident Johannis verbissen einfordert, heißt, das Grunddilemma aller Regierungen Rumäniens nach 1989 zu lösen: Gemeinwohl vor Parteiwohl zu setzen.

Dazu fehlt Cîțu, wenn nicht der Wille, so die Machtfülle.