Wo die Donau die Südkarpaten durchbricht

Eine Erkundungs- und Begegnungsreise Ende September 2019 durch den Donauengpass beim Eisernen Tor (Teil I)

Fast alle von Serben bewohnten Ortschaften im Donaudurchbruch haben zweisprachige Ortstafeln. Die DN 57A verläuft ab dieser Kurve und bis nach Basiasch entlang der ehemaligen Trasse der Eisenbahnlinie Orawitza – Basiasch.

Die Kirche des serbisch-orthodoxen Nonnenklosters von Basiasch, gegründet im Jahr 1222, wird dem heiligen Sava, der die Serben christianisiert haben soll, zugeschrieben (oder auch seinem Gefolgsmann, dem heiligen Nikodim, derselbe, auf den die nordoltenischen Klöster Tismana, Hurez und Bistrița zurückgehen). Zurzeit ist die Klosterkirche in Renovierung und kann innen nicht besucht werden. Fotos: Zoltán Pázmány

Wir hatten uns Ende September 2019 vorgenommen, den Donaudurchbruch beim Eisernen Tor in seiner ganzen Länge zu bereisen. Einerseits weil das, wenn man kein Ortskundiger ist, immer noch ein touristisch in hohem Maß unerschlossenes Gebiet ist. Andrerseits weil die strenge Bewachung des rumänisch-jugoslawischen Grenzgebiets in der Ceaușescu-Zeit wegen „Landesflüchtigen“ (bis hin zu ausgeführten Schießbefehlen mit scharfer Munition und Menschenhetze mit Bluthunden) den Zugang zur Donauklamm praktisch unmöglich gemacht hat. Später fühlte sich die Grenzpolizei aufgrund des Sezessionskrieges Jugoslawiens zu Sonderrestriktionen des Zugangs bemüßigt – die bis heute offensichtlich in den Köpfen der Grenzpolizisten nachklingen, auch wenn heutzutage die Grenze gegen Immigranten, nicht mehr gegen emigrationswillige Landesbewohner geschützt und bewacht wird. Mentalitäten und Usancen der Grenzer haben sich kaum geändert, auch wenn inzwischen der Generationswechsel des Personals theoretisch aufs Gegenteil hindeuten sollte. Das Uraltproblem des Schmuggels hat man in diesem Raum nicht definitiv im Griff, was u. a. dadurch belegt werden kann, dass immer wieder Grenzpolizisten oder Zöllner beim Schmiergeldnehmen oder -fordern ertappt werden: Während unseres Aufenthalts in der Donauklamm wurde ein Grenzpolizist in Stamora Morawitza beim Schmiergeldnehmen in flagranti erwischt.

Gefolgt waren wir mit dem Redaktionsauto der Straße entlang des Laufs der Nera, das heißt, wir waren vor der Nera-Brücke an der DN 57, gleich hinter dem Grenz-übergang Naidăș-Kaluderovo, nach rechts abgebogen und haben einen Umweg Richtung Neumoldowa gewählt, um zuerst über die gottverlassenen und ziemlich entvölkerten Ortschaften Lescovița und Zlatița (hochinteressant die Geschichte der in der Nähe befindlichen Mühle – heute leider eine Ruine –, die sowohl serbischerseits als auch rumänischerseits, mit Trennmauer in der Mitte, von der Bevölkerung dies- und jenseits der Grenze genutzt wurde, weil sie nach den Grenzziehungen von 1924 genau auf der Grenze zu stehen kam) nach Basiasch zu gelangen, dorthin, wo das linke Donauufer rumänisch wird. Die Kreisstraße wird streckenweise neu asphaltiert. Sie ist von ihrer Anlage her teils zwei-, teils einspurig – ob wohl der Bauvertrag so eine Alternanz vorgesehen hat? Oder spart das Bauunternehmen streckenweise an Asphalt? Ab dem kommenden Jahr soll sie passabel befahrbar sein.

Die Grenzpolizei stoppt (fast) jeden

Als die beiden am Rande der Straße parkenden Grenzpolizisten uns in der Ferne ausmachen – ein Kleinbus!!! – stellt sich der eine mitten auf die Fahrbahn und winkt uns schon von ein paar Kilometern Entfernung, rechts ranzufahren.
Was wir tun. Ausweiskontrolle des Fahrers, unseres Fotografen Zoltán Pázmány. Als er auch nach den Fahrzeugpapieren greift, winkt der Grenzpolizist ab. Als ich meinen Ausweis zücken will, kommt neuerliches Abwinken: „Nicht nötig. Sie sprechen Rumänisch!“ 

Was sie denn suchen, wollte der Journalist in uns wissen. „Migranten. Illegale.“ Ob es denn welche in dieser Gegend gäbe? „Ja. Manchmal.“ Pause: „Nicht viele!“ Ob es denn bei der Grenzpolizei Erinnerungen gäbe an die Zeit vor 1989, als man die Grenze nicht nach außen, sondern, verkrampft und zähnefletschend, nach innen „schützte“, gegen die Fluchtwilligen aus Ceaușescus Stacheldrahtverhau Rumänien?

Der Grenzpolizist taut sichtlich auf (während der andere eifrig auf der Kühlerhaube ihres Dacia-Dusters irgendetwas notiert). Er hat mitgekriegt, dass einer von uns aus Großsanktnikolaus stammt. „Ich bin aus Orschowa. Ich kann mich, aus meiner Kindheit, noch gut erinnern an die Schlepper, die die Fluchtwilligen direkt in die Fallen der Grenzpolizisten führten. Von denen erzählten die Eltern zuhause, leise. Oder an die beim illegalen Grenzübertritt Gefassten, die jämmerlich verprügelt oder von Bluthunden zerbissen wurden, dass sie, unter Bewachung, im Krankenhaus landeten. Aber auch an Geschichten von gelungenen Fluchten.“ 

Ob man denn den heutigen Grenzpolizisten während ihrer Aus- oder Fortbildung etwas von diesen Episoden von vor 1989 erzählt hat? „Nein. Nie.“ Ob er selber sich für das Thema interessiert habe? „Ja. Natürlich. Aber es gibt kaum Literatur auf Rumänisch zum Thema. Und Statistiken finden Sie auch keine verlässlichen. Denken Sie mal nach: Da wurden Menschen beim Überqueren der Donau gestellt, erschossen oder mit dem Gewehrkolben erschlagen, ihnen ein Gewicht um den Hals gehängt – wer findet je die Leichen?! Die Donau ist ab hier streckenweise bis zu 80 Meter tief und fast überall kilometerbreit… “. 

Ob es denn viele Grenzschutzteams an unserer Strecke bis Drobeta-Turnu Severin gäbe, fragten wir noch: „Die zahlreichen Kontrollen, die Sie ab hier erwarten, werden Sie auf Ihrer Reise schon noch satt!“ 
(Das sollte sich so nicht bewahrheiten: Diese erste Grenzkontrolle im Inland war auf unserer Reise die einzige und letzte, die uns angehalten hat. Gesehen haben wir aber tatsächlich gut ein Dutzend Teams auf der Strecke von rund 150 km.)

Basiasch. Nera-Delta und Casino-Ruinen

Ab diesem Grenzschutzstopp verlief unsere Reise Richtung Donau wie eine Reise ins Niemandsland. Wir trafen ein, zwei Fahrzeuge auf rund 25 Kilometern schlechter, weil teilweise bereits fürs Asphaltieren zurechtrasierter Straßenabschnitte, sahen sonst nur trockenes stoppeliges Land mit fast gänzlich abgeernteten Feldern oder ausgetrocknete Bachläufe, die unsere Straße Richtung eines nur noch wie notdürftig dahinfließenden Nera-Flusses querten. Wenige Menschen, die auf den Feldern arbeiteten.

Dann, plötzlich, hinter einer Straßenbiegung nach links, die Donau. Nicht die Donau selbst, sondern das Nera-Delta, das rund zehn Hektar große Vollschutzgebiet mit dem wohl jüngsten Festland Rumäniens. Am Ufer jede Menge malerisches Schwemmholz, langsam vermodernd, im seichten Wasser Hunderte Wildenten aller Sorten, Klein-Kormorane, Blesshühner, in der Ferne Höckerschwäne. Unterwegs erzählt uns eine Zufallsbekannte, dass die Schwäne immer zuverlässiger auftretende Gäste auf dem Donaustausee beim Eisernen Tor seien. Sogar Dauergäste. Sommers auf der ganzen Länge des Donaustausees, winters an bestimmten Stellen in größeren Schwärmen, die sich in härteren Wintern das Wasser eisfrei halten. Dann Höcker- und Singschwäne gemeinsam. Episoden wie vor drei Jahren, als italienische Jäger unter den Schwänen auf dem Donau-stausee wahre Gemetzel anrichteten und in den Medien Proteste der Anwohner veröffentlicht wurden, hätten sich nicht mehr wiederholt. Das Gemetzel passierte damals, obwohl bei jedem Hochstand eine ganze Palette mit Abbildungen und Beschreibungen der geschützten Wasservögel fächerförmig befestigt ist (die Ranger des Naturparks „Eisernes Tor“ zeigen so Präsenz), um jedem kundzutun, welche Vögel NICHT erlegt werden dürfen. Die Frage ist wohl damals wie heute nicht: Wen kümmert’s? Sondern viel eher: Wer kontrolliert? Und: Mit welcher Effizienz?

Immerhin gut zu wissen: Ab dem Weichbild von Basiasch, also direkt an der rumänisch-serbischen Grenze, beginnt der Naturpark „Eisernes Tor/Djerdapp“, das erste grenzüberschreitende rumänisch-serbische Naturschutzgebiet. Wir fragten uns stündlich, wer hier für die Unmengen schwer abbaubaren Mülls zuständig ist, die die Europa entwässernde Donau und die Touristen vor Ort am Donauufer hinterlassen…

Weiterfahrt nach Basiasch. Unlängst hat man hier das 165. Jubiläum der Einweihung der Eisenbahnlinie Orawitza – Basiasch gefeiert, deren Streckenführung über das heute serbische Jasenowo verlief. Eisenbahn gibt es in Basiasch keine mehr. Auch keinen Kopfbahnhof. „Auf den Grundmauern des früheren Bahnhofs von Basiasch steht heute eine private Villa mit rotem Dach, dort, diese Straße entlang“, zeigt uns eine Frau die Richtung. „Die Straße von heute, die DN 57A, war übrigens die Streckenführung der früheren Eisenbahnlinie, der ersten, die auf dem Gebiet des heutigen Rumänien gebaut wurde“, klärt uns Zorina Milutinovici auf, die hier ab ihrem dritten Lebensjahr aufgewachsen ist und vor drei Jahren in ihr Elternhaus zurückkehrte, es in Ordnung brachte und nebenbei ein kleines Café namens „La Ancora“ / „Zum Anker“ betreibt, direkt an der Straße.

Gut sichtbar ist das Markenzeichen am Eingang: Ein auf einem Betonsockel festgemachter Schiffsanker. „Den hat mein Mann aus der Donau vor Basiasch ‘gefischt‘ und wir haben ihn ‘repariert‘  (es fehlte die Pfeilspitze eines der drei Ankerarme), gestrichen und festgemacht auf dem Sockel, denn er wiegt mindestens 80 Kilo und ist folglich attraktiv für Alteisenhändler…“ Die Frau zeigt uns ein weiteres Stück, das sie „retten“ konnte: „Das ist die Magdalena“, sagt sie. Sie zeigt auf eine Gusseisenstatue, die im Hof des Anwesens steht. „Die stand vor dem Casino von Basiasch, in einem Wasserbecken. Heute kann man nur noch das verlandete Wasserbecken und einen Sockel sehen, aus dem ein schiefes Rohr mit verrostetem Wasserhahn ragt. Und dahinter die Mauern des ehemaligen Casinos, wo die Fahrgäste der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft ihre Zeit verbrachten, wenn die Schiffe in Basiasch Kohlen luden oder wenn die Dampflok der Eisenbahn Frischwasser aufnahm und den Kohlentender nachfüllte. Für ein Spielchen reichte die Zeit allemal!“

Nach den Ruinen des „Casinos“ zu urteilen und den vielen Räumlichkeiten, die den Zentralraum umgaben, war dort mehr als nur eine Spielhölle. Wir vermuten, es könnte dort ohne Weiteres auch ein Bordell gewesen sein… 
Heute wachsen aus den immer noch aufrechten Mauern des Casinos Bäume, innen ist alles verkommen und verkrautet, nichts ist mehr intakt, außer dem Bruchstein und den Brennziegeln, die die Fenster abgestützt haben. Die aber stehen aufrecht. Problemlos renovierbar scheint uns der Wasserturm der Eisenbahn, der an bessere Zeiten erinnert.

Zorina Milutinovici scheint ein Faible für den Ort ihrer Kindheit entwickelt zu haben. Im Innern ihres Cafés sind die Wände mit Reproduktionen alter Postkarten von Basiasch geschmückt. Die Ausstellungswand suggeriert: Es muss hier bis zum Ersten Weltkrieg nicht nur wirtschaftlich allerhand los gewesen sein…

(Fortsetzung folgt in der nächsten Samstagausgabe)