Wo sind die Glossen?

Unlängst war ich in Ulm zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Freudig informierte ich meinen Mann, der natürlich mit sollte – auch deswegen, weil wir damit das ewige Thema „Wann fahren wir endlich mal nach Deutschland?“ – „Schatz, wir fahren nicht nach Deutschland, ein Urlaub ist uns zu teuer und außerdem regnet es dort immer!“ – abhaken konnten. Und begann voll Vorfreude zu planen: Mal wieder eine knusprige Butterbreze am Münchner Hauptbahnhof! Und eine Leberkässemmel für George. Die mampft man im Zug und lernt Bayern kennen, von innen und von außen, wobei der äußere Eindruck leider vom Wetter sabotiert wurde. Dafür sind die Zugtoiletten umso beeindruckender: Auf Knopfdruck gleitet die Hälfte der zylinderförmigen Wand zur Seite und man begibt sich, voll im Blickfeld der Öffentlichkeit, in Richtung des freigegebenen Throns. Dann ein peinlicher Moment, bis sich die überdimensionale Konservendose ganz langsam elektronisch schließt. Da, wo man den Riegel sucht, blinkt nur ein rotes Licht. „An Enterprise: Scotty, beam mich rauf!“ Ob das jemals wieder aufgeht? Hoffentlich nicht zu früh... Das Bayernticket erlaubte uns auch einen Abstecher nach Landshut, wo meine Mutter wohnt. Ach, wieso ich Ihnen all den privaten Kram auf die Nase binde?

Nun ja... auf der Zugfahrt fing es an. Mein Mann hatte irgendwas Lustiges beobachtet und meinte: „Das wär was für eine deiner Glossen!“ Dann, nach kurzer Pause: „Aber du schreibst ja keine mehr.“ „Bist ziemlich faul geworden“, schob er noch provozierend hinterher. Das saß! Interview mit Bălăceanu-Stolnici, Artikel über die Schiefergastretmühle oder Russlanddeportation, unzählige Tourismusberichte mit all seinen Fotos... aber der Herr will Glossen!

Die nächste geistige Ohrfeige folgte drei Tage später. „Wo bleiben deine Glossen?“ lautete der Begrüßungssatz meiner Mutter. „Hast lange nichts geschrieben!“ Kein „Gut schaugst aus!“, kein „Wie läufts mit dem Hausbau?“ oder „Esst ihr auch Vitamine?“. Statt dessen will auch sie jede Woche lesen, wie man in welchem Kulturkreis Bananen schält oder was mein Ameisenhaufen in der Küche so treibt. Die wirklich wichtigen Dinge eben. Die, die man Verwandten und Freunden weitermailt – und an die sich, zugegeben, auch die Leser stets erinnern, denen man auf Sachsentreffen und Überlandreisen begegnet: „Ach, Sie sind Nina May? Die Story mit dem erwürgten Zeh in der Damenstrumpfhose – wir haben uns totgelacht! “ Vergeblich schreibt man Seriöses, umsonst wird akribisch recherchiert. Die Welt will Schoten aus dem Alltag. Manchmal auch nur, um bös zu kommentieren: „Jetzt hat sie schon zum zweiten Mal ihre Handtasche erwähnt – fällt der Frau nichts Neues mehr ein?“

Ihr fällt. Man kann es ja gar nicht vermeiden: Da wär die Geschichte unserer Bauarbeiter, die sich darauf versteiften, die Haustür wäre viel praktischer an anderer Stelle als der von uns vorgesehenen. Richtig Streit gab es darüber, kämpfen mussten wir um unser Recht! Vergebens, am Abend war die Tür dann doch am falschen Ort. Schreikrampf. Vorgetäuschter Ehestreit. Und eine nächtliche Abrissaktion... Glaubt keiner, wenn man’s nicht erlebt hat! Oder die Story von dem Nachbarn, der mit kritischem Blick meinen Ehemann belehrte: Er würde ja nicht dulden, dass seiner Gattin der Kaffee überkocht.

Es kostete mich einige Beherrschung, dem reizenden Besuch den Topf mit dem Gebräu nicht einfach aufzusetzen. Aber der Kaffee samt Satz schwamm ja nun leider auf dem Herd... Unvergesslich auch das Gesicht meines Mannes, als wir die Einladung zum Deutschen Nationalfeiertag erhielten. „Nina May und Ehegatte“ stand da in zierlich geschwungenen Lettern. Nach einem ersten erstaunten „Wer bin ich?“ übte George dann geduldig: „Ähägattä!“ Und genau so stellte er sich grinsend dem Botschafter vor ... Auch an die Anrede „Herr May“ beginnt er sich übrigens zu gewöhnen. Habe ich mit der Heirat seinen bürgerlichen Namen übernommen, ist es nur gerecht, wenn er jetzt auch meinen Autorennamen erbt.

Einfälle? Das ist nicht das Problem! Es wird halt nur... irgendwann ein wenig persönlich. Wildfremde kennen meine Zwiegespräche mit Gliederfüßern, meine Obstschälgewohnheiten, mein heimliches Strumpfloch... Warum die Leute darüber lesen wollen? Nicht etwa, weil sie das Neueste von Nina May interessiert. Es sind vielmehr die bunten, unglaublichen, schrägen Geschichten aus einem doch stinknormalen Alltag, in dem Sichtweisen, Kulturen oder gar Welten aufeinanderprallen. Geschichten, in denen sich die Leser mal hundertprozentig, oder auch mal gar nicht wiederfinden. Die aber immer wieder daran erinnern: Das Leben ist schillernd, pulsierend, kantig und bunt. Und mehr als eine Reihe Fakten und Daten in Schwarz auf Weiß.
Ich gelobe hiermit Besserung.