Zeitzeugin berichtet von der Deportation in die Sowjetunion

Ausstellung und Veranstaltungen im Rumänischen Kulturinstitut Berlin

Inge Weiss mit der Kunsthistorikerin Dr. Heinke Fabritius sowie RKI-Direktor Claudiu Florian Fotos: Berndt Brussig

Inge Weiss (93), ehemalige Russlanddeportierte, berichtet als Zeitzeugin über ihre Erlebnisse während der Deportation. RKI-Direktor Claudiu Florian moderierte die Veranstaltung.

Das Rumänische Kulturinstitut Berlin (RKI) erinnert mit der Ausstellung „Order 7161. Zeitzeugenporträts einer Deportation“ und begleitenden Veranstaltungen an ein in internationalem Rahmen fast vergessenes Kapitel europäischer Nachkriegsgeschichte: An die Deportation von rund 70.000 Rumäniendeutschen ab Januar 1945 zur Wiederaufbauarbeit in die Sowjetunion. Eröffnet wurde die Ausstellung am 14. Januar durch den Direktor des RKI, Claudiu Florian, und Dr. Heinke Fabritius, Kulturreferentin am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim am Neckar, im Beisein des Luxemburger Fotografen Marc Schroeder, der seine fotografischen und filmischen Werke präsentiert. Die in Siebenbürgen aufgewachsene Kunsthistorikerin ist Ko-Veranstalterin der Ausstellung. Diese Ausstellung in der Galerie des Rumänischen Kulturinstituts in der Reinhardtstr. 14 im Herzen Berlins steht ganz im Zeichen des 75. Jahrestages dieser Deportation nach Stalins berüchtigtem Geheimbefehl „Order 7161“: Ausheben der Männer im Alter von 17 bis 45, Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren, ausgenommen Mütter mit Kindern unter einem Jahr.Der Vernissage schlossen sich in der Folgezeit Führungen für Interessierte an, angeboten von der Kunsthistorikerin, die anhand gezeigter Zeitzeugnisse auch über Lebensumstände von auf den in Porträtfotos und in Filmpräsentationen vorgestellten Personen berichtete, etwa der in Kronstadt geborenen, in Reps aufgewachsenen und ins Steinkohlerevier Petrovka / Donbas deportierten Inge Weiss. Spannend diese Führungen zudem, weil es auch um Anekdoten geht, wie der Fotograf Marc Schroeder bestimmte Heimkehrer, deren Namen er von alten Leuten gesagt bekam, für seine Zeitzeugendokumentation tatsächlich ausfindig machen konnte, sogar Ausgewanderte in Deutschland. Und das viele Jahrzehnte nach deren Rückkehr aus der Deportation! 

Der aus Reps/Rupea stammende Claudiu Florian, Direktor des Rumänischen Kulturinstituts Berlin „Titu Maiorescu“, der die ehemalige Russlanddeportierte Inge Weiss durch einige Begegnungen in Reps kannte, übermittelte ihren Namen über die Kunsthistorikerin Dr. Heinke Fabritius an den Fotografen Marc Schroeder, der dann Inge Weiss in Oberbayern aufsuchte und für das Zeitzeugen-Projekt gewinnen konnte.

Rumänien als Ausgangsbasis für die Ausstellung

Die Zeitzeugenporträts in Form von Fotografien und Videofilmen des Luxemburger Fotografen Marc Schroeder entstanden in Rumänien während mehrerer Reisen zwischen 2012 und 2015. Sie dokumentieren Erinnerungen und Gespräche mit hochbetagten Menschen, die Opfer der Deportationen wurden. Sie erzählen von ihrem persönlichen Umgang mit erlittenen Traumata und den bedrückenden Aspekten „kollektiver Schuld“.
Noch in diesem Jahr soll die Dokumentation der Erinnerungen der Deportierten von Marc Schroeder als Buchform erscheinen. Titel des Buches: „ORDER 7161“.
Die Initialzündung für die Planung des Berliner Ausstellungsprojektes für Januar 2020 erfolgte auf der Leipziger Buchmesse 2018, als Rumänien als „Gastland der Leipziger Buchmesse 2018“ mit zahlreichen Neuerscheinungen sowie international bekannten rumänischen oder aus Rumänien stammenden Autoren brillierte und in einer Ausstellung einige Fotografien, die jetzt in der Berliner Ausstellung zu sehen sind, unter dem Motto „An der Hoffnung festhalten“ erstmals präsentiert wurden. 

Siebenbürgische Zeitzeugen berichten

„Wir leben, bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt, in den Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges. Die letzten Generationen, die jene furchtbare Zeit miterlebt haben, sind im Begriff, das Zeitliche zu segnen. Von daher, 75 Jahre nach Kriegsende, ist es ratsam, denjenigen, die noch aus unmittelbarem Geschehen darüber berichten können, aufmerksam zuzuhorchen“, so die Ankündigung des Zeitzeugen-Gesprächs des RKI-Direktors Claudiu Florian mit der ehemaligen Russlanddeportierten Inge Weiss.
Inge Weiss, in Kronstadt geborene Siebenbürger Sächsin, verbrachte eine glückliche Kindheit und Jugendzeit in Reps – bis sich ihr Schicksal durch die Deportation am 22. Januar 1945 mit der Abfahrt des Zuges ab dem Repser Bahnhof schlagartig zum Schlimmen wendete. Sie steht stellvertretend für jene Generation von Deutschen, die die Folgen des Krieges und der Ideologien, im Namen derer die Zerstörung ihren Lauf nahm, tragen mussten. Später wanderten die meisten von ihnen aus Rumänien nach Deutschland aus.

Die Stühle in der Galerie mit der Ausstellung reichten am 30. Januar für die zahlreichen Besucher partout nicht aus. Auch Fensterbänke im Ausstellungsraum waren dicht besetzt, um die hochbetagte (im Juli 94 Jahre!), aber geistig fitte und schlagfertige Zeitzeugin Inge Weiss zu hören – und zu sehen, bot sich doch ein schöner Anblick: Schlanke Figur, elegant-leger gekleidet. Begleitet wurde sie von ihrer Tochter Astrid, ehemalige Lehrerin mit Diplom, an Allgemeinschule und Gymnasium in Rumänien  und in Deutschland an der Realschule „Wilhelm Leibl“, Bad Aibling, 30 Jahre lang bis 2010.
Stichworte in der Gesprächsrunde, souverän moderiert von Claudiu Florian, lieferten ihr mitgebrachtes Buch „Ich erinnere mich … Aus meinem Leben geplaudert für meine Tochter“, erschienen im Verlag der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“, ISBN 973-99655-1-2. Inge Weiss berichtete aus ihrem Leben in der Deportation, wo sie mit Frauen und Männern in der Kohlengrube in Petrovka unter unmenschlichen Bedingungen schuften musste, dort einen schweren Unfall erlitt, zwei Finger zertrümmert wurden. Der deutsche Lagerarzt verweigerte Hilfe, aber der russische Arzt half. Fortan wurde sie zu leichteren Arbeiten eingeteilt. Mit am schlimmsten waren für die Lagerinsassen der ständige Hunger und der furchtbar kalte Winter, der sie nachts auf den feuchten Holzbrettern der überfüllten Schlafpritschen anfrieren ließ. Sie trug 27 Kleidungsstücke.

Inge Weiss fesselte die Besucherrunde mit persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen. Dankte dem Himmel, sich russische Sprachkenntnisse selbst beigebracht zu haben. Das habe sie privilegiert im Überlebenskampf fernab Siebenbürgens. Sie schloss auch mit russischen Familien, die mit dem Lager zu tun hatten, Freundschaft. Sie bedauere es noch heute, betonte sie in der Berliner Gesprächsrunde, dass sie sich nicht von ihnen verabschieden konnte, als sie vom russischen Lagerarzt überraschend mit dem ersten Krankenzug zurück in die Heimat geschickt wurde. Am 26. Oktober 1945 traf sie auf dem Dach eines Zugwaggons in Reps ein. 1973 reiste sie mit ihrer Familie nach Bayern aus. Seit dem 1. Oktober 2019 lebt die geistig noch recht fitte Inge Weiss, die vier Sprachen spricht, darunter auch Esperanto, im Siebenbürger Heim Rimsting.
Bis Sommer 2018 düste sie am Steuer ihres Honda Civic noch durch Oberbayern. Den Führerschein hat sie noch. Aber ihren geliebten Honda hat sie erst mal stillgelegt, nachdem sie bei der Abwehr einer angreifenden Wespe einen Bordstein touchierte.
In der Galerie des RKI findet morgen eine Lesung aus den Romanen „Diesseits und jenseits des Tunnels“ von Mariana Gorczyca und „Atemschaukel“ von Herta Müller mit Monica Broos und Konstantin Bez statt. Bei der Finissage der Ausstellung am 18. Februar wirkt der Schriftsteller Hans Bergel mit.