Zwischen Willkommen und Abwehr

Seit und mit der Rede der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch vergangener Woche versucht die EU den Neustart in der Asyl- und Migrationspolitik. In Rumänien tut man zwar dauernd so, als würde dieser Teil des idealerweise gemeinsamen Vorgehens der Europäischen Union nebensächlich sein – damit ist es auch kein Thema der öffentlichen Diskussion – aber angesichts des neuen Angehens des Problems, das die Kommissionspräsidentin vorschlägt, dürfte auch unser Land sich nicht mehr in gewohnter balkanischer Manier herauswinden können. So wie es Rumänien mit dem Verteilerschlüssel von eintreffenden Migranten getan hat. Er wurde akzeptiert, seitens der Migranten und Asylbewerber gab es keinerlei Druck, ins als arm eingestufte Rumänien zu kommen, also spielte man das brave EU-Mitglied und raufte sich nicht gerade um Migranten. Und hatte so seine „Ruhe“.

Mit dieser Logik war auch die menschliche Katastrophe im griechischen Moria in Rumänien kaum ein öffentliches Thema. Die Rede der Kommissionspräsidentin hat also hierzulande kaum jemanden aufgeweckt. Auch wenn´s diesmal schwierig sein wird, sich rauszuwurschteln. Wenn das EU-Parlament und die Bremsstaaten Polen und Ungarn (auch Tschechien hat bereits ein Veto-Unken verlauten lassen) nichts Entscheidendes am Vorhaben ändern.

Dass Ursula von der Leyen neun Monate nach ihrer merkelgewollten und macronunterstützten Installierung in Brüssel eines der schwierigsten EU-Probleme anpackt, spricht für sie. Im Wesentlichen schlägt sie im dicken EU-Positionspapier eine konsequentere Abschiebepolitik abgelehnter Asylbewerber vor, den Verzicht auf die vor fünf Jahren beschlossene „Quotenregelung“ zur Asylbewerber- und Migrantenaufnahme und eine konkrete Einbeziehung aller EU-Mitgliedstaaten: Bei Migrationsdruck sollen die Mitgliedstaaten entweder mehr Asylbewerber aufnehmen oder sich im Fall der Ablehnung des Asylantrags an der Abschiebung beteiligen. Mit Geld, Logistik, Diplomatie sowie materiell mit Transportmittel und Personal. Problematisch: Die Entscheidung zwischen Willkommen und Abwehr soll jedes Land für sich treffen. Dazu sollen in den nächsten Jahren über ein Dutzend neue Gesetze im Bereich verabschiedet werden. Das klingt schwerfällig in der Umsetzung, aber der deutsche Innenminister Horst Seehofer findet, die „Wahrscheinlichkeit“, dass der Vorschlag aus Brüssel die „Basis für eine politische Verständigung“ liefere, sei „sehr hoch“. EU-Diplomaten hingegen erwarten nur, dass „der Streit zwischen den Mitgliedstaaten“ nach dem Neuanstoß, „in eine neue lange Runde geht“. Immerhin: Asylanträge sollen bereits an der EU-Außengrenze geprüft und beschieden werden, mehr und direktere Abschiebungen nach der Antragsablehnung werden ins Auge gefasst. Von der Leyen: „Es ist an der Zeit, den Stillstand zu überwinden.“

Die Organisationen der Flüchtlingshilfe reagierten mit scharfer Ablehnung der Vorhaben aus Brüssel („Pro Asyl“: „ein teuflischer Pakt der Entrechtung“), die Caritas meldete menschenrechtliche Bedenken an und die Regierung des immer stärker nach ultrarechts gerückten Viktor Orbán (dessen Popularität in Ungarn ungebrochen ist) hat bereits stur gemeint: Asylanträge sollen künftig nur noch in Hotspots außerhalb der EU geprüft werden.

Brüssel bietet also den „Puffer“-Staaten im Mittelmeer, wo die Migranten und Asylbewerber in (improvisierten) Ballungszentren auf Entscheidungen über ihr Schicksal warten, eine Art „Solidaritäts-Bürokratie“ an. Abgelehnte Neuankömmlinge sollen binnen drei Monaten abgeschoben werden ins Herkunftsland, alle Mitgliedstaaten der EU sollen verlässliche Solidarität zeigen, freiwillige Entlastungsangebote sollen zum Regelfall werden. In Krisenzeiten wird Solidarität Pflicht. Polen, Ungarn, die Visegrad-Staaten, die partout keine Asylbewerber aufnehmen wollen, sollen „Rückkehr-Patenschaften“ übernehmen und die Abschiebung organisieren und durchführen.