Am Fuße des Măcin-Nationalparks

Auf den Spuren der italienischen Minderheit in Greci

Weite Ebenen und vier Millionen Jahre alte Berge – das Măcin-Gebirge in der Dobrudscha.

Cellia Boro vor dem traditionellen, etwa hundertjährigen italienischen Steinhaus.

Italienische Steinmetze in Greci bearbeiten den Granit noch von Hand.

Kuriosität in der Kirche Santa Lucia: „Maria Bambina“, die Muttergottes als Kind
Fotos: George Dumitriu

Cellia Boro lacht. „Stellen Sie mir ruhig Fragen!“ fordert sie uns immer wieder auf. Dabei plappert sie ohnehin wie ein Wasserfall. Temperamentvoll gestikulierend erzählt sie von ihren Vorfahren, den ältesten der italienischen Einwanderer, die es zwischen 1882 und 1890 hierher verschlagen hat. Nach Greci, an den Fuß des Măcin-Gebirges , wo der erste Granitsteinbruch der Dobrudscha auf dem Jakobshügel entstand. König Carol I. hatte die Steinmetze aus der Region Friaul nach 1878 ins Land geholt, um die Dobrudscha nach langer otomanischer Besetzung zu modernisieren und die Infrastruktur für die Anbindung der Walachei an das Schwarze Meer zu schaffen.

Von den einst etwa 700 italienischen Einwanderern wurden 1990 noch etwa 380 in der Dobrudscha gezählt. Die meisten davon in Greci, der Rest in Cataloi, Turcoaica, Măcin, Tulcea und Sulina. Heute mögen es noch um die 100   sein, viele davon in gemischten Ehen lebend. Andere sind längst zurückgekehrt, vor allem nach 1990, als ihnen der italienische Staat die Staatsbürgerschaft verlieh – doch nicht in ihre alte Heimatregion, sondern überallhin, als anonyme Immigranten ohne familiäre Wurzeln.  Die Verbliebenen sind der Grund unseres Besuchs auf dieser vom Departement für Interethnische Beziehungen (DRI) im Rahmen  des Projekts „Kultur, Tourismus und Kontakte zwischen den Menschen“ der EU-Makrostrategie für die Donauregion (SUERD) organisierten Journalistenreise. Die Bestandsaufnahme des multiethnischen Kulturerbes in der Dobrudscha soll dabei helfen, zur Lage der Minderheiten zu sensibilisieren, aber auch, das Potenzial für einen nachhaltigen Tourismus festzustellen, an dem diese teilhaben könnten (siehe auch hier).

Greci hat gegenüber anderen Lokalitäten den Vorteil, dass es nur 58 Kilometer von Tulcea entfernt am Fuße des Măcin-Nationalparks liegt, einem der bedeutendsten Reiseziele für Naturfreunde. Aber auch die hervorragende Weinbaugegend und die Tatsache, dass in der Region gezielt traditionelle Aktivitäten in häuslichen Kleinunternehmen gefördert werden – Bienenzucht für die Produktion von Lindenhonig in Bio-Qialität, ökologische Landwirtschaft und Viehzucht, Seidenraupenkulturen, Weinbau und die von den Italienern eingeführte Steinmetzkunst  –, sind vielversprechend in Bezug auf Tourismus. Hinzu kommen traditionelle und moderne Feste, etwa das Kirschenfest am hohen Sonntag 40 Tage nach Ostern, der italienische Feiertag der Heiligen Lucia am 13. Dezember oder der Tag des Măcin-Nationalparks am 27. Mai, die alle in Greci gefeiert werden.

Tradition manueller Granitbearbeitung

Noch heute sieht man überall die Spuren der traditionellen Granitbearbeitung, mitgebracht von den Einwanderern aus Poffabro, Moniago und Belluno am Fuße des heutigen  Friulanischen Nationalparks in den Dolomiten. Granitene Brunnenfiguren, Wandmosaike, Pflaster und Treppen zieren Häuser, Gaststuben und offizielle Plätze. Auch der Altar der katholischen Kirche Santa Lucia ist selbstverständlich aus Granit. Besonders nach Deutschland wurde der manuell bearbeitete Stein in verschiedenen natürlichen Farbnuancen bis zum Jahr 2000 exportiert. So mancher italienische Rentner verdient sich heute durch Fertigen von Grabsteinen ein Zubrot. Kein Wunder, dass auch die Häuser der Italiener aus Stein waren. Cellia Boro führt uns zu einem verlassenen und leider ungenutzten Anwesen, etwa 100 Jahre alt. Wie ein verwunschenes toskanisches Schloss schläft es unter einer dichten Decke aus Weinreben.

Kulturerbe aus der alten Heimat

Vor surrenden Kameras führt sie uns weiter, ein paar Schritte die Schotterstraße entlang, zur kleinen italienischen Kirche, die der Heiligen Lucia, der Schutzpatronin der Augen, geweiht ist. Auch diese hatten die Steinmetze aus der alten Heimat mitgebracht. Nur noch einmal im Monat findet hier der Gottesdienst in italienischer Sprache statt, ansonsten auf Rumänisch.  Zum Feiertag der heiligen Lucia am 13. Dezember gesellen sich zu den sonstigen 40 bis 50 Kirchgängern auch die Mitglieder der nur noch 25 Mann starken italienischen Minderheit aus Tulcea. Das Innere der Kirche ist schlicht gehalten: Steinpflaster, Holzvertäfelung, einfache Bänke,  nur der Altarraum erstrahlt in leuchtendem Gelb. Die kleine Orgel im hölzernen Prospekt erklingt schon lange nicht mehr. Dafür weist Cellia Boro auf eine charmante Besonderheit hin: „Maria Bambina“, die Muttergottes –  als Wiegenkind!

Ihr ganzes Leben engagierte sich Cellia Boro für den Zusammenhalt der Italiener und die Bewahrung der Traditionen. Weil es keine Schule mit italienischem Unterricht gibt, bot die ehemalige Lehrerin Sprachkurse an. Diejenigen, die ihre Muttersprache noch beherrschen, sprechen heute den norditalienischen Veneto-Dialekt. Die friulische Sprache, die heute noch von einer 600.000 köpfigen Minderheit in Friaul gesprochen wird, ging verloren, weil die Einwanderer sie bewusst nicht an ihre  Kinder weitergaben. „Damit sie sich unbehelligt über Probleme unterhalten konnten“, hatten Cellia Boros Eltern erklärt. Erhalten geblieben sind auch 22 Lieder aus der früheren Heimat, 120 bis 150 Jahre alt, die es in Italien längst nicht mehr gibt. Dasselbe gilt für italienische Kochrezepte, die in Greci noch in Gebrauch sind. Vor allem Gnocchi und hausgemachte Nudeln - mit der modernen italienischen Küche haben sie trotzdem wenig gemein. Dank des Engagements der lebhaften Rentnerin hat die Gemeinschaft in Greci eine im ganzen Land bekannte Tanzgruppe namens „Allegria“ mit 15 Mitgliedern vorzuweisen. Bestrebungen, ein eigenes Kulturhaus zu erhalten, waren bisher leider erfolglos. Es wäre wohl dringend nötig, nicht nur zur Bewahrung der Identität dieser Minderheit, sondern auch für ihre Einbindung in touristische Aktivitäten.

Einzigartiges Naturerbe

Vom nur 16 Kilometer entfernten Măcin aus führt uns Parkverwalter Viorel Roşca in den nahen Nationalpark. Steile Klippen hat das maximal 400 Meter hohe Măcin-Gebirge als ältester Teil des Kontinents nicht mehr vorzuweisen. Auf 11 markierten und ausgeschilderten Wegen, darunter mehrere Themenpfade, ein Radweg und ein Reiterweg, bietet das 21 Hektar große Naturschutzgebiet vor allem Einblicke in Flora und Fauna:  über 900 Schmetterlingsarten, Landschildkröten, Baumschläfer, Schlangen, Schakale, Wildkatzen sind nur wenige Beispiele. 13 Arten Großvögel leben hier das ganze Jahr über. Für viele Vögel bietet nur noch der Park  Nistzonen und dient damit als genetisches Reservoir für andere Regionen. Die pontisch-sarmatische Steppe  ist die einzige geschützte Steppenregion Europas. Von den seltenen Blumen, die nur hier wachsen, sind die meisten Sukkulente oder extrem genügsam im Wasserbedarf. Berühmt sind die Eichenwälder mit wilden Pfingstrosen. Aber auch für Geologen ist der Park mit Fossilienfundstellen und seltsamen Gesteinsformationen –  „Ohren“, „Dinosauriereiern“ oder der „Dobrudscha-Sfinx“ – ein Eldorado. Zwei Zonen unterliegen strengstem Schutz: die wissenschaftlichen Reservate Moroian und Valea Fagilor, wo noch eine Buchenart wächst, die es sonst nur auf der Krim gibt. Auch die  seltene Flaumeiche ist noch anzutreffen.

Tourismus und Naturschutz – hier gut vereinbar

In der bewohnten Zone des Parks sind nur bestimmte traditionelle Erwerbstätigkeiten erlaubt. Seit der  Bio-Lindenhonig aus der Region bei einem Wettbewerb in Deutschland die höchstmögliche Punktzahl erreicht hat, will man diesen zu einem lokalen „grünen“ Markenzeichen ausbauen, erzählt Viorel Roşca. Positive Signale setzt auch der Bürgermeister. Derzeit überlegt man im Rathaus, wie man die traditionelle Bauweise fördern und Bausünden verhindern kann. Begeistert erzählt Roşca, dass es trotz großen touristischen Andrangs im Park kein Müllproblem gibt. Bei den letzten Sportwettbewerben und Veranstaltungen mit teilweise über 1700 Leuten war es nicht mal nötig, hinterher sauber zu machen! Zum touristischen Potenzial der Region trägt auch der Weinbau bei. Das Weingut Alcovin in Măcin, seit 2011 Hoflieferant des rumänischen Königshauses, kann auch große Gruppen bewirten. Zudem wird eine touristische Weinstraße durch die Region angedacht.