Architekturrausch in Landshut

...oder lieber Stadtbummel mit Geschichten?

Giebelhäuserreihen versinken im Blau des Himmels - und der Isar.

Unter dem schmucken Aushänger lugt Burg Trausnitz hervor.

Von überall aus sichtbar - der gotische Ziegelturm der Martinskirche im Altstadtzentrum

Überwältigend ist nicht nur das Innere der Martinskirche...

... sondern auch die vielen architektonischen Details. Hier das Hauptportal
Fotos: George Dumitriu

Vom Himmel strahlt dieses unglaubliche Blau - da ist er einfach nicht mehr zu halten! Von nun an nimmt er die Welt mit seinem Tunnelblick wahr, der ihn für alles andere blind macht: für die duftenden Brezenstandln, die Hefeweiße vor uns mit dem herrlichen, wabernden Schaumpilz, das bunte Treiben auf dem Marktplatz oder die schmucken Lädchen, in die ich gerne mal hineinschnuppern würde... Dafür sieht er Details, die dem brezenknuspernden, weißbierschlürfenden, gemütlich bummelden Touristen vielleicht entgehen. Wenn man mit einem Fotografen verheiratet ist, kann man beides haben: den Genuss mit allen Sinnen - und später, auf Bildschirm oder Leinwand, ein Erlebnis, das ich nur als Architekturrausch bezeichnen kann...

Giebel in allen Formen, Stuckverzierungen, charmante Zunftschilder an bunten Fassaden, handbemalte Fliesen und ornamentale Türgriffe. Stadtmauern mit zinnenbewehrten Türmchen und Toren. Sie  wetteifern mit dem bunten Treiben in der Altstadt, dem Marktplatz, den ersten geöffneten Biergärten, den Spazierwegen an der Isar. Über allem thront auf dem Hofberg die stolze Burg Trausnitz als Wahrzeichen der Stadt.

Stadtbummel mit Geschichten

Landshut, Februar 2015. Bayern überrascht angenehm mit Plusgraden und  Traumwetter. Während mein Fotograf sich klickend in der Menschenmenge verliert und erst Stunden später wieder auftaucht, entdecken wir Verbliebenen Landshut im Bummelschritt. Aus der Ferne drängt sich als erstes Ziel der gotische Turm der Martinskirche auf, einmalig auf der Welt, weil er trotz seiner Höhe von 131 Metern nur aus Ziegeln gemauert ist.  1385 begonnen und 1500 fertiggestellt gilt die Martinskirche  als eine der bedeutendsten Monumentalbauten der Gotik in Süddeutschland.

Vor dem 1424 geschaffenen Hochaltar wurde 1475 das wohl berühmteste Hochzeitspaar Landshuts getraut: Prinz Georg der Reiche und die 18-jährige polnische Prinzessin Jadwiga, Tochter von König Kasimir IV. Jagiello. Die Hochzeit war von hoher politischer Bedeutung, denn die Verbindung der beiden Geschlechter war ein Bündnis gegen die Osmanen. Überwältigt unter den Arkaden des Mittelschiffs stehend, zupft mich meine ortskundige Begleiterin auf einmal am Arm. „Willst du den Hitler sehen?“ raunt sie mir verschwörerisch zu und zieht mich zu einer bunten Vitralienszene. Ich glaubte, mich verhört zu haben. Doch tatsächlich, inmitten biblischer Figuren ist unverkennbar sein Gesicht mit dem schwarzen Schnauzbärtchen auszumachen!

Die unabgesprochene Interpretation des Künstlers soll einen langen Rechtsstreit mit der Kirche nach sich gezogen haben, wurde dann aber wohl geduldet, weil der Führer auch in der Bibelszene den Bösewicht verkörpert. Und noch etwas muss sie mir zeigen: Auch hier gibt es einen „grünen Mann“ - ein blätterspeiendes Gesicht wie in der Kirche von Reichesdorf/Richi{. Und auch hier kann niemand erklären, was der hohe keltische Gott - das männliche Gegenstück zur Mutter Erde - in einer katholischen Kirche zu suchen hat... Schwer zu entdecken verbirgt er sich in einemTorbogen, wo ihm Girlanden mit Eichenblättern und Eicheln aus dem Mund wachsen.

Wieder auf der Straße, wenden wir uns dem stattlichen Flügel-Bauwerk des Rathauses zu, entstanden  durch Zusammenlegung dreier Einzelhäuser aus den Jahren 1380, 1452 und 1503. Hier gibt es einen neugotischen Prunksaal zu besichtigen, gestaltet  von Georg Hauberisser. 1880-1882 war der Raum, der bei der Hochzeit von Herzog Georg mit Jadwiga als Tanzsaal diente, mit prächtigen Wandgemälden zum Brautzug ausgestattet worden. Zum Eheglück hat all die Pracht nicht geholfen. Die Ehe galt als unglücklich, Jadwiga hat nicht einmal Deutsch gelernt...
Doch weil die Bilder den Bürgern so gefielen, hatte man 1902 beschlossen worden, die Fürstenhochzeit alle vier Jahre als historisches Spektakel wieder aufleben zu lassen.

Alle vier Jahre Landshuter Hochzeit

Dafür gerät meine Begleiterin augenblicklich ins Schwärmen!„Noch gibt es keine Männer mit Bärten und langen Haaren“ sieht sie sich suchend um und erklärt, dass die Mitspieler und Statisten zum Tragen echter Haartracht verpflichtet sind, die sie sich schon ein Jahr vorher wachsen lassen. So erkennt man lange im Voraus, wann das Spektakel wieder stattfindet - das nächste jedoch erst im Juni 2017.

Dann wird die Stadt drei Wochen lang in  Ausnahmezustand versetzt: Die Altstadt besteht aus Holztribünen, wo die Zuschauer mit reservierten Karten sitzen. Alle anderen suchen sich Plätze auf Treppen, Mauern, Fenstersimsen. „Man bringt sich Sekt, Wein oder Brotzeitkörberl mit und teilt mit wildfremden Leuten“ erzählt die Landshuterin. Jeden Sonntag gibt es den Brautumzug, vier Wochenenden lang, von der Burg durch die Altstadt zur  Neustadt und zurück .

Angeführt wird er vom Brautpaar, zu dessen Wahl sich Landshuter Töchter und Söhne schon Wochen vorher stellen, in sündhaft teuren, maßgeschneiderten Kostümen im mittelalterlichen Stil. Jedes Mädchen träumt davon, einmal Jadwiga, jeder Bursche einmal Georg zu sein! Und die Eltern platzen vor Stolz über die berühmt gewordenen Kinder. Doch auch Adelige, Kirchenmänner, Soldaten, Falkner mit echten Greifvögeln, Marketenderinnen, Gaukler, Fahnenschwinger und einfaches Volk werden gebraucht. Schlusslicht des Umzugs bilden die Armen mit Kind und Kegel, Hund, Leiterwagen, Bettlern und Aussätzigen. Die Rollen für das zweistündige Spektakel sind heiß umkämpft, obwohl jeder sein Kostüm selbst bezahlen muss.

Der Landshuter Hochzeit kann sich niemand entziehen: nicht die modernen Läden, die mittelalterliche Schilder verpasst bekommen, weil es 1475 noch kein McDonalds oder Tchibo gab, ja, nicht einmal die Straßenampeln, die man dann unter Jutesäcken versteckt!

Während des Umzugs stehen  die Landshuter Bürger Spalier und jeder wirft ein Buchsbaumkränzchen in die Menge der Vorüberziehenden. Wer das Glück hat, im Einzugsbereich zu wohnen, lädt sich Gäste ein oder vermietet sein Fensterbrett. Manche Firmen buchen schon lange im Voraus Lokalitäten mit Blick aufs Spektakel und feiern bei Sekt und Brunch. Während der Wochentage kann man am Lagerleben am Fuße der Burg teilnehmen, auf den Tribünen der Stadt sein mitgebrachtes Abendessen gesellig verzehren, oder einfach durch die Altstadt bummeln, wo man  auf spitzbeschuhte, strumpfhosentragende, lederbewamste Männer trifft. „Ein Augenschmaus“ versichert meine Begleiterin und erinnert sich kichernd an den Anblick praller Bierbauchträger, die sich das Vergnügen trotzdem nicht nehmen lassen.

Gut 7000 Mitglieder zählt der Verein Die Förderer e.V., der die jährlichen Feierlichkeiten organisiert und rund 2300 Darsteller für den Umzug, die Reiter- und Ritterspiele, das Lagerleben oder den Mummenschanz stellt.
Strahlend erhebt sich Burg Trausnitz vor dem blauen Himmel. „Klick-klick!“ tönt es auf einmal hinter mir - und da ist er wieder, der verloren Geglaubte! Er hat inzwischen ein ganz anderes Landshut als meine Mutter und ich erlebt. Eine Stadt hat eben viele Gesichter...