Auf dem Teppich unter dem silbernen Halbmond

Zu Gast in der Moscheenwelt der Dobrudscha: Einblicke in einen offenen, freundlichen Islam

Sommerschule in der Carol I. Moschee: Hier lernen die Kleinen spielerisch die arabischen Schriftzeichen des Koran. Fotos: George Dumitriu

Die Carol I. Moschee in Konstanza mit dem höchsten Minarett des Landes ist das erste Bauwerk Rumäniens, in dem Stahlbeton eingesetzt wurde.

Vor der Gebetsnische in der Hunchiar-Moschee, Konstanza

Geschnitzte Minbar-Kanzel aus Holz, Hunchiar-Moschee

Typische Dorfmoschee: die modernisierte Bașpunar-Moschee in Fântâna Mare. Das hohe Minarett aus Beton ersetzte das alte, metallene Modell.

Barfuß hocken die Kinder auf dem Teppich – wie in einem gemütlichen Wohnzimmer. Nur ein einziges kleines Mädchen im weißen Anzug mit kurzen Hosen und Spaghettiträgern trägt ein Kopftuch. Kaum zu glauben, dass der rotseidene Teppich, der halb aufgerollt neben diesem liegt, 144 Quadratmeter groß, 500 Kilogramm schwer und über 200 Jahre alt ist und eigentlich ins Museum gehört, ein Geschenk des Sultans Abdul Hamid II. an die Moschee von Ada Kaleh. Seit die Insel im Stausee des Eisernen Tors versunken ist, liegt er hier, in der Carol I. Moschee in Konstanza. 

 „Er ist sehr wertvoll, wir sollen gut drauf aufpassen“, sagt Aidun Curt-Mola, Berater im Departement für interethnische Beziehungen an der Rumänischen Regierung (DRI)  ehrfürchtig, der viele Stunden seiner Kindheit auf dem alten Teppich verbracht hat. Jeden Monat wird eine andere Hälfte aufgerollt, damit das kostbare Stück nicht verschimmelt, erzählt er. Sein Großvater, Etem Curt-Mola, war der erste und einzige Großmufti der damaligen Dobrudscha, die bis ins heutige Bulgarien reichte. Die Carol I. Moschee  war der Ort seines Wirkens. „Auf den Treppen dieses Minaretts bin ich praktisch aufgewachsen, in kurzen Hosen“, lächelt sein Enkel nostalgisch.

Geschenk eines christlichen Königs

Der Islam in der Dobrudscha ist irgendwie anders. Weniger streng, offener, entspannter. Imam Ali Selcin freut sich ehrlich über die Touristen. „König Carol I. hatte eine andere Religion, doch er erbaute diese Moschee für seine muslimischen Untertanen – aus eigenen Mitteln“,bemerkt er ehrfürchtig. Der tatarische Geistliche darf stolz sein auf sein Gotteshaus – immerhin ist die König Carol I. Moschee die größte im ganzen Land. Neben dem kostbaren Teppich hat sie noch andere Besonderheiten zu bieten: Das 47 Meter hohe, graziöse Minarett im maurischen Stil ist das höchste im ganzen Land. Aus Respekt darf es von keinem anderen übertroffen werden. Es besteht, wie die nur vier Zentimeter dünne Kuppel, als erstes Bauwerk Rumäniens aus Stahlbeton. Die Wandfliesen hingegen entstammen der berühmten türkischen Manufaktur von Iznik (Bursa) sind einzigartig und können bis heute nicht nachgemacht werden. „Genau wie das Voronetz-Blau“, vergleicht der Imam. Die schwarzen Marmortüren mit goldenen Ornamenten wurden denen des Sultanspalasts an der Hohen Pforte nachempfunden. Vor allem aber beeindruckt die Atmosphäre: Man spürt eine natürlich gelebte, etnspannte Religiosität nah am Alltag der Menschen.

Der Koran wird, wie überall, auf Arabisch gelesen. Gepredigt wird auf Türkisch, Arabisch, Rumänisch und Tatarisch, erklärt Ali Selcin. Die meisten Muslime in der Dobrudscha sind Tataren und Türken, doch es gibt auch Rumänen und Gäste aus anderen Ländern. „Auch Touristen dürfen am Gottesdienst teilnehmen, egal welcher Religion und Ethnie“, lädt er uns freundlich ein. Wir, das sind die Teilnehmer der sechsten Journalistenreise, die das DRI in diesem Jahr vom 2. bis 5. Juli organisierte, auf der Suche nach dem touristischen Potenzial der nationalen Minderheiten. Sie führte diesmal in die südliche Dobrudscha, wo einige zum ersten Mal mit der islamischen Welt in Rumänien in Berührung kamen. Das Tragen eines Kopftuchs sei in der Moschee nicht Pflicht, instruiert  uns der Imam, wohl aber dezente Kleidung und das Ausziehen der Schuhe. Auch sollte man wissen, dass man während des Gottesdienstes nicht vor die Reihe der Betenden treten sollte.

Die Kinder blättern längst wieder  versunken in ihren Büchern. Nur das Mädchen mit dem Kopftuch blickt mit großen schwarzen Augen direkt in die Kamera. Ihr luftiger Sommeranzug, ihre wache Neugier, stehen in seltsamem Gegensatz zur frommen Kopfbedeckung. In den Sommerferien werden die Kleinen in das arabische Alphabet eingewiesen und lernen zudem, wie man sich im Gottesdienst verhält, erzählt der Imam weiter. Die zweistündigen Kurse finden an fünf Wochentagen statt und sind freiwillig. „Daher ist die Methodologie sehr wichtig, um die Kinder zu motivieren“, betont er. 

Aus den Steinen der Festung erbaut

Auf der anderen Seite des Ovidius Platzes, nur wenig Schritte von diesem entfernt, liegt die 1862 bis 1869 von Sultan Abdul Aziz erbaute Hunchiar-Moschee, auch Aziziye genannt. Fünfmal am Tag treffen sich dort etwa 20 bis 30 Gläubige zum Gebet. Am Freitag, dem Feiertag der Muslime, sind es so viele, dass gar nicht alle in den Raum passen. Wir kommen gerade zum Gottesdienst zurecht: „Allahu akbaaar!“ schallt es aus dem Lautsprecher, „Gott ist groß“. Sechzehn Männer und vier Jungen neigen sich immer wieder schaukelnd nach vorne, die älteren sitzen auf kleinen Schemeln, alle anderen knien. Manch einer murmelt ergriffen „Allah“. Ein spürbar intimer Moment. Auf einmal legen vier Jungen die Hände wie Trichter über die Ohren. „Dies signalisiert den Beginn des Gebets“, klärt der Imam später auf. Andere halten die Handflächen nach oben, um Gottes Segen zu empfangen, danach fährt man sich damit wie mit Heilsalbe über das Gesicht. 
Die Hunchiar-Moschee – ihr Name bedeutet auf Türkisch „Gouverneur“ – ist das älteste Gotteshaus jedweder Religion in Konstanza, erklärt Stadtführerin Diana Slav. Sie wurde aus den Steinen der alten Verteidigungsmauer errichtet. Das Minarett, aus Steinen der Festung Tomis erbaut, ist nur 24 Meter hoch. Doch der Imam steigt trotzdem schon lange nicht mehr hinauf. Statt dessen ruft ein Lautsprecher die Gläubigen zum Gebet.

Ornamente und Schriftzeichen statt Bilder

Charakteristisch für alle Moscheen ist das Minarett, der silberne Halbmond als Symbol des Islam, die typische Gestaltung des Innenraums: Anstelle eines Altars weist eine Nische, Mihrab genannt, in Richtung Mekka. Rechts davon führt eine Holztreppe mit stets ungerader Stufenzahl auf eine Kanzel, Minbar, von der an Feiertagen gepredigt wird. Oft gibt es noch eine zweite, kleinere Kanzel, dann wird diese für die Freitaggebete und die große nur an den beiden höchsten Feiertagen verwendet. Manche, jedoch nicht alle Moscheen verfügen über einen Balkon, wo Frauen getrennt von den Männern beten. Charakteristisch für alle islamischen Gotteshäuser ist das Fehlen jeglicher bildhafter Darstellung. Statt dessen sind Wände, Fliesen und Medaillions mit geometrischen Ornamenten und verschnörkelten arabischen Schriftzügen dekoriert. An der Wand in Richtung Mekka findet man stets die Namen „Allah“, „Mohammed“ und die der vier Khalifen, Nachfolger des Propheten, Abu Bakir, Omer, Osman und Ali.

Der Islam in der Dobrudscha

Das älteste muslimische Gotteshaus im ganzen Land ist die Esmahan-Moschee (1573) in Mangalia, gefolgt von der 1610 erbauten Ali-Gazi Pascha-Moschee in Babadag, heute ein beliebter Pilgerort, denn dort liegt auch das Grab von Sari Saltuk Baba, der mit den ersten türkischen Siedlern kam und 1263 den Islam auf den Balkan brachte. Drittälteste ist die Moschee von Măcin aus dem Jahre 1650. Alle drei sind, wie auch die Moscheen in Konstanza, offen für Touristen. Wir besuchen auch die Esmahan-Moschee, umgeben von einem 350 Jahre alten Friedhof. Steinerne Turbane kennzeichnen die Gräber hoher Würdenträger. Die Moschee wurde von Esmahan, der Tochter von Sultan Selim II., zum Andenken an ihren Vater gestiftet. Über diese und auch die 1856-1860 erbaute Abdul Medgid Moschee in Medgidia wird später (in separaten Artikeln zu Mangalia und Medgidia) berichtet.

Wer jedoch – beeindruckt von Alter und Geschichte dieser Gotteshäuser oder verwöhnt von den Meisterwerken islamischer Baukunst in arabischen und anderen Ländern – in den Moscheen der Dobrudscha künstlerisch vollendeten Architekturgenuss erwartet, könnte leicht enttäuscht sein. Die Gotteshäuser der Dobrudscha sind eher schlicht. Umso mehr trifft dies auf Dorfmoscheen zu, die oft wie ein großes, fast leeres Wohnzimmer wirken. Besuchen sollte man sie vielmehr, um in Geschichte, Traditionen und Alltag der Muslime in Rumänien hineinzuschnuppern.

Die meisten davon, etwa 20.000, leben in Konstanza, davon etwa je die Hälfte Türken und Tataren. Insgesamt acht Moscheen stehen ihnen dort zur Verfügung – sechs staatlich anerkannte und zwei private, von Geschäftsleuten erbaut, erklärt der Imam der Hunchiar-Moschee. Es folgen in der Größenordnung der muslimischen Bevölkerung die Städte Medgidia, Mangalia, Cobadin, Babadag und Bukarest. Insgesamt seien bei der letzten Volkszählung etwa 85.000 Muslime registriert worden, so der Imam. Wenn man die Muslime aus dem Ausland mitzählte, käme man wohl auf über 150.000.

An den Imam der Carol I. Moschee richten wir die Frage, ob  islamische Organisationen aus anderen Ländern versuchten, Einfluss auf die Muslime in der Dobrudscha zu nehmen. Dies sei in Rumänien kein Problem, versicherte Ali Selcin spontan. Und zwar dank der Rechte, die Muslime und Minderheiten hierzulande genießen. Dann fügt er überzeugt an: „Und es wird niemals eines werden!“ Allerdings, räumt er ein – und ein nicht zu übersehender melancholischer Zug schleicht sich um seine Mundwinkel – sei man besorgt, dass „gewisse Taten im Namen des Islam“ oft verallgemeinert würden. Wenn dies passiert, fordert er stets zu einer Rückschau in die Geschichte des hiesigen Islams auf. Und versichert: „Nach dem Vorbild unserer muslimischen Vorfahren, die in der Dobrudscha seit Jahrhunderten friedlich mit anderen Religionen koexistierten, wollen wir auch heute leben.“