Auf der Suche nach dem verlorenen Wissen

Schwedische Forscher suchen bei den Bauern in der Maramuresch verlorenes Wissen zur Rettung der Artenvielfalt in Europa

Anamaria Iuga bei der Befragung der Schäfer in Botiza

Das Vogelnest in der im Freien aufgehängten Schöpfkelle begeistert die Forscher

Schwedische Forscher sammeln in der Maramuresch in ihrem Land längst ausgestorbene Pflanzen

Anna Dahlström und Tommy Lennartson vom Institut für Biodiversität an der landwirtschaftlichen Universität Uppsala sind hellauf begeistert. Auf den Wiesen von Botiza und [urde{ti entdecken die beiden Forscher Blumen, die man in Schweden nur noch aus Lehrbüchern kennt! Doch selbst die Ethnologin Anamaria Iuga, die in der Maramuresch aufgewachsen ist, lernt bei diesem Projekt noch etwas Neues - zum Beispiel, dass man hier Grundstücke mit künstlich versetzten Ameisenhaufen abgrenzt. Was führt die drei Wissenschaftler in einen der hintersten Winkel Rumäniens, in dem Landwirtschaft noch wie im vorigen Jahrhundert funktioniert? Was gibt es hier Neues zu entdecken, mag man sich fragen? Und doch lieferte das schwedische Pilotprojekt, dass sich mit der Erforschung traditioneller landwirtschaftlicher Methoden in der Maramuresch befaßte,wertvolle Erkenntnisse für ganz Europa.

Artenvielfalt in Gefahr

Ausgangspunkt für die Forschungsarbeit war die bestürzende Feststellung, dass die Artenvielfalt in Schweden, aber auch insgesamt in Europa, dramatisch abgenommen hat. Viele Pflanzen und Tiere sind bereits unwiederbringlich ausgestorben, der Prozeß scheint unaufhaltsam fortzuschreiten. Grund ist die Unverträglichkeit moderner landwirschaftlicher Methoden mit einem gesunden, artenreichen Ökosystem. Die traditionellen Methoden hingegen haben einen Synergieeffekt, der durch einen bestimmten Rhythmus an Aktivitäten – Pflügen, Säen, Mähen, Abweiden - Lebensraum für viele Arten schafft. Um die letzten paar Flecken mit intaktem Ökosystem in Europa zu retten, muss man dort die traditonellen Methoden wiederbeleben - doch wie vorgehen, wenn das Wissen in Schweden bereits seit Generationen verloren gegangen ist?
So kam es, dass die Maramuresch als wertvolles Vorbild entdeckt wurde, denn hier leben die meisten Menschen noch heute wie vor zwei oder drei Generationen: einfach, aber im Einklang mit einer noch intakten Natur. So wurde die Reise in die Maramuresch für Anna und Tommy zu einer Zeitreise in die Vergangenheit.

Wie alles mit einem Heuprojekt begann

In Anamaria Iuga vom Bauernmuseum (Muzeul Taranului) in Bukarest fanden sie ein sachkundige Unterstützerin. Die 33 jährige Ethnologin stammt aus Baia Mare und verlebte einen Großteil ihrer Kindheit bei den Großeltern auf dem Land. Sie kennt die Maramuresch wie ihre Westentasche. Ihr Studium in Klausenburg/Cluj und ihre Tätigkeit beim Bauernmuseum führte sie oft in die alte Heimat zurück, und sie schätzte sich glücklich, diese mit neuen, wissenschaftlichen Augen wiederzuentdecken.

Als sie im Rahmen ihrer Doktorarbeit Anna Dahlström bei einem Schweden-Besuch kennenlernte, befaßte sie sich gerade mit einem Forschungsprojekt über Heu. Welche Legenden ranken sich ums Heu? Wie macht man Heumännchen? Welche Werzeuge braucht man dazu? Das Thema fesselte die junge Forscherin so sehr, dass sie jede Gelegenheit nutzte, sich über ihr Heuprojekt  (www.surdestihay.blogspot.com) auszutauschen – und fand in Anna eine interessierte Zuhörerin.

So begann das Interesse der Schweden an der Maramuresch. 2008 reisten die ersten Forschergruppen an, um in Anamarias Heimat seltene Pflanzen zu studieren und Samen zu sammeln. Den Schweden fiel sofort auf, wie reichhaltig die Artenvielfalt in der Maramuresch noch ist! Vögel, Insekten und Kräuter, die an anderen Orten nur noch selten oder gar nicht mehr anzutreffen sind, weil sie der modernen Zivilisation weichen mussten, koexistieren hier friedlich neben Menschen, die Landwirtschaft nicht nach EU-Terminplan betreiben, sondern nach alten Bauernregeln und einem natürlichen Gefühl.

Das Gras wird gemäht, wenn es „klingelt”, sagt der Bauer, und meint damit, dass eine bestimmte Grasart mit dicken Samenkapseln anzeigt, dass mit der Heuarbeit begonnen werden kann – nämlich dann, wenn die Samenkapseln trocken sind und ein Geräusch von sich geben wie eine Rassel. So lange bleibt auch die Welt der Insekten und Pflanzen im Gras ungestört, die wiederum Nahrungsgrundlage für Vögel und andere Kleintiere sind.

Doch das Geheimnis der Biodiversität liegt nicht darin, die Natur bloß in Ruhe zu lassen. Der Mensch ist Teilnehmer in diesem Gleichgewicht, denn bestimmte Pflanzen und Tiere entwickeln sich gezielt in den landwirtschaftlich bearbeiteten biologischen Nischen. Sie nützen uns wiederum als Vertilger von Schädlingen, Auflockerer oder Dünger der Böden. Das Heu der fetten maramurescher Wiesen müßte man in Deutschland in der Apotheke verkaufen, denn es strotzt vor Heilkräutern wie Arnika, Löwenzahn, Schöllkraut oder wildem Thymian und die Bauern wissen genau, welches Heu für welche Tiere geignet ist. Aber auch das Abweiden durch herumziehende Schafherden hat seinen Sinn, denn die Schafe düngen die Wiesen, die zu weit vom Dorf entfernt liegen, um Mist auszufahren. Der eingespielte Rhythmus der landwirtschaftlichen Aktivitäten richtet sich nach dem Wetter, dem Reifegrad einer Pflanze oder sogar dem Mond. Hinter jeder Bauernregel steckt Jahrtausende alte Weisheit!

Mehr Wertschätzung  für die Leistungen der Bauern

Diesen Geheimnissen gezielter auf die Spur zu kommen, beschlossen die Forscher aus Uppsala 2009 zusammen mit dem Bauernmuseum, wo Anamaria Iuga inzwischen arbeitete. Die Resultate der ersten Feldstudien waren so vielversprechend, dass man sie 2010 auf ein einjähriges Pilotprojekt ausweitete. Mehrmals im Jahr reisten Anna und Tommy von Uppsala nach Botiza und [urde{ti, um mit ihrer rumänischen Kollegin Bauersfamilien zu befragen und bei der Arbeit zu beobachten. Sie besuchten Schäfer auf der Alm, nahmen am Mähen, Melken und Milchmessen teil. Die Basisarbeit vor Ort aber leistete Anamaria Iuga, die in jedem Dorf gezielt 10 Familien befragte und jeweils eine bei ihrer täglichen Arbeit begleitete.

Anna Dahlström, die für ihre Besuche sogar rumänisch lernte, ist begeistert von der Warmherzigkeit und Offenheit der Menschen, aber auch die wundervolle Landschaft hat es ihr angetan. „Ich wünschte, die rumänischen Bauern erhielten mehr Anerkennung für ihr Wissen und ihre tägliche Leistung!” meint sie traurig. Dann fügt sie mit Nachdruck hinzu: „Ihr habt etwas einzigartiges in eurem Land, das wir längst verloren haben und nun mühsam wieder lernen müssen!”

EU-Regeln müssen angepaßt werden

Die Ergebnisse des einjährigen Pilotprojektes sind nicht nur im ökologischen Sinne relevant. Eine alarmierende Erkenntis ist, dass die aktuellen EU-Regeln für einige Regionen der Maramuresch völlig ungeeignet sind und zu deren Zerstörung beitragen. „Don't fix what's not yet broken” (repariere nicht, was nicht kaputt ist), faßt Tommy Lennartson die Kritik zusammen und erklärt, dass die Vorschriften zum Mähen nach Termin, die Förderung von Viehzucht ab einer  Mindeststückzahl oder von Landwirtschaft ab einer bestimmten Feldgröße an den Bedürfnissen der dortigen Bauern vorbeigehen. Sie führen dazu, dass viele ihre zwar ertragreichen, aber den Vorschriften entsprechend zu kleinen Felder aufgeben und ihr Vieh verkaufen, weil es an den Voraussetzungen mangelt, die erforderliche Stückzahl zu halten. Wenn das Gleichgewicht ins Wanken gerät, beginnt ein unglücklicher Kreislauf für Natur und Mensch. Arbeitslosigkeit, brachliegende Felder, Abwanderung ins Ausland.

Die Studie soll nun fortgesetzt werden - auch, um die Verantwortlichen der EU zu informieren, untermauert mit konkreten wissenschaftlichen Daten. Anna Dahlström, Tommy Lennartson und natürlich Anamaria Iuga werden auch in diesem Jahr wieder mit dabei sein – diesmal mit verstärktem Team aus Biologen, Ökologen und Soziologen aus rumänischen Institutionen und Universitäten. Noch ist es Zeit, Annas Rat zu beherzigen, doch die Uhr tickt. Denn wo sollen wir hingehen, wenn das alte Wissen in unserem Land verloren geht? Vielleicht nach Schweden?