Das beeindruckende Erbe des mitteleuropäischen Jugendstils

Wie sich die Stadt Großwardein zu einem City-Break-Ziel etabliert

Ein gutes Beispiel des Großwardeiner Jugendstils: das 1907 von Ferenc Sztarill gebaute und unlängst sanierte Poynar-Haus in der Nicolae-Grigorescu-Straße. Foto: Alexandra Bob

Ein spätbarockes Juwel: Die römisch-katholische Kathedrale von Großwardein wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebaut. Sie beherbergt eine Reliquie des Ladislaus I., einem heilig gesprochenen König von Ungarn. Foto: der Verfasser

1903 bis 1905 entsteht auf der heutigen Pia]a Unirii das griechisch-katholische bischöfliche Palais, für den Entwurf zeichnet ein erfolgreicher Architekt, dessen Stil die Großwardeiner Innenstadt maßgebend geprägt hat: Kálmán Rimánoczy Jr.

Das Darvas-La Roche-Haus (Iosif-Vulcan Str. Nr. 11) wurde Anfang des 20. Jahrhunderts vom jüdischen Kaufmann Imre Darvas und seinem Schweizer Geschäftspartner Alfred La Roche gebaut, nun beherbergt es ein für Rumänien einzigartiges Art-Nouveau-Museum, das die Entwicklung dieser Stilrichtung (Secession, Jugendstil) auf dem Gebiet Rumäniens dokumentieren soll. Fotos (2): Wikimedia Commons

Als Imre Roth wurde er 1921 in Sathmar/Satu Mare als Sohn jüdisch-ungarischer Eltern geboren, 2010 starb er als Imre Tóth in Paris, ein angesehener Philosoph, Mathematiker und Philologe. Der Kommunist Tóth unterrichtete nach dem Zweiten Weltkrieg in Bukarest, in Frankfurt am Main, in Bochum und Regensburg, er forschte an der renommierten „Ecole Normale Superieure“ in Paris, setzte sich mit der Mathematik, der Philosophie, der Wissenschaft im Allgemeinen auseinander. In einem vom ungarischen Journalisten Péter Várdy veröffentlichten Gesprächsband (der 2012 mit dem Titel „În viaţă sunt lucruri care nu se fac. Şi care totuşi se fac...“ in rumänischer Übersetzung erschienen ist) beschreibt Tóth wie kaum ein anderer die jüdische Welt in Nordwestsiebenbürgen, in Sathmar, in Klausenburg/Cluj-Napoca und in Großwardein/Oradea, der Stadt, in der 1920 die Ungarn und die Juden die relative Mehrheit stellten und die fast zufällig rumänisch wurde.

Nagyvarad, Magnum Varadinum, Großwardein, die fremde Stadt. Ein Zentrum jüdischer und ungarischer Kultur, ein Jugendstil-Juwel, wie es im neuen Rumänien kein anderes gab. Sicherlich, in Tóths Dialog mit dem Journalisten Várdy geht es nicht hauptsächlich um Großwardein, aber wer ihn liest und im Nachhinein durch die Stadt spaziert, muss sich (auch) an ihn erinnern. An die untergegangene Welt des „fin de siécle“, als die Juden in der Doppelmonarchie ungarischer als die Ungarn werden wollten, als die wohlhabende, geschäftstüchtige Schicht assimilierter Juden in Städten wie Großwardein ganze Prachtstraßen bauen ließ, die von Optimismus, Aufwärtsstreben und Verschwendungssucht zeugen.

Und die sich nach den großen Vorbildern Wien und Budapest, teilweise auch Paris und Barcelona, richtet. Ein Hauch von Provinziellem schwebt über dem Großwardein der Jahrhundertwende, dessen Untergang in der Zwischenkriegszeit geplant und nach 1945 vollendet wird. Denn die Großbürgerfamilien, die an der heutigen Republicii-Straße ihre Paläste bauen ließen, waren Nachahmer, die an den Ufern der Schnellen Kreisch ihr kleines Budapest haben wollten, ihr kleines Wien, ihren eigenen Anschluss an die Moderne. Währenddessen verfiel die notleidende Schicht, der auch Tóth angehörte, verschiedenen kommunistischen oder zionistischen Gedanken.

Die Großwardeiner Innenstadt, das Erbe der mitteleuropäischen Moderne, gleicht einem Jugendstil-Freilichtmuseum, dem besten, das Rumänien zu bieten hat. Es gibt in Großwardein Großstadt-Paläste, die jene in Arad, Klausenburg oder Sathmar bei Weitem übertreffen und mit jenen in Temeswar/Timişoara durchaus mithalten können.

Der Vorteil Großwardeins ist eindeutig jener, dass es über ein fast geschlossenes Stadtbild verfügt, dass die gar nicht kleine Innenstadt mit der Hauptachse Piaţa Unirii – Piaţa Regele Ferdinand – Calea Republicii in ein paar Stunden zu Fuß erkundet werden kann, dort reihen sich die Kleinode der Jahrhunderthälfte 1870 – 1920 eines nach dem anderen: der griechisch-katholische Bischofssitz, das Rathaus, das aufwändig sanierte Palais zum Schwarzen Adler (das Wahrzeichen von Großwardein schlechthin), das Königin-Maria-Theater, das Poynar-Haus, die beiden Palais Rimánoczy (Senior und Junior!), das Moskovits-Palais und viele andere. Es gibt sie auch in den Seitengassen, so zum Beispiel auf der Iosif-Vulcan-Straße, der Roman-Ciorogariu-Straße oder dem Parcul Traian, wo sich das beispielhaft renovierte Gerichtsgebäude befindet.

Aber Großwardein sticht auch durch die wunderschönen Barockkirchen hervor, allen voran der imposante katholische Dom, die frisch sanierte St. Mariä Himmelfahrt-Kathedrale des Römisch-Katholischen Bistums. Dieser Sakralbau, etwas abseits der Großwardeiner Innenstadt gelegen, ist Rumäniens größte römisch-katholische Kirche. Mit dem anschließenden Bischofspalais und den zusammengewachsenen Domherrenhäusern auf der anderen Straßenseite bildet die Kathedrale Rumäniens größtes Barockensemble, mit ähnlichen Bauten in Ungarn, Österreich oder Tschechien, was Größe und Ausstattung angeht, durchaus vergleichbar. Gebaut wurde die Kirche zwischen 1752 und 1780. Der Entwurf stammt aus der Feder des italienischen Barockarchitekten Giovanni Battista Ricca, doch nach dessen Tod übernahm der Wiener Architekt Franz Hillebrandt die Bauleitung und vollendete sowohl die Kirche als auch den Bischofssitz. Da sich in der Kirche eine Reliquie des heilig gesprochenen ungarischen Königs Ladislaus I. befindet, strömen Touristen aus dem Nachbarland, darunter auch zahlreiche Schulklassen, in die Kathedrale, sogar wochentags ist sie relativ gut besucht.

Auch andere prachtvolle Kirchen sind in Großwardein zu besichtigen, auf dem Hauptplatz neben dem Rathaus sind gleich drei zu bewundern: eine römisch-katholische, eine griechisch-katholische und eine orthodoxe, die 1784 bis 1790 gebaute „Biserica cu Lună“, die Mondkirche. Hinzu gesellt sich die 1878 gebaute neologische Synagoge, die in der Nähe, am Kreischufer, zu finden ist und die unlängst mit EU-Geldern saniert wurde. Einen Steinwurf weiter weg, in der Str. Primăriei, befindet sich die Hauptkirche des ungarisch-reformierten Bistums vom Königstein/Piatra Craiului, die ebenfalls umfangreichen Sanierungsarbeiten unterzogen wurde.

Und dann gibt es noch die Festung, die auf ein befestigtes ungarisches Kloster zurückgeht, bis ins späte 18. Jahrhundert mehrmals zerstört und wieder aufgebaut wurde und in der Geschichte Ungarns und Siebenbürgens eine große Rolle gespielt hat, nicht zuletzt als Grablege einiger ungarischer Könige, darunter auch des Kaisers Sigismund von Luxemburg.

Beachtenswert an Großwardein ist, dass sich die Stadtverwaltung schneller als anderswo der Bedeutung des architektonischen Erbes der Stadt bewusst geworden ist und mehrere Maßnahmen zum Erhalt desselben in die Wege geleitet hat. Und gleichzeitig mehr in die Förderung des Tourismus investiert hat: Die drittgrößte Stadt Siebenbürgens versucht heute, sich als City-Break-Ziel in und außerhalb Rumäniens einen Namen zu machen. Dabei hilft natürlich auch die Tatsache, dass mit den in unmittelbarer Nähe liegenden Bädern Felix und 1 Mai auch Möglichkeiten für den Wellness-Tourismus gegeben sind und der Kreis Bihor auch sonst über mehrere Attraktionen verfügt, vor allem im bergigen Südosten. Der Ausbau des Flughafens an der Arader Straße, von dem es nun Verbindungen nach Düsseldorf (Weeze), Memmingen, Bergamo, London, Barcelona, Eindhoven und Bukarest gibt, ist ein weiterer Schritt in dieser Richtung. Die Stadt bietet verschiedene Übernachtungsmöglichkeiten, von den internationalen Hotelketten sind Ramada und Double Tree by Hilton bereits in Großwardein präsent, wunderbares Essen bieten unter anderem das MEATic des Fernsehkochs und Gastronomieexperten Adrian Hădean mit seiner zeitgenössischen Aufarbeitung traditionell-bäuerlicher siebenbürgischer Rezepte (Barbu-Ştefănescu- Delavrancea-Straße Nr. 3) oder das „Ciuperca“ (Graurilor-Str. Nr. 80), das sich oberhalb der Stadt befindet und mit einem entsprechenden Panoramablick aufwartet.

Alles in einem, das ehemals ungarisch-jüdische Großwardein, in dem 2011 noch 45.000 Ungarn und 140 Juden lebten, entpuppt sich zu einem interessanten Reiseziel, das für ein Wochenende durchaus besuchenswert ist.