Die Königstein-Westwand als Reifeprüfung

2016 markiert: Von Plaiul Foii über Brâul Ciorânga zum Hauptkamm

Die Speranțelor-Notunterkunft

Blick von Plaiul Foii auf einen Teil der Westwand | Fotos: der Verfasser

Schneeflecken liegen noch im Schatten der Felsblöcke.

Bis ins Tal geht es stellenweise sehr steil hinab.

Hier beginnt der Aufstieg aus dem Burzental.

„Den Königstein von der Westseite zu besteigen gilt gleichsam als Reifeprüfung des Kronstädter Bergsteigers.“ Das behauptete 1934 Heinrich Wachner in seinem „Kronstädter Heimat- und Wanderbuch“. Für ihn war der Königstein/Piatra Craiului „nicht das höchste, aber das stolzeste, kühnste und schwierigste Gebirge des Burzenlandes“. 

Heute, bald neun Jahrzehnte später, sind Bergwanderungen zur beliebten Freizeitbeschäftigung geworden. Nicht alle Wanderer können als Bergsteiger bezeichnet werden. Bleibt der Königstein-Aufstieg auch heute eine Reifeprüfung? Für eine Bejahung dieser Frage gibt es einige gute Argumente.

Ausdauer, richtige Ausrüstung... und genügend Wasser 

Wer von der Plaiul-Foii-Hütte zum Königstein-Kamm hinaufblickt, fragt sich: „Wo soll da ein Weg hinauf zum Vârful Ascuțit führen?“ Steile Felswände im oberen Teil, tiefe Täler und Waldschluchten im unteren Bereich – der Höhenunterschied beträgt rund 1500 Meter. Etwa zehn Minuten von Plaiul Foii auf der nun geteerten ehemaligen Forststraße nach Zărnești stößt man auf einen Wegweiser, der diesen Wanderweg als schwierig bezeichnet und vor Steinschlag warnt. Bis hinauf zum Ascuțit-Gipfel wird auf dem mit dem roten Dreieck gekennzeichneten Pfad eine Gehzeit von fünf bis fünfeinhalb Stunden angegeben. „Schaff ich das?“ ist die richtige Frage für all jene, die zum ersten Mal an dieser Stelle angekommen sind. Lautet die Antwort „Nein!“, so sollte man einen anderen Weg wählen (zum Beispiel den Deubel-Weg oder die Pfade durch die Pfaffen- oder die Quellenschlucht, alle drei ebenfalls für Anfänger nicht empfohlen) oder man beschränkt sich auf einen schönen Aufenthalt auf den Wiesen und in den Wäldern am Fuße des Königsteins. Hat man Vertrauen in die eigenen Kräfte, wobei eine gesunde Selbsteinschätzung der körperlichen Kondition Voraussetzung ist, so kann es losgehen. Am besten früh am Morgen, denn der Aufstieg ist lang und nicht immer gibt es Schatten an diesen heißen Sommertagen. Eine Schirmmütze ist gut, speziell für diesen Weg ist ein Fahrradhelm noch besser, denn tatsächlich können plötzlich Steine von oben fallen, losgelöst von anderen Ausflüglern oder von einer Gams oder einfach von der Schwerkraft. Geröll ist am Fuße der Steilwand, aber auch an der oberen Waldgrenze anzutreffen und erfordert zusätzliche Aufmerksamkeit und Anstrengung sowohl beim Auf- als auch beim Abstieg. Und das richtige Schuhwerk, wie auch die treffende Ausrüstung, einschließlich Windjacke im Falle eines plötzlichen Wetterumsturzes. Genügend Wasser sollte im Rucksack Platz finden, mindestens zwei Liter pro Person, denn man gerät unweigerlich ins Schwitzen und im oberen Teil des Königsteins gibt es keine Quellen. Selbst kleine Bäche versickern im Kalkstein, und das nicht nur in der Prăpăstii-Klamm. Was das Essen betrifft, so sind die klassischen Sandwiches (besser mit mehr Wurst oder Käse als Brot) inzwischen nur zweite Wahl nach Energieriegel, Apfel, Banane oder anderen Kalorienspendern.

Die Markierung nicht aus den Augen verlieren

Der Aufstieg über die Speranțelor-Notunterkunft und die Brâna Ciorânga wurde erst 2016 markiert. Die Verwaltung des Nationalparks Königstein zögerte zunächst damit aus gutem Grund: ein markierter Wanderweg ist für sie und die Bergwacht Salvamont mit gewissen Verpflichtungen verbunden. Wenn der Weg gekennzeichnet ist, so gilt er als sicher. Er muss entsprechend instand gehalten werden; Unfälle können zwar nicht ausgeschlossen werden, sollten aber die absolute Ausnahme bilden. Auf der Strecke findet man an besonders schwierigen Stellen Eisenketten und Kabel, die zusätzliche Sicherheit bieten. Hinzu kommt auch die Speran]elor-Notunterkunft (1685 m) errichtet an der Stelle, wo  früher die Cabana Ascunsă stand. Denn dieser Teil des Königsteins hatte schon immer seine Liebhaber: Bergsteiger und Bergkletterer, früher Jäger, Wilderer und wohl auch Schmuggler, als die ehemalige Landesgrenze dort verlief. Wie auf dem Brâul de Mijloc gab es auch damals unmarkierte Pfade, die in schwindelerregender Höhe parallel zum Hauptkamm von einem Felsengrat zum anderen führten, wobei oft mehr oder weniger voneinander entfernte Steinmännchen (aufeinander gestapelte Steine) zur Orientierung dienten. Eine ungeschriebene Regel war, die Steinhaufen nicht zu zerstören, sondern selber noch einen Stein draufzulegen. 

Die Regeln der Nationalparkverwaltung besagen, dass am Königstein auf unmarkierten Wegen Wanderungen nur unter Voranmeldung bewilligt werden und die Gruppen höchstens fünf Personen umfassen sollten, um Fauna und Flora zu schützen. Da Bergsteiger und Ausflügler immer wieder, mit oder ohne Genehmigung, in diesem Teil des Königsteins erschienen, hat die Nationalparkverwaltung wohl letztendlich entschieden, durch Markierung des Weges das kleinere Übel zu bevorzugen und der Erfahrung und dem Respekt vor der Natur der echten Bergfreunde zu vertrauen.

Ist der Abstieg leichter?

In meinem Fall ist es, nicht wie eigentlich geplant, zum Aufstieg, sondern zum Abstieg auf dieser beschwerlichen Tour gekommen. Dafür verantwortlich war die Anfahrt. Da es zwischen Zărnești und Plaiul Foii keinen Busverkehr gibt und ich um sieben Uhr morgens auch keinem Taxifahrer begegnet bin, wollte ich nicht die rund elf Kilometer bis zum Einstieg in den markierten Weg zu Fuß zurücklegen. Als Alternative zum Aufstieg wählte ich die Crăpătura-Schlucht bis zum gleichnamigen Sattel. Von dort ging es hinauf zum Nordturm (1923 m) mit seiner herrlichen Aussicht aufs Burzenland. Es folgte die rund eineinhalb Stunden lange Kammwanderung, unter dem Popii-Gipfel (2025 m) vorbei, bis zu Vârful Ascuțit (2150 m). Nach der Mittagspause begann der Abstieg. Bereits von Anfang an geht es steil bergab. Ganz unten ist das Burzen/Bârsa-Tal mit der Straße und auch Plaiul Foii zu erkennen. Meine Aufmerksamkeit gilt aber meinem Weg, dem Geröll und den Grasnarben, die nicht immer einen sicheren Untergrund bilden. Rund eine Stunde geht es extrem steil bergab unterhalb der mächtigen Felswände, die ganz unten leicht ausgehöhlt erscheinen. Zwischen einigen Felsen liegen noch gut erhalten Schneezungen mitten im Juli. Es folgt die eigentliche Brâna mit einem Weg auf und ab durch Latschen und Felsenformationen. Dann ist die Waldgrenze erreicht und auch die Speranțelor-Notunterkunft, die, was die Abstiegszeit betrifft, ungefähr die Hälfte des Weges (2 ˝ Stunden) markiert. Nahe von einem Felsendurchbruch („Fereastra“) hatte ich einen Gamsbock angetroffen, der mich gleichgültig ansah, aber für ein Foto dennoch nicht gewonnen werden konnte. Wer nun dachte, dass das Schwerste überwunden sei, wird enttäuscht. Weiter geht es ununterbrochen abrupt durch eine wahre Waldschlucht hinunter, nachdem ich ein Felsgewölbe (Adăpătoarea Caprelor/Gämsentrog) passiert habe und einen kaminartigen Felsspalt hinter mir lasse. Erst zwei Stunden später trete ich wieder auf das weiche, sattgrüne Gras der Wiesen und höre ein Bächlein neben mir plätschern. Der ganze Abstieg hat etwas weniger als fünf Stunden in Anspruch genommen. Müde, aber zufrieden folge ich der Asphaltstraße bis Plaiul Foii, von wo ich abgeholt werde. Beim Abstieg traf ich nicht mehr als fünf Leute. Drei stiegen hoch, ein Paar konnte ich beim Abstieg überholen. Warum ich keine Wanderstöcke benutze, fragte mich der Mann. Das schone doch die Knie und sei besonders beim Abstieg sinnvoll. Er wiederholt, was ich schon früher zu hören bekam: dieser Abstieg sei nicht leichter oder ungefährlicher als der Aufstieg. Im Gegenteil.

Das kann ich zwar schwer glauben, aber es hört sich gut an. Denn, so betrachtet, habe ich die von Wachner zitierte Reifeprüfung erfolgreich bestanden.