Die Stadt, wo eine Minderheit die Mehrheit stellt

Ein Besuch in Sankt Georgen/Sfântu Gheorghe/Sepsiszentgyörgy

Michael der Tapfere hoch zu Ross – eine in den 1970er Jahren errichtete Statuengruppe, die den rumänischen Fürsten von Szekler-Hauptmännern umgeben zeigt.

Der Elisabeth-Park – ein Ort zum Entspannen

Holzstelen für die 13 in Arad hingerichteten ungarischen Revolutionshelden (1849)

Nachstellung eines vorgeschichtlichen Grabmals im Museum der Ostkarpaten
Fotos: Ralf Sudrigian

Viel Sonne bescheren die letzten Apriltage den Bewohnern von Sankt Georgen, der Hauptstadt des Landeskreises Covasna, die offiziell Sfântu Gheorghe heißt, von den meisten aber Sepsiszentgyörgy genannt wird, denn rund drei Viertel der 56.000 Einwohner sind Ungarn. Das bemerkt man schnell – und das sollte eigentlich auch kein Problem für Rumänien als EU-Mitgliedstaat bedeuten.
 

Ein Park und seine Symbole

Der schöne und von der Stadtverwaltung neu hergerichtete Park heißt heute Elisabeth-Park, „Erzsébet“ auf Ungarisch. Er soll an die österreich-ungarische Kaiserin Elisabeth, besser bekannt als „Sissi“, erinnern, die auch den Titel „ungarische Königin“ trug. Ihr zu Ehren wurden mehrere Bäume im südlichen Teil dieses Parks gepflanzt. Im Park soll es auch einen Baum geben, der für die Vereinigung von 1918 steht, gesetzt von den rumänischen Behörden zu einer Zeit, als der Park noch den Namen „Königin Maria“ getragen haben soll. Ein großer Obelisk steht in der Mitte.

Früher war er dem sowjetischen Soldaten als „Befreier“ gewidmet – nach 1989 wurden die kommunistischen Symbole entfernt. Die Säule ist heute ziemlich verwahrlost; gelegentlich zeigen dort Kinder und Jugendliche unter Aufsicht ihrer Betreuer ihre Kletterkünste an den für diesen Zweck angebrachten Kletterwänden. Bekannter ist der kleinere Obelisk aus Granit, den zwei steinerne Löwen bewachen und der 1873 errichtet wurde, um an das Revolutionsjahr 1848 zu erinnern, das in die ungarische Geschichte bekanntlich auch als Befreiungskampf vom Habsburger Reich eingegangen ist. Zwei der im Szeklerland oft anzutreffenden Holzstelen erinnern an die Toten der Dezemberrevolution von 1989 – die endgültige und leider auch blutige Loslösung vom kommunistischen Regime. 1998 kam im Park eine Statue des Grafen Imre Mikó (1805 – 1876) hinzu: Dieser war 1849 Gouverneur Siebenbürgens und später ungarischer Verkehrsminister. Heute trägt das größte Kolleg der Stadt seinen Namen.

Ein kleiner See, über den eine Brücke aus Gusseisen führt, ist ein weiterer Anziehungspunkt in diesem schönen Park, wo Großeltern ihre Enkelkinder ausführen, wo Jugendliche gern spazieren, wo Ortsbewohner oder Stadtbesucher die schönen Blumenbeete bewundern oder sich einfach auf den Bänken eine Rast gönnen. Bis vor einem Jahr bangten die Sankt Georgener um die Ruhe und auch um die Zukunft ihres Parks, weil Unmengen von Krähen eine wahre Plage darstellten. Der Verein „Rara avis“ hatte zur Mobilisierung der Stadtbevölkerung aufgerufen, um die Krähen endgültig zu verscheuchen. Zuerst dachte man an Sirenen und Lautsprecher, die die gut über 10.000 Krähen von den hohen Bäumen des Parks vertreiben sollten.
Danach wurde mehr auf nächtliche Streifen gesetzt, bei denen Freiwillige mit starken Laternen und Scheinwerfern die Krähen in ihren Nestern verunsichern sollten. Letztendlich hat sich die Beharrlichkeit gelohnt – die Krähen, die angeblich aus der Ukraine kamen, haben Sankt Georgen von ihrem Krächzen und ihren Abfällen seither verschont.

Gulasch und Kürtöskalács

In der letzten Aprilwoche findet das Stadtfest statt. Es ist dem Namenspatron, dem Heiligen Georg, gewidmet, dessen Namenstag auf den 23. April fällt. Zu diesem Anlass finden Kulturveranstaltungen statt; altes Handwerk und möglichst echte Volkskunst kommen zur Geltung auf den zahlreichen Verkaufsständen, rund um den Park auf der Hauptstraße aufgebaut. Unterhaltung – von Pop-Rock-Konzerten bis zu Folkloredarbietungen – und leckere Speisen, z.B. Gulasch, gewürzte Wurstsorten oder der mit mehreren Zutaten-Varianten erhältliche Kürtöskalács, dürfen bei diesen mehrtägigen Feiern nicht fehlen.

Etwas offizieller und ernster geht es am 15. März zu, wo auch ein Aufmarsch in alten Husaren-Uniformen, Kranzniederlegungen und Volksversammlungen stattfinden - alles anlässlich dieses ungarischen Nationalfeiertages, der auch als Welttag der Ungarn gilt.

Die zweisprachige – ungarische und rumänische – Beschriftung der Tafeln und Schilder an Behörden und Läden, ein Kulturzentrum Ungarns, ein ungarisches Theater und das Szekler Nationalmuseum sind auffällige Merkmale für das Bewusstsein der ungarischen Geschichte und Gegenwart in Sankt Georgen. Ein Bürgermeister ungarischer Abstammung und eine deutliche Mehrheit der Vertreter des Ungarnverbandes (UDMR) im Stadtrat (15 von 21 Stadtratsmitgliedern, hinzu kommen noch zwei Vertreter der ungarischen Volkspartei in Siebenbürgen) beweisen, dass die ungarische Mehrheit in dieser Stadt auch politisch entsprechend repräsentiert ist. Dass manche Ungarn mehr wollen, z.B. ein autonomes Szeklerland, sorgt gelegentlich für kontroverse Diskussionen, die sich aber nicht erkennbar im Alltag der Hauptstadt eines der kleinsten rumänischen Landkreise auswirken. Dass der rumänische Staat hier nicht unbedingt eine rein „ungarische Insel“ aufkommen lassen will, ist andererseits auch verständlich.
 

Das Museum der Ostkarpaten

So gibt es in Sankt Georgen eine zentral gelegene, große orthodoxe Kathedrale, deren Grundstein 1939 gelegt wurde; eine rumänische Theaterabteilung, rumänische Schulen und Militäreinheiten. Als Gegenstück zum Szekler-Nationalmuseum kann man das in der Gábor-Áron-Straße gelegene „Museum der Ostkarpaten“ betrachten. Obwohl es ebenfalls den Rang eines Nationalmuseums trägt, ist es dennoch recht bescheiden. In vier Räumen wird dort in einer modernen, multimedialen Darstellung ein Einblick in die vorgeschichtliche Zeit dieser Region gewährt. Vorgestellt werden archäologische Funde, die bei Grabungen in der Nachbarschaft des Dorfes Şoimeni (Kreis Harghita) entdeckt wurden. Es handelt sich um eine Siedlung, deren älteste Spuren aus der Kupferzeit stammen. Nachgestellt wird eine Wohnung samt Feuerherd, typisch für die Cucuteni-Tripolje-Kultur – die erste große Zivilisation Europas. Aus der Bronze-Zeit stammen andere Funde - Keramik, Werkzeuge und Waffen aus Stein, Knochen oder Horn, kennzeichnend für die Kulturen Costi{a und Wietenberg. Beeindruckend ist auch das Grabmal, in dem zwei Kinder in Hockstellung einem Erwachsenen gegenüber bestattet sind. Das Museum verfügt auch über Außenstellen in Miercurea Ciuc sowie in der Gemeinde Araci - das Geburtshaus des Schriftstellers Romulus Cioflec (1882-1955), sowie in Sf. Gheorghe selbst: die erste rumänische Schule, 1799 erstmals urkundlich als orthodoxe Kirchenschule erwähnt.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass sich in Sankt Georgen in der János-Bolyai-Straße der Sitz des Zentrumsforums des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien befindet.