Ein Ort der stillen Romantik

Ein Spaziergang in die Vergangenheit Siebenbürgens am Bergfriedhof von Schäßburg

Alte Grabsteine von aufgelassenen Gräbern wurden an die Stützmauer (links) gestellt.

Idyllische Stille

Ein Haupteingang zum Friedhof befindet sich gegenüber dem Westportal der Bergkirche.
Fotos: Wilhelm Fabini

Als Bergschüler schließt man den Bergfriedhof fast mehr noch als die ehemalige Schule ins Herz. Die Anlage mit den vielen Bäumen, Sträuchern und Bänken eignet sich zu jeder Jahreszeit als Ort, an dem eine ausgefallene Unterrichtsstunde – oder jene, die man ausfallen lässt – verbracht werden kann. Die wenigsten Schüler – und auch Besucher – nehmen jedoch den historischen Wert dieses Ortes der letzten Ruhe wahr.

Wie es der Name vemuten lässt, liegt der Bergfriedhof am Burg- oder Schulberg, neben der Bergkirche. Ein Spaziergang über diesen ganz und gar nicht geisterhaften Ort wird neuerdings sogar in Reiseführern empfohlen, zumal er Teil des von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgewiesenen Stadtgebiets von Alt-Schäßburg/Sighişoara ist. Dank seiner Lage und Anlage gehört er nämlich zu den schönsten Friedhöfen in Siebenbürgen.

Mit rund 2000 Grabstellen stellt er den Hauptfriedhof der evangelischen Gemeinschaft dar, die zwei weitere, kleinere Friedhöfe in der Oberen Baiergasse und am Siechhof besitzt. Mit zum Bergkirch- und Bergfriedhofskomplex gehören die Totenhalle im einstigen Goldschmiedeturm (der auch schon als Turnhalle für die Bergschule gedient hat) und der Seilerturm. In letzterem ließ der evangelische Frauenverein am Ende des 19. Jahrhunderts eine Wohnung für den Friedhofswächter einrichten. Mit seiner Familie wohnt er da auch heute noch.

Am Westhang des Berges begraben die Schäßburger ihre Toten vermutlich seit dem 18. Jahrhundert, als man die Gottesäcker auf Areale außerhalb der Stadtmauern bzw. der Wohngebiete verlegte. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war ein Friedhof an der rechten Seite der Schülertreppe in Gebrauch, in etwa da, wo das Denkmal an die Gefallenen im Ersten Weltkrieg steht. Die Stadt-Honoratioren wurden in der Kirche beerdigt, wie die Grabsteine in der Eingangshalle der Bergkirche beweisen.

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert befanden sich auf der Bergkuppe bereits etwa 1300 Grabstellen, eng aneinandergelegt und schwer zugänglich. Nach den Plänen des Kaufmannes Heinrich Hausenblasz, dem Verantwortlichen für den Friedhof von Seiten des Presbyteriums, und des Zeichenlehrers Georg Donath wurden deswegen am Anfang des vorigen Jahrhunderts am Nordhang Terrassen und neue Wege angelegt und dem Friedhof insgesamt das heutige Aussehen verliehen.

Der Friedhof

Ein Haupteingang zum Friedhof befindet sich im Knie des Umweges, d.h. des gepflasterten Weges, der um die Schülertreppe zu Bergschule und -kirche hinaufführt. Von diesem Eingang – hinter dem sich ein steinernes Wasserbecken befindet, von wo das Blumenwasser zum Grab mitgenommen werden kann – führt der breite Hauptweg ungefähr in der Mitte der Berglehne nach Westen bis zum Hüllgässer Tor.

Etwa in der Mitte des Weges gibt es die Gabelung für den Pfad, der zur Bergkirche hoch führt. Ober- und unterhalb des Hauptweges wurden anschließend an den alten Teil des Friedhofes mehrere Terrassen angelegt.

Hinzu kamen die „Neue Terrasse“ unter der Stadtmauer und der „Sachsenheim-Garten“, wo das Grabmal von Michael Albert steht. Womit wir bei einer ersten Persönlichkeit wären, derer man auf einem historischen Spaziergang gedenken kann. Von Michael Albert (1836-1893) sind heute besonders seine volkstümlichen Gedichte bekannt, die vertont gern gesungen werden. Er hat aber auch mehrere Dramen und Erzählungen verfasst, in denen u.a. die siebenbürgisch-sächsische Gegenwart und Vergangenheit thematisiert wird. Nach Studien der Germanistik und Theologie in Jena, Berlin und Wien war Albert am damaligen evangelischen Obergymnasium (der Vorgängerin der Bergschule) in dessen Blütezeit unter G. D. Teutsch und Friedrich Müller als Lehrer (beide später Bischöfe) und nebenbei auch wissenschaftlich tätig. Er gehört zu den Erweckern und Gestaltern des zugleich „kleinsächsisch“ und „großdeutsch“ gerichteten Weltbildes der Siebenbürger Sachsen nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich. 

Grabsteine kann man nicht bloß an Gräbern, sondern auch an den Stützmauern zu entziffern versuchen. Zu deren Verkleidung hat man die zum Teil stark verwitterten Steine von aufgelassenen Gräbern verwendet. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges wurde im westlichen Teil des Südhangs ein Soldatenfriedhof angelegt, 1944 kam ein zweiter für die Opfer des Zweiten Weltkrieges dazu. Auf letztgenanntem sind vor allem im Krankenhaus in Schäßburg verstorbene deutsche Soldaten begraben. Der Soldatenfriedhof II ist in den 1990er Jahren mit Hilfe der Deutschen Kriegsgräberfürsorge neu gestaltet und feierlich geweiht worden. Den Gedenkstein dazu entwarf der Künstler Wilhelm Fabini.

Am Nordwesthang gab es vormals den „Fremden- und Armenfriedhof“, wo oft außer dem Beerdigungsdatum nicht einmal der Name der Toten angeführt worden war. Dieser Teil ist heute mit Wildwuchs, Gestrüpp und Unkraut bewachsen. Am Bergfriedhof begraben sind nicht nur Schäßburger. Außer den Soldaten aus beiden Weltkriegen ruhen hier auch andere „fremde“ junge Leute: Lotte Schleinitz, ein Ferienkind aus Leipzig, und Wilhelm Ranzenhofer, der aus Wien als Ferienkind nach Schäßburg geschickt worden war, befinden sich darunter. Ja, es gab auch Zeiten, da Kinder nach Siebenbürgen zum Aufpäppeln kamen. 

Persönlichkeiten

Ebenfalls nach Siebenbürgen und Schäßburg hat es zahlreiche „Musikdirektoren“ verschlagen, von denen zwei berühmte am Bergfriedhof begraben sind: Emil Silbernagel (1841-1901) und Gustav Fleischer (1865-1927). Der Erstgenannte wurde in Prag geboren, wo er am Konservatorium studiert und die „Militärkapellenmeisterprüfung vor der Commission des Prager Militär-Musikvereins“ abgelegt hat.

Als Mitglied einer k. und k. Militärkapelle nahm er 1864 an den Aufführungen auf der Pariser Weltausstellung teil und zeichnete sich als Cellist aus, sodass Napoleon III. ihn mit zwei Goldmedaillen ehrte, wie der „Großkokler Bote“ im Nachruf auf ihn vermerkt. Silbernagel kam 1873 nach Schäßburg, war Musikdirektor des Musikvereins und Musiklehrer im Gymnasiums und übte 21 Jahre lang eine überaus fruchtbare Tätigkeit auch als Komponist, Cellist und Organist aus. In jener Zeit wurden Opern und Oratorien von Schäßburgern auf die Bühne gebracht sowie zahlreiche Kammermusikabende veranstaltet. Vertont hat Silbernagel Dichtungen seines Freundes Michael Albert und so entstanden die Operetten „Klotz und Trotz“ oder „Angelina oder Die Türken vor Schäßburg“.

Weil das musikalische Leben so rege war, beschloss die Leitung des Musikvereins 1893 einen zweiten Musikdirektor einzustellen. So kam Gustav Fleischer (1865-1927), in Sachsen geboren und  in Leipzig tätig, nach Schäßburg. Er war auch Stadtkantor und verfasste kirchliche „Gebrauchsmusik“ (so die Organistin Ursula Philippi), die heute noch gelegentlich gespielt wird.

Nach Siebenbürgen zurück kehrte der Zeichner, Lithograf und Maler Ludwig Schuller (1826-1906), in Kärnten geboren, doch stammte der Vater aus Deutsch-Kreuz/Criţ. Ludwig Schuller hatte an der Kunstakademie in Paris studiert und dort als junger Künstler Fuß gefasst. 1857 entschloss er sich jedoch, die Stelle als Zeichenlehrer an der Bergschule anzunehmen. Aus seinem Atelier stammen Porträts von G.D. Teutsch oder M. Albert, was weniger bekannt ist, er schuf die Altarbilder in sechs evangelischen Kirchen, darunter der Siechhofkirche in Schäßburg sowie in Großlasseln/Laslea und Keisd/Saschiz. Schuller brachte die Fotografie aus Paris mit, war da aber auch Gründer der freiwilligen Feuerwehr und Vorstand der Liedertafel. Fast bekannter noch ist seine Tochter Betty als Malerin, die 44-jährig 1904 verstarb. Tochter und Vater ruhen in demselben Grab.  

Schäßburg hat aber auch selbst Künstler „geboren“, an die man am Bergfriedhof erinnert wird. Der Maler Karl Brandsch (1900-1978) wurde in Schweischer/Fişer geboren, lebte jedoch seit seinem zweiten Lebensjahr in Schäßburg, wo er die Schule besuchte und in reifen Jahren als Zeichenlehrer tätig war. In Schäßburg geboren und ebenda verstorben ist die Dichterin Ursula Bedners (1920-2005), die ihre Heimatstadt in Lyrik, aber auch Erzählungen verewigte. In einem der Gräber aber ruht eine literarische Figur: Katharina Zikes, die in den Roman „Der hölzerne Pflug“ von Thusnelda Henning-Hermann eingegangen ist. In der vom Pfarramt zusammengestellten Liste der historischen und Ehrengräber am Bergfriedhof (in den Schäßburger Nachrichten von Dezember 2012 veröffentlicht) wird sie als „Mutter von vielen Kindern und Enkeln“ geführt. Auf dem Grabstein steht: „nachdem ihr 12 Kinder vorangegangen, beweinten 30 Enkel und 130 Urenkel ihren Tod“.       
Historische und Ehrengräber

Für einen Teil der historischen und Ehrengräber trägt die Kirchengemeinde die Verantwortung. Auf Initiative der HOG Schäßburg wurden alle Grabmale fotografiert und eine elektronische Datenbank für alle evangelischen Friedhöfe Schäßburgs erstellt.

Zu den Ehrengräbern gehören jene mehrerer Stadtpfarrer und Kuratoren, aber auch sonstiger verdienter Persönlichkeiten. Dazu zählt das Grab von Dr. Josef Bacon (1857-1941), der sich als Arzt für den Bau der Wasserleitungen und Lebensmittelkontrollen, den Bau eines Epidemiespitals und Ambulatoriums für Tuberkulose-Kranke einsetzte und sodann als Heimatforscher und Sammler siebenbürgischer Kulturgüter das Museum im Stundturm gründete, das er jahrelang als ehrenamtlicher Kustos betreut hat. Seine Mutter Therese Bacon gründete den Verein für Frauenbildung in Schäßburg, seine Schwester Marie Stritt gilt als Mitbegründerin der deutschen Frauenbewegung.

Als Pädagoge hat Dr. Heinz Brandsch (1889-1953) sich einen Namen erworben, der seit 1917 am Lehrerinnenseminar unterrichtete und 1922 dessen Direktor wurde, ein Amt, das er bis zur Schulreform 1948 behielt. Für seine „Chronik der archäologischen Funde Siebenbürgens“ geschätzt wird Carl Gooß (1844-1881), der als Altphilologe auch Arbeiten zur Geografie schrieb.

Nur wenig jünger war der Entomologe Karl Petri (1852-1932), der nach der Promotion in Leipzig in den Schäßburger Schuldienst trat – und ein weltweit anerkannter Fachmann im Bereich der Käfer wurde. Besonders angetan hatten es ihm die Rüsselkäfer, von denen er über 30 neue aus aller Welt beschrieb. Er war Mitglied des siebenbürgischen Naturkundevereins und korrespondierendes Mitglied der ungarischen entomologischen Gesellschaft.

Für die wirtschaftliche Entwicklung von Bedeutung war Wilhelm Löw (1869-1939), der die erste mechanische Baumwoll-Buntweberei und Dampffärberei Siebenbürgens errichtete, als er 1891 in der vom Vater gegründeten Handweberei 34 mechanische Webstühle und Anlagen aufstellte.


In der Liste der Ehrengräber nicht geführt wird jenes von Dr. Hans Otto Roth. Weil es leer ist? Der 1890 in Schäßburg geborene bedeutendste rumäniendeutsche Politiker der Zwischenkriegszeit starb 1953 im Gefängnis. Wo seine Gebeine liegen, weiß man nicht.