Es muss nicht immer Wandern sein

Zu Besuch im Museum der ersten rumänischen Schule in der Kronstädter Oberen Vorstadt

Das Museum der ersten rumänischen Schule

Die orthodoxe Sankt Nikolaus Kirche, auf deren Friedhof der rumänische Diplomat und Politiker Nicolae Titulescu überführt wurde.
Fotos: Hans Butmaloiu

Blick von der Zinne auf das Schei-Viertel: In der Mitte des Bildes kann man den Angerplatz und die Türme der Sankt Nikolaus Kirche erkennen.
Foto: Waldemar Stadler

Pfarrer Vasile Oltean im Büchersaal des Museums, vor den Vitrinen mit kostbaren Bücher.
Foto: privat

Reiseführer und Werbeprospekte für Kronstadt/Braşov geben neben den Zielen in der Inneren Stadt auch die Obere Vorstadt, dass Schei-Viertel oder in Deutsch – in unterschiedlichen Schreibweisen –  die „Bulgerei“ an. Hier, gleich am Anger, wo alte Fotos auch einen kleinen Markt um die Jahrhundertwende belegen, befindet sich das Ziel unserer heutigen Reise: Die Skt. Nikolauskirche und das Museum der ersten rumänischen Schule. Ihr Betreuer und Erforscher, der Philologe und Pfarrer  Vasile Oltean, führt seit vielen Jahren die Besuchergruppen, oft auch Staatsoberhäupter, durch die niedrigen Klassenräume und erzählt bereitwillig über die darin untergebrachten Kostbarkeiten und ihre Gründung.

„Obwohl die Bedeutung der Schule im Schei-Viertel schon immer gewürdigt wurde, bleibt ihr Gründungsjahr wegen der wenigen gesicherten Quellen, aber auch wegen der nur gelegentlich und nicht systematisch betriebenen Forschungen, noch unbekannt. Ausgehend von einem schriftlichen Antrag von 1761, dessen Angaben in den meisten Fachbeiträgen übernommen wurden, wird 1495 als Gründungsjahr angenommen“, fängt Pfarrer Oltean seine Geschichte an.

Ist das Gründungsjahr angenommen, doch nicht belegt, so gibt es zumindest über die Mitwirkenden vor und nach 1495 mehrere schriftliche direkte und indirekte Beweise im Kirchenarchiv: „1495 wurde Pfarrer Bratu, welcher in der Sankt Nikolaus Kirche von 1490 bis 1515 diente, von den ‘Herren aus Hermannstadt’ als Übersetzer für Slawisch, Griechisch, Latein und Rumänisch angeworben und nebenbei auch als Pfarrer für die Rumänen in Răşinari.

Er ist auch der Verfasser des ersten rumänischen Briefes, welcher verloren gegangen ist, doch welcher in den ‘Rechnungen von Hermannstadt’ als am 3. November 1495 geschrieben,  vermerkt ist. Der Fall von Pfarrer Bratu ist nicht der einzige. Zwei Jahrzehnte vorher, 1477, wurde Pfarrer Costea aus dem Schei-Viertel durch wiederholte Schreiben von Laiotă Basarab dem Alten an seinen Hof gerufen, um in der Kanzlei eingesetzt zu werden. Neuere Forschungen belegen, dass Pfarrer Costea auch Kopist war. In dem Museumsarchiv liegt eine umfangreiche Handschrift,  welche er noch kurz vor seinem Tod kopierte.“

Erste Druckwerke der Geschichte

Das Wirken der Gründer der ersten rumänischen Schule wird für den Besucher verständlich, wenn er vor den Vitrinen mit einigen der Bücher aus dem Bestand steht: Hier liegen nebeneinander slawische, rumänische und deutsche Bände, welche aus den ersten Jahren nach dem Erfinden der Druckerpresse stammen. Der gesamte Bestand umfasst etwa 6000 alte Bücher, um die 30.000 alte Schriften und mehrere Tausend Gegenstände.

Denn die namentlich nicht immer bekannten Kopisten, welche auch als Erzieher an der Schule arbeiteten, lehrten neben Schreiben und Lesen auch die „Grundsätze des Guten und der Tugend mit welchen ein Schüler versehen werden musste“, wie ein historisches Dokument ihre Tätigkeit umschreibt. Als Vorlagen dienten bis zu den ersten Drucken Handschriften, wie die „Kommentare der Reden Ephräm des Syrers“, welcher im 4. Jahrhundert in Damaskus  lebte. Diese Handschrift war im Besitz des Erbauers des heutigen Schulgebäudes, des Protopopen Mihai. 

In dieser Gründungszeit gab es bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts eine zweite Gruppe, die der „grămătici”, welche auch in den deutschen Schriften Kronstadts erwähnt werden. Neben ihrer schulischen Tätigkeit wurden sie oft herangezogen, wenn es darum ging, Botschaften zu überbringen oder, was wohl viel öfters der Fall war, Händler und Kaufleute zu begleiten, wenn es um Aufträge aus der Walachei oder der Moldau ging.

Namentlich bekannt sind Radu, Begleiter des Pfarrers Coman aus dem Schei-Viertel an den Hof von Wojwode Vlad Călugărul (1481-1484). Für seine Fähigkeiten geschätzt, lässt sich Radu  1484 in Târgovişte nieder und bleibt im Dienste des Wojwoden. Aus 1541 ist ein zweiter Radu bekannt, welcher mit einer Botschaft an den Hof von Radu Paisie (1534-1545) zieht und dafür von dem Kronstädter Rat, in dessen Auftrag er sich befand, mit vier Asper und 10 Denaren entlohnt wird.

Dass all diese auch der deutschen Sprache kundig waren, belegen – neben den Aufträgen, welche sie direkt von dem Kronstädter Rat entgegen nahmen – auch die zahlreichen deutschen Bücher aus ganz unterschiedlichen Bereichen aus dem Bestand des Museums, die verschiedene Randbemerkungen tragen.  
Das Museum befindet sich in dem 1597 errichteten Gebäude und umfasst mehrere thematische Säle.

Der erste ist dem bekannten Erzähler Anton Pann gewidmet und als Schulklasse eingerichtet. Pann weilte des Öfteren in Kronstadt und von ihm sind mehrere Schriften hier hinterlassen worden. In diesem Raum empfängt Pfarrer Vasile Oltean die Besucher und bittet sie, auf den engen Bänken hinter den schrägen Pulten Platz zu nehmen.

Je nach Herkunftsland folgt dann eine symbolische „Schulstunde“, in welcher zum Beispiel die Beschreibung von Wien aus einem Schulbuch aus dem 19. Jahrhundert durchgegangen wird: Von Einwohnerzahl und verbrauchten Fässern Wein bis hin zu der Anzahl der Schafe und Kühe, Konzertsälen und verzehrten Broten, berühmten Namen. Einer der Gäste, welche hier die Schulbank drückten und sich dabei köstlich amüsierten, war auch der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer.

Durchbruch für die rumänische Sprache

Der zweite Raum ist der bekanntesten Persönlichkeit gewidmet, welche hier gewirkt hat: Diakon Coresi. Zusammen mit seinen Gehilfen Călin, Mănăilă, Şerban Coresi, Toma  und den Protopopen Iane und Mihai  druckte dieser zwischen 1556 und 1588 etwa 40 Titel in mehreren Hundert Exemplaren. Dadurch verhalf er in den orthodoxen Kirchen der rumänischen Sprache zum Durchbruch.

Die bekanntesten Bücher sind „Cazania a II-a” („Das rumänische Lehrenbuch”), welches im Schei von den Protopopen Iane und Mihai übersetzt wurde; „Psaltirea”, „Sbornicul” und „Octoihul”. Neben der alten Buchpresse kann man auch noch eine Originalvorlage sehen, welche ein Druckblatt in kyrillischen Buchstaben, aber in rumänischer Sprache, im Spiegelbild trägt. Mit einer anderen Druckplatte erstellt Pfarrer Vasile Oltean auch Belege, welche die Anwesenheit des Besuchers in dem einem slawonischen Buchumschlag nachempfundenen Druck attestiert.

Ein kleiner Teil der Büchersammlung des Museums kann in den oberen Räumlichkeiten der Schule besichtigt werden. Es handelt sich um Originalausgaben der schon erwähnten Titel, sowie um weitere Drucke, welche z.B. in Târgovişte oder Bukarest erstellt wurden, aber auch um Auflagen aus den bedeutenden Buchzentren Europas. Eine „Chronika des ungerischen Kriegswesens“, gedruckt in Nürnberg Anfang des 17. Jahrhunderts, zählt dazu ebenso wie Reisebeschreibungen oder Lehren orthodoxer Kirchenväter.

Hier fühlt sich Pfarrer Vasile Oltean in seinem Element und kann stundenlang über die Entdeckungen erzählen, die er immer wieder in dem Bücherbestand macht. Dieser entstand nach und nach, doch eine vollständige Einsicht in alle Werke findet erst jetzt statt. Der Großteil des Bestands wurde nämlich lange Jahre diskret, fern von den Augen der Behörden verwaltet und nicht öffentlich gemacht oder gar ausgestellt, weil er nicht der „Linie“ entsprach.

Die Einsicht und Erforschung dieses Schatzes hat sich Pfarrer Vasile Oltean als Aufgabe gesetzt, der er sich voll und ganz verschrieben hat. Dabei sind ihm seine Deutschkenntnisse von großem Nutzen, da ein nicht geringer Teil der Bücher seltene Drucke aus Colmar, Leipzig, Wien und Nürnberg sind. Eine seiner vor nur wenigen Jahren gemachten Entdeckungen ist ein Kapitel über den Tod des walachischen Wojwoden Michael der Tapfere, das zwei Jahre nach den Geschehnissen im Feldlager neben Turda gedruckt worden war.

Die Attraktion dieses Museums, der Sankt Nikolaus Kirche, des „Junii“-Aufmarsches am ersten Sonntag nach den orthodoxen Ostern, aber auch des malerischen Viertels mit seinen verwinkelten Gassen und Gässchen hat übrigens auch dazu geführt, dass am Angerplatz in den letzten Jahren zwei neue Hotels und zwei Pensionen eröffnet wurden. Kronstadt ist also nicht nur für Wanderer oder Liebhaber der Berge eine Reise wert, sondern auch als Kulturstadt interessant.