Fresken, Fahrradfahren und Raureif in der Mărginimea Sibiului

In der orthodoxen Kulturlandschaft um Hermannstadt ist sportliche Naherholung auch winters möglich

Eine Radtour in der Mărginimea Sibiului hat auch im Winter ihren Reiz.

Leuchtende Heiligenbilder auf Gebetshäuschen beleben die karge Winterlandschaft und zeugen von orthodoxer Frömmigkeit.

Bilder der Heiligenverehrung in der Kuppel eines Gebetshäuschens im orthodoxen Bauerndorf Poplaca. Fotos: der Verfasser

Wenn auf den letzten Blätterregen der bleierne Spätherbst folgt, wenn selbst im Winter der Schnee auf sich warten lässt und die Tage zwischen Weihnachten und Silvester oder sogar im Januar grau in grau daherkommen, macht der Sportmuffel es sich gerne bequem. Abends oder früh morgens hält ihn die kalte Luft davon ab, die Laufschuhe zu schnüren und im Stadtpark zu joggen. Bei Außentemperaturen nahe des Gefrierpunktes holt man sich leicht eine Erkältung. Schwitzen und tiefes Einatmen bei klammer Winterfeuchte ist nur etwas für Berufssportler. Anders jedoch das Fahrradfahren, das sich auch an windstillen Wintertagen bei genügend Sonnenstrahlen als erfrischende Möglichkeit anbietet, den inneren Schweinehund zu einer Dosis Bewegung zu überlisten. Hermannstadt/Sibiu bietet hierfür gute Optionen.

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elbstverständlich sind die vierspurigen Ausfallstraßen Richtung Flughafen (westlicher Stadtrand) und nach Kronstadt/Brașov und Bukarest (Südosten) Fahrradfahrenden nicht anzuraten oder meist sogar untersagt, was einen guten Grund hat. Den Schwerlastverkehr hautnah vorbeiziehen zu lassen, ist nicht ungefährlich. Es gibt aber eine ganze Reihe von Dörfern und Ortschaften rings um Hermannstadt, die sich auf dem Fahrradsattel gefahrlos und ohne jede überschüssige Lärm- und Abgasbelästigung erreichen lassen. Streckenweise steht ein städtisches Radwegnetz beachtlicher Gesamtlänge zur Verfügung. Michelsberg/Cisnădioara, Heltau/Cisnădie, die Thalheimer Höhe/Dealul Dăii und das Harbachtal/Valea Hârtibaciului sowie das zwischen dem Zibinsgebirge/Munții Cindrel und dem Lauterbach-Gebirge/Munții Lotru gelegene Zoodt-Tal/Valea Sadului sind mögliche Ausflugsziele, die man auch ohne aufgemotzte Mountainbikes ansteuern kann. Ein handelsübliches Straßenrad mit ausreichend verschiedenen Zahnradkombinationen tut es auch.

Mindestens ebenso lohnend wie eine Stippvisite in das Gebiet um die siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen von Heltau und Michelsberg ist ein Abstecher in die orthodoxe Kulturlandschaft im selben Umkreis südwestlich von Hermannstadt. Poplaca ist ein Bauerndorf wie eh und je, das den Reigen der rumänischen Folklore unweit der Kreishauptstadt nach wie vor authentisch eröffnet. Fährt man auf die Thalheimer Höhe oder nach Heltau, verdrängt das Immobilienwachstum Hermannstadts die rurale Visitenkarte der Region zusehends. Wenn der Trend bestehen bleibt und sich potente Käufer für alle weiteren Angebote auf dem Markt finden, könnte Heltau mittel- oder langfristig zu einem Stadtviertel Hermannstadts werden.

Ungleich unberührt steht Poplaca in der Landschaft. Augenscheinlich hat noch kein Immobilienhai es zu seiner Zielscheibe auserkoren, weswegen im Dorfbild noch immer fast keine marmornen Prachtbauten auszumachen sind, die andernorts in Rumänien die jahrhundertealte architektonische Identität verunstalten und die Belastbarkeit des natürlichen Baubodens arg überschreiten. Pendeln mit Baumaterial voll beladene Lastkraftwagen etwa nicht nach Poplaca, weil rechts an der Kreisstraße DJ 106R zwischen Hermannstadt und der ersten Ortschaft in der von Alters her orthodoxen „Mărginime“ ein Truppenübungsgelände des Rumänischen Ministeriums für Verteidigung eine weitläufige Pufferzone rings umher benötigt, die nicht bebaut werden darf? Möglich, dass der Immobilienboom das Dorf Poplaca bisher ausgerechnet aus Gründen militärischer Art verschont hat.

Die zehn Kilometer von Hermannstadt nach Poplaca haben es in sich, wenn man ihnen mit dem Fahrrad beikommen möchte. Außer endlosen Wiesenflächen sowie den Foto- und Verkehrsverbotstafeln, die das erwähnte militärische Gelände vor den Augen und Kameras öffentlicher Neugierde schützen sollen, gibt es auf der Strecke nach Poplaca rein gar nichts zu sehen. Kräftig in die Pedale treten, das ist auf dieser Strecke angesagt. Wenige hundert Meter vor Poplaca und im Ort selbst wird man jedoch für alle sportliche Leistung entschädigt, sobald die von LKWs unbelastete Verkehrsstraße den Blick auf die hügeligen Anfänge des Zibinsgebirges freigibt. Eindrücklich ist die Fahrradroute vor allem an einem knackig kalten Wintertag, wenn man die schneefreie und trockene Asphaltstraße unter beißender Sonne gemütlich entlangfahren kann. Wer zudem nicht viel darauf gibt, unbedingt an öffentlich sichtbar hohen Feiertagen wie beispielsweise dem 1. Dezember (Nationalfeiertag Rumäniens), dem 1. Januar (Neujahr) oder dem 7. Januar (orthodoxes Fest des Täufers Johannes) teilzunehmen, kann mit ein wenig Glück das gute Winterwetter und die kaum befahrenen Verkehrsstraßen der Mărginimea Sibiului quasi ganz für sich alleine genießen.

Ein Stillleben ist der Raureif auf den brachliegenden Stoppelfeldern rings um Poplaca, Orlat und Gura Râului. Kennzeichnend für die Gegend sind auch zahllose Kruzifixe, die an sämtlichen Wegkreuzungen, am Feldrand und seitlich der Forstwege und Verkehrsstraßen anzutreffen sind. In der Hermannstädter Mărginime, wo Aberglaube und christlicher Glaube sich zur spezifisch orthodoxen Frömmigkeit mischen, tragen Anhalten und Rasten noch immer gute alte symbolische Bedeutung: Möge der Herr dir die richtige Spur zeigen und dich davor bewahren, den falschen Weg einzuschlagen! Die prächtigen Kruzifixe an den Wegkreuzungen sind orthodoxe Kathedralen im Kleinformat. Es lohnt sich allemal, unterwegs eine Pause einzulegen und die Wandmalereien genauer zu betrachten. Auch nicht-orthodoxe Christen nehmen keinen geistigen Schaden, wenn sie Namen von Aposteln und Heiligen entziffern und auf den Ikonenmalereien feststellen, dass der Löwe dem Evangelisten Markus, der Stier Lukas, der Adler Johannes und der Mensch Matthäus zugeordnet wird. An einem gemauerten Gebetskreuz unweit von Rășinari, dem Geburtsort Octavian Gogas (1881-1938) auf der Bergseite des Hermannstädter Jungen Waldes/Dumbrava Sibiului, sind traurige Spuren von Verwüstung zu finden: Vandalen haben die Gesichter der Heiligen auf der Wandmalerei der Innenkuppel ausradiert und unkenntlich gemacht. Solch verstümmelnde Racheakte hat selbst die aktuell verstärkt in der Kritik stehende Orthodoxe Kirche Rumäniens nicht verdient.

Um sich auch winters während eines Fahrradausflugs gemütlich Zeit für eine Essenspause oder ein Innehalten an der Wegkreuzung nehmen zu können, ist Sportkleidung nach dem Zwiebelprinzip nötig. Vier dünnere Textilschichten übereinander sind praktisch und haben einen viel höheren Wärmeeffekt als zwei dicke Funktionspullover. Eine fluoreszierende Fahrradjacke als äußerste Kleidungsschicht ist nicht nur Pflicht, sondern tatsächlich eine nicht zu unterschätzende Sicherheitsmaßnahme, die dem ein oder anderen Verkehrsunfall zuvorkommen kann. Kleine Schürfwunden entstehen gerne auch mal ohne Autofahrer-Schuld, weswegen eine Erste-Hilfe-Tasche zwingend mit in die Fahrradsatteltasche gehört. Fahrradhandschuhe vermeiden im Ernstfall schmerzende Wunden am Handrücken und im Handteller. Nebst griffigen Rück- und Vorder-bremsen ist ein passgenauer Fahrradhelm der wichtigste Bestandteil der Ausrüstung. Es ist enorm wichtig, ihn mittig auf den Kopf zu setzen. Dies gilt insbesondere für Kinder, deren Eltern ihren Sprösslingen den Helm gerne mal unachtsam und schnell auf den Hinterkopf setzen, sodass Gesicht und Stirn bei frontalem Aufprall nicht geschützt sind. Deswegen sind Fahrradhelme mit aufgesetztem Schild aus Hartplastik besonders zu empfehlen. Fachmännische Vorsicht beim Ankleiden vor dem Fahrradfahren will gelernt sein.

Die Strecke von Poplaca nach Rășinari ist vier Kilometer lang und verläuft über einen kleinen Bergrücken, von dessen mittlerer Höhe aus das Panorama auf das Fogarascher Gebirge/Munții Făgăraș und ein Rundumblick über einen Teil der weiten Mărginimea Sibiului bewundert werden können. Wenn man sich auf der kurzen Steigung zuvor verausgabt hat und obendrein das Wetter mitspielt, bietet sich dieser Ort als Rastplatz schlechthin an. Wenn man Schafherden begegnet, deren kläffende Wachhunde einem den sportlichen oder genießerischen Augenblick verderben, macht sich meist ein elektronisches Abwehrgerät im Taschenformat bezahlt. Wer sich Trittfrequenzen ŕ la Eddy Merckx, Raymond Poulidor, Miguel Indurain, Marco Pantani, Erik Zabel oder Jan Ullrich zutraut und aus den eigenen Beinen Radgeschwindigkeiten von 40 oder noch mehr Stundenkilometern herausholen kann, braucht ein heißes Wettrennen mit den kettenlosen Vierbeinern nicht zu fürchten.

Einziger Nachteil der eigentlich willkommenen Fahrradbahn von Rășinari nach Hermannstadt durch den Jungen Wald vorbei am Astra-Freilichtmuseum ist ihre knappe Breite. An warmen Frühlings-, Sommer- und Herbsttagen ist sie von Fußgängern und Kinderwagen derart überlaufen, dass man sich als ehrgeiziger Amateurradler besser dafür entscheidet, auf die gewöhnliche Autoverkehrsstraße oder den unbefestigten Waldweg nebenan auszuweichen. Eine ungleich dringendere Ausweichmöglichkeit auf derselben Fahrradbahn muss man an einer bestimmten Ecke im städtischen Erlenpark/Parcul sub Arini suchen, wenn einem das eigene Leben lieb und teuer ist: Es geht schräg abwärts durch einen kurzen Tunnel und danach erneut bergauf, doch ist diese Passage niemals einsehbar. Aus der Gegenrichtung im rasanten Tempo auftrumpfende Fahrradfahrer stellen ein hohes Unfallpotential dar, noch dazu, wenn sie unglücklich auf der falschen Fahrbahnseite unterwegs sind. Es ist sicherer, diese Stelle zu umfahren und das Spiel mit dem riskanten Adrenalin-Kick nicht einzugehen. Wer sich in und um Hermannstadt Fahrrad fahrend erholen oder austoben möchte, benötigt hierzu ein technisch einwandfreies Sportgerät, intakte Ausrüstung von Kopf bis Fuß und genaue Kenntnis der gewählten Route.