Gruß aus Frankfurt am Main

Die Multikulti-Stadt wirkt fast wie ein überdimensionales Banat

Der sogenannte Römerberg ist der Rathausplatz von Frankfurt am Main.

Hochhäuser prägen das Stadtbild von „Mainhattan“.

Hier floriert das Nachtleben: Im Bahnhofsviertel sind zahlreiche Bordelle angesiedelt.

Liebesschlösser am Eisernen Steg. In der Unschärfe einige Hochhäuser.
Fotos: Raluca Nelepcu

In den nächsten fünf Minuten wird ein Banker in die Mittagspause gehen, ein Dönerladenbesitzer seinen 43. Kunden heute mit türkischem Fast-Food versorgen, ein Hotelbesitzer ein paar japanische Touristen empfangen, ein Drogenabhängiger wird sich Heroin  spritzen, ein frisch verheiratetes Pärchen ein Schloss als Symbol ihrer unendlichen Liebe an der Main-Brücke Eiserner Steg befestigen und die Schlüssel in den Fluss werfen und eine rumänische Touristin aus der multikulturellen Region des Banats das Geburtshaus von Johann Wolfgang von Goethe betreten.

In der nächsten Stunde werden nicht weit davon entfernt etwa 80 Flugbewegungen stattfinden, Millionen Daten aus aller Welt über den Digital Hub fließen, ein Auto mit Wasserstoffantrieb die Werkstatt verlassen und etwa 60 Kilometer weiter weg wird ein Weinforscher aus Geisenheim aus einem Glas Rotwein trinken und sagen: „Es schmeckt genau so, wie es sein muss“. Mit einfachen Worten und ohne es auch nur zu ahnen hat der Weinspezialist die beste Aussage gefunden, um die fünftgrößte deutsche Stadt und Europas Verkehrs- und Datendrehkreuz zu charakterisieren: Frankfurt am Main kann facettenreich und vielfältig sein, ist international und rasant, aber immer noch „genau so, wie es sein muss“.

Beruhigendes Grün gegen Hektik und Trubel

Die Geschichte von der alten Frau, die zum ersten Mal in ihrem Leben geflogen ist, am Frankfurter Airport landete und sich da so schlimm verlief, dass sie von ihren Söhnen und Töchtern erst Stunden später weinend gefunden wurde, ist keine erfundene Story. Denn der Flughafen in Frankfurt am Main ist der größte in Deutschland und nach Heathrow in London und Charles-de-Gaulle in Paris der drittgrößte in Europa.

Rund 500.000 Flugbewegungen finden hier jährlich statt,  pro Stunde können es nun – nach der Eröffnung der Landebahn Nordwest im Oktober 2011 – bis zu 126 sein.  56 Millionen Fluggäste pro Jahr landen oder starten vom Frankfurter Flughafen – nach der Eröffnung des neuen Terminals 3 soll diese Kapazität um 25 Millionen Passagiere aufgestockt werden.

Überwältigt von der Größe des Flughafens, aber auch mit offenem Mund staunend beim Betrachten der Megaliner A380, die mehr als 800 Passagiere gleichzeitig befördern können, kann sich der Tourist am Frankfurter Airport leicht eingeschüchtert fühlen. Doch die Bahnfahrt in die Innenstadt wirkt wie ein Beruhigungsmittel, denn der Reisende braucht nur aus dem Fenster zu gucken, und schon schlägt sein Herz langsamer. Frankfurt am Main ist zwar die am „amerikanischsten“ wirkende Stadt Deutschlands, doch es sind nicht die Wolkenkratzer, die einem sofort ins Auge stechen. Vielmehr ist es das breite Grün, welches das Stadtbild prägt und Frankfurt zu einer Metropole mit Flair, doch ohne Großstadtcharakter kürt.

Das Bahnhofsviertel – eine Welt für sich

Am Hauptbahnhof angekommen, muss der Tourist erstmals den zahlreichen anderen Reisenden Platz machen. Oben, auf dem Bahnhofsgebäude, schleppt ein mythologischer Atlas die gesamte Last der Erde auf seinem Rücken. Und irgendwie scheint es auch am Bahnhof so, als ob die ganze Welt nach Frankfurt gereist sei. Wie der Turm zu Babel ist auch der Hauptbahnhof in Frankfurt am Main ein Ort, an dem man Sprachen aus aller Welt hört und wo sich Menschen von überallher einfinden.

Der Tourist geht über das ehemalige Galgenfeld Richtung Innenstadt, zu Fuß, denn über das berühmt-berüchtige Bahnhofsviertel hat er eine Reportage im Fernsehen gesehen. „Weißt du, was das Frankfurter Frühstück ist?“ hatte ihn einst ein Bekannter aus Siegen gefragt. „Würstchen vielleicht?“ hatte er damals, fragend und unwissend, geantwortet.

Mit einer Handbewegung hatte sich dann der Bekannte auf den Unterarm geklopft, so, als ob er sich etwas spritzen wolle. Das verstand der Reisende damals nicht auf Anhieb.

Das  Bahnhofsviertel ist zwar der zweitkleinste Stadtteil Frankfurts, dennoch ist er ein Blickfang. Der Tourist mag wohl erstaunt sein, dass auf den Terrassen hier sichtbar arme Leute neben reichen Geschäftsleuten sitzen und ihren Kaffee ungestört genießen, während draußen, auf den Straßen, eine bunte Welt tobt.

Knapp über 2000 Menschen leben heute in dem Bahnhofsviertel, das als Multi-Kulti-Stadtteil Frankfurts betrachtet werden kann, denn fast 70 Prozent seiner Bewohner haben einen Migrationshintergrund. Doch das kann den Touristen nur freuen, denn hier findet er nicht nur Läden, die rund um die Uhr geöffnet haben, sondern auch solche, die spezifische Produkte aus Asien oder beispielsweise aus der Türkei zum Verkauf anbieten.

Dass aus dem Musikladen im Bahnhofsviertel der King of Rock´n Roll Elvis Presley selbst eine Gitarre gekauft hat, das ist noch längst keine Selbstverständlichkeit. In der Taunusstraße mag der Reisende aus fernosteuropäischen Ländern bass erstaunt stein, wenn sein Blick nach oben schweift und er die freizügigen Damen sieht, die auf den Balkonen rauchend erwartungsvoll nach Kunden Ausschau halten. An der nächsten Straßenecke sitzen ein paar fixende Drogensüchtige auf dem Asphalt. Ein alltäglicher Anblick im Bahnhofsviertel.

Friedliches Mit- und Nebeneinander

Der Reisende weiß, dass das westeuropäische Ausland mit vielen Problemen anders – toleranter – umgehen kann, als es seine Landsleute tun, deswegen findet er sich auch im Bahnhofsviertel schnell zurecht. Er möchte aber auch andere Facetten entdecken und begibt sich weiter in die Innenstadt.

So viele Hochhäuser wie hier kennt er höchstens aus dem Fernsehen. Banken, Versicherungen, Finanzinstitutionen – sie alle haben hier ihre Wolkenkratzer errichten lassen, um hoch über den Wolken mit den Millionen jonglieren zu können. Etwas steif wirken die Männer und Frauen in ihren Anzügen, doch ganz locker nach Feierabend, wenn sie mit strahlenden Gesichtern und vollen Einkaufstaschen die zahlreichen Geschäfte in der Zeil verlassen. Frankfurt ist eine reiche Stadt, die Leuten jedweder Herkunft Möglichkeiten bietet, Karriere zu  machen.

Mit 1,5 Millionen Menschen tagsüber und 750.000 Leuten, die hier übernachten, ist Frankfurt am Main die fünftgrößte Stadt in Deutschland und die größte des Bundeslandes Hessen, weit größer als die hessische Hauptstadt Wiesbaden. Der Tourist könnte sich beim Museumsuferfest verloren und anonym fühlen, so viele Leute sind an den Abenden am Main-Ufer versammelt. Archäologisches, Caricatura, Filmmuseum, Science Center, Jüdisches Museum, Hammermuseum und Vieles mehr.

Die Auswahl an Kultureinrichtungen ist in Frankfurt riesig. Weil so viele Museen in der Main-Metropole angesiedelt sind, musste die Stadt nicht lange überlegen, um die passende Benennung für Frankfurts größtes Open-Air-Kunst- und Kulturfestival zu finden. Sie nannte es schlicht und einfach: Museumsuferfest.

Grüne Soße und Apfelwein

An den vielen Ständen, die an beiden Main-Ufern in unmittelbarer Nähe des Eisernen Stegs stehen, geht der Tourist nicht achtlos vorbei. Die internationalen Köstlichkeiten, die hier angeboten werden, doch vor allem die Frankfurter Spezialiäten sind es, die bei ihm für besondere Gaumenfreuden sorgen. Ein bisschen „Handkäs“ mit Musik, „Rippche“ mit Kraut und selbstverständlich die grüne Soße als Beilage. Zum Schluss einen guten Apfelwein. Prost!

Gegessen, spaziert, eingekauft: Der Reisende ist nun müde und braucht einen Übernachtungsplatz. Er findet ein günstiges Hotel in Bahnhofsnähe und – siehe da – der Mann an der Rezeption spricht Rumänisch und Ungarisch. Erschöpft, doch bereichert schläft der Tourist ein – und träumt von Frankfurt, dass ihm irgendwie wie ein überdimensionales Banat erscheint, ein Ort also, an dem das friedliche Neben- und Miteinander der Ethnien eine Selbstverständlichkeit ist.

Zur selben Zeit kann der Banker vor lauter Sorgen nicht einschlafen, bedient der Besitzer des Dönerladens bereits seinen 86. Kunden heute, ruft der Hotelbesitzer ein Taxi herbei, träumt der Drogenabhängige von einer besseren Welt und schaut sich das frisch verheiratete Pärchen eine Liebeskomödie an. Währenddessen versucht die rumänische Touristin ihre Eindrücke auf Papier zu bringen. All das passiert in Frankfurt am Main.