Habermann-Platz und steinerne Jungfrauen in Hermannstadt

Trost für vorzeitig geschlossene Fotoausstellung: Panoramabilder von Stefan Jammer bald in Buchform

Hier stand bis 2004 eine Brauerei. Das Foto zeigt erste Schritte der Bauarbeit am 2018 neu eingeweihten Habermann-Platz und letzte Reminiszenzen der abgerissenen Bierfabrik.

Am 9. Mai 2019 hat Hermannstadt ein EU-Gipfeltreffen erlebt. Fridays for Future durfte nicht auf den Großen Ring, war an diesem Tag aber dennoch international mit von der Partie.

Gar nicht so einfach, eine Stadt in einem einzigen Blick zu erfassen.

Weihwasser-Ausgabe am orthodoxen Epiphanias-Fest im Erlenpark

Auch Steine – hier eine der beiden Jungfrauen am Haus Nummer 13 auf der Fleischergasse – haben Erwartungen an die Zukunft. Fotos: Stefan Jammer

Stefan Jammer stammt nicht aus Hermannstadt/Sibiu. Er wurde 1976 in der Kleinstadt Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern an der deutschen Ostseeküste geboren und hat in Dresden studiert. Sein fotografisches Auge, dem er an der Technischen Universität und der Universität für Bildende Künste der Hauptstadt Sachsens den letzten Feinschliff verpasst hat, ist ein ausgetüfteltes Werkzeug und macht es ihm einfach, seine Aufnahmen in lupenreiner Qualität wiederzugeben. Ohne die wäre es ihm wohl nicht möglich, als freier Fotograf und Grafiker zu arbeiten. Seit 2005 lebt Stefan Jammer in Rumänien. Hermannstadt, von wo aus man mit der deutschen Sprache am leichtesten nach Siebenbürgen hineinfindet, hat auch ihn vom Start weg für sich gewonnen.

Am Eingang der Ausstellung „Panorama Hermannstadt“ im Terrassensaal des Begegnungs- und Kulturzentrums „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) im Herzen Hermannstadts liegen auf einem Tisch zwei Stöße Papier in den Sprachen Deutsch und Rumänisch. Die Blätter in A4-Größe informieren kurz und bündig über die Ausstellung und geben auch Aufschluss über die Referenzen des Fotografen Stefan Jammer, den bestimmt nicht wenige Menschen aus Stadt und Region als Multimedia-Produzenten kennen, der so gut wie nie ein Wort über sich selbst verliert. Am liebsten spricht Stefan Jammer durch seine Fotos.

Leider sind nunmehr alle Chancen auf eine Besichtigung der Ausstellung „Panorama Hermannstadt“ verstrichen, obwohl die Anfang Juli 2020 im Terrassensaal des Teutsch-Hauses aufgestellten Fototafeln und dazu passenden Begleittexte sich noch bis Mitte Dezember nicht vom Fleck rühren werden. Keine urbane Ecke und keine morgendliche, mittägliche, abendliche oder nächtliche Perspektive, die Stefan Jammer nicht in seine fotografische Interpretation des Panoramas von Hermannstadt verflochten hätte. Alles lässt der freiberufliche Profi vor seiner Kamera auflaufen, nur eines nicht: Corona.

Das Blatt Papier am Eingang der Ausstellung führt eine mit knapp 30 Namen gespickte Auftraggeber-Liste an. Wer von ein und demselben Ort aus für zünftige Institutionen wie die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), das Nationale Museum für Gegenwartskunst Bukarest (MNAC), das Brukenthalmuseum, das Goethe-Institut, das Deutsche Kulturzentrum Hermannstadt, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und das Internationale Theaterfesitval Hermannstadt (FITS) arbeitet, für den ist die Gewohnheit, täglich von Neuem vorausschauend in der Stadt unterwegs zu sein und über den Tellerrand der lokalen Filterblase hinauszuschauen, eine Einstellungsfrage. Aber vor der Überraschung Corona musste die Ausstellung „Panorama Hermannstadt“ von Stefan Jammer doch noch weichen. Der Entschluss, die Türen für die Dauer von zunächst vier Wochen zu schließen, fiel Freitag, am 6. November.

Trotzdem die vier unleidlichen Auszeit-Wochen bald abgezählt sein werden, ist alles Hoffen auf ein letztes Wiederöffnen kurz vor Ende der Ausstellungsfrist am Dienstag, dem 15. Dezember, vergeblich. Corona ist Hermannstadt rasch auf den Leib gerückt und wird hier vermutlich noch längere Zeit für leere Galerien sorgen. Heidrun König, Museumsleiterin des Teutsch-Hauses und Kuratorin der Panorama-Ausstellung, war jedoch schon vor Bekanntgabe des kulturellen Veranstaltungsstopps nicht eben zufrieden mit den Besucherzahlen, die in den Sommer- und Herbstmonaten durchaus deutlich höher hätten ausfallen können. Klar hat sie damit recht, denn beim Lesen ihrer Texte und Hinschauen auf Stefan Jammers Fotos konnte jede an Hermannstadt interessierte Person zigfach auf ihre Kosten kommen.

Es hat nicht sollen sein, die letzten Publikums-Scharen in den ersten zwei Wochen der Adventszeit vor die Fotos, die Stefan Jammer in den Jahren von 2005 bis 2020 geschossen hat, locken zu können. Oder werden sich Kulturreferentin Gerhild Rudolf, Kuratorin Heidrun König und der ausstellende Profi dazu entschließen, die Frist ausnahmsweise um einige Wochen zu verlängern, damit Fotos, Texte und verspätet neugierige Augenpaare einander nochmal begegnen können? Wir wissen es nicht. Dafür rascheln am Horizont bereits die Seiten des dicken Hardcover-Katalogs der Panorama-Ausstellung. Stefan Jammer ist „nicht so ganz, ganz wunschlos zufrieden“ mit der Druckqualität der darin zu findenden Fotos, aber stolz auf den „Katalog, der eigentlich ein richtiges Buch ist“ und aller Wahrscheinlichkeit nach rechtzeitig auf dem Gabentisch zu Weihnachten von sich reden machen können wird.

Also dürfte es spannend werden, sich über die ungewollt vorzeitige Schließung der Pa-norama-Ausstellung hinwegzutrösten und ersatzweise immer wieder mal auf dem Facebook-Account Teutsch-Haus nachzuschauen, ob der dokumentarische Fotoband schon raus ist. Klar, Fred Nuss und Hermann Fabini haben jahrzehntelang Großartiges geleistet und tun es noch immer auf Top-Niveau. Würden der wortkarge Pressefotograf der Lokalzeitung „Tribuna“ und der schon immer zutiefst verlässlich für das siebenbürgisch-sächsische immobile Kulturerbe streitende Architekt ihrer jeweiligen Berufung nicht auch weiterhin mit beharrlichem Schmackes nachgehen, wäre Hermannstadt schon längst nicht mehr die Vorzeigestadt am Zibin, die Könner Stefan Jammer so umfassend und einfühlsam wie kaum jemand anderer vor ihm porträtiert hat. Den Rahm, den man selbst gerne abschöpft, für den haben Dritte in der Vergangenheit ordentlich schuften müssen.

Stefan Jammer weiß um die Ehrbarkeit Hermannstadts und treibt  keinen Spott mit dem ranzigen Schmand der Vergangenheit. Seine Fotos bieten zwar den ein oder anderen Blick auf blanke Armut und exzessives Improvisieren, aber was dabei jeweils mit aus den Immobilienzeilen, Landschaftsstrichen und Plätzen spricht, auf die er sein Objektiv richtet, ist ein integres Gemisch aus waschechter Kunst und Respekt für Menschen aller Sparten, worin man selbst bei aufmerksamster Verkostung nicht die geringste Spur einer heuchlerisch beigemischten Zutat wie etwa Arroganz oder falschem Dünkel von Überheblichkeit schmecken kann.

Den baumlangen Fotografen mit schwarzer Designer-Brille und Sport-Käppi, das irgendwie an die Zeit der Tour-de-France-Kontrahenten Eddy Merckx und Raymond Poulidor erinnert, bekommt man in Hermannstadt oft auf dem Rennrad zu Gesicht. Im Vorbeifahren grüßt Stefan Jammer knapp, bescheiden und respektvoll zugleich. Er hat mit der Kamera ein urbanes Spiegelbild der Stadt gezeichnet, in dem alle hier durchreisenden und lebenden Personen sich wiedererkennen können.

Am Vorabend des Ersten Adventssonntages 2020 wünsche ich mir, dass dem Unfug, den manche Immobilienhaie in Hermannstadt zu bauen gedenken, keine schweren Standbeine wachsen, die es nach weiteren 15 Jahren erforderlich machen, ein ganz neues Panorama von Hermannstadt zu zeichnen...