Mit Kipa und Kamera durchs Banat

Eine Fotoreise auf den Spuren jüdischen Kulturerbes in Rumänien

Zauberhaftes Farbspiel: die Synagoge in Lugosch
Fotos: George Dumitriu

Eine Führung mit Ivan Eric Bloch darf man sich nicht entgehen lassen.

Nur über den Innenhof begehbar: die Synagoge in Arad

Synagoge in Karansebesch: außen unauffällig, innen ein Schmuckkästchen

Verfallene Synagoge in der Festung von Temeswar: heiliger Schrein

Verfallene Synagoge in der Festung von Temeswar: Orgel

Es war ein besonderes Glück, dass unsere Fotoreise auf den Spuren der Synagogen im Banat im Spätherbst 2017 in Lugosch begann. In der neologischen Synagoge, 1843 erbaut und 2015 umfassend restauriert, empfing uns Ivan Eric Bloch, Präsident der dortigen jüdischen Gemeinschaft. Eigentlich Mathematiker und IT-Experte, bezeichnet er jüdische Geschichte als sein größtes Hobby, das er Touristen gerne und in fünf Sprachen – auch Deutsch – vermitteln kann. Weltoffen, doch tief verwurzelt in seiner traditionellen Erziehung, zeichnet er von der jüdischen Gemeinschaft ein komplexes, buntes Bild. Die zwei Stunden, die der Fotograf beim Knipsen aller Details gut und gerne braucht – die Bilder waren für eine Ausstellung (ADZ 21.11.2017: „Jüdisches Kulturerbe  im Patriachenpalast“) und einen Bildband (ADZ 26.4.2018: „Die schönsten Synagogen Rumäniens“) gedacht - vergingen im Gespräch mit ihm wie im Flug. Ivan Bloch plaudert mit Vergnügen – doch er verfolgt auch eine ganz spezielle Mission...

Spuren jüdischer Präsenz im Banat gab es schon seit dem 2. Jahrhundert. Anfang des 17. Jh. wanderten Juden verstärkt aus den großen jüdischen Zentren, aus Mähren und der Ukraine, ein. Doch erst mit dem Beginn der österreichisch-ungarischen  Geschichte des Banats, 1712, drangen sie auch in die Städte vor. Einziges Mittel hierfür:  sich einen rumänischen Namen zu kaufen – anfangs, zur Zeit Maria Theresias, ein teures Vergnügen. Erst dann wurde man als Bürger eingetragen. „So kam auch ich zu meinem Namen“, erklärt Bloch, „der sich von ‘vlah’ für Walache ableitet.“ Jüdische Geburtsurkunden gibt es in Lugosch seit 1740. 1780 zählte die städtische jüdische Gemeinschaft bereits 40 Leute. Mit der wirtschaftlichen Entwicklung des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs nahmen die Juden im Banat bald eine bedeutende Rolle ein.  Das Zusammenleben mit der lokalen multiethnischen Gesellschaft gestaltete sich problemlos und war freundschaftlich geprägt. Auch Bloch, der seine Vornamen „Ivan“ und „Eric“ diesem Umstand zuschreibt, streicht seine multikulturellen Kontakte gern heraus: am Lyzeum war er Kollege des orthodoxen Patriarchen Daniel, an der Uni in Temeswar studierte er mit Herta Müller, den Musikwissenschaftler Franz Metz kennt er aus der Schulzeit.

Dem multikulturellen Umfeld sei auch das Phänomen der neologischen Glaubensströmung zu verdanken – eine Art modernes Judentum, das sich nur im inneren Karpatenbogen entwickelt hat. Neologische Juden halten an ihren Glaubensprinzipien fest, leben aber einen modernen Alltag. Um den Gottesdienst attraktiver zu gestalten, schaute man sich von den Katholiken den Gebrauch von Musik ab. Zahlreiche Komponisten begannen im 19. Jh., jüdische liturgische Musik zu komponieren, um der neuen Strömung Identität zu verschaffen; die Funktion eines Kantors und das Orgelspiel wurden eingeführt. Neologische Synagogen erkennt man an den Orgeln, die im Banat alle der Werkstatt von Carl Leopold Wegenstein entstammen.

Lugosch

Auch die Synagoge in Lugosch verfügt über eine prachtvolle, funktionelle Orgel aus dem Jahr 1903. Gespielt wird sie noch in Konzerten, die etwa dreimal jährlich stattfinden. Die Öffnung der nicht mehr für Gottesdienste nutzbaren Gebetshäuser für kulturelle Events gehört zu einem verzweifelten Plan, der von der Vereinigung der Jüdischen Gemeinschaften Rumäniens (FCER) die nächsten fünf Jahre intensiv verfolgt wird, erklärt Ivan Bloch, während ihm Tränen in die Augen steigen. „Wir sind noch 3200 ‘echte’ Juden im ganzen Land, mit einem Durchschnittsalter von 72 Jahren.“ Als echter Jude gilt, wer eine jüdische Mutter hat. 600 Mitglieder, einschließlich Sympathisanten, gibt es in Temeswar, knapp 40 in Lugosch – „davon nur 22 ‘echte’, zehn Frauen und zwölf Männer“, präzisiert er. Zehn erwachsene jüdische Männer benötigt man für einen Gottesdienst.  „Die kommen in Lugosch aus Altersgründen schon lange nicht mehr zusammen.“ Zwar gäbe es  auch junge Leute aus Israel, doch an der eingesessenen religiösen Gemeinschaft hätten diese kein Interesse. „In der Form, wie wir heute noch existieren, ist das Ende abzusehen“, seufzt Bloch. „So soll wenigstens die Geschichte der jüdischen Gemeinschaft im Bewusstsein der Rumänen  weiterleben, damit sie auch Interesse am Schutz unseres Kulturerbes haben, wenn wir nicht mehr sind. Das ist das einzige, was wir noch tun können.“

Auf den Balkonen der Synagoge hängen vergilbte Zettel. Auf Deutsch mahnen sie zur Ruhe, zum Türen schließen, oder dass nur eine Person auf einem Sitz Platz nehmen soll. Das blitzsaubere, prachtvoll ausgestattete Gotteshaus wirkt, als wären alle nur eben mal kurz rausgegangen. Bis auf Ivan Bloch, der als lebendes Inventar tapfer die Stellung hält.

Karansebesch

Die Synagoge in der Orșovei Straße Nr. 2 stellt den Fotografen vor eine Herausforderung: Ein hässlicher Mast voller Kabel steht direkt vor dem ockergelben Bau, 1893-1894 im eklektischen Stil errichtet. Die beiden Türme mit dem Davidsstern verraten gotische und neogotische Einflüsse. Durch den Hinterhof tritt man bescheiden in einen unerwartet großen Hauptraum. Der Blick, automatisch nach oben gezogen, bleibt erst magisch an den  Fenstern mit bunten Glaselementen haften, bevor er, über goldene Bögen gleitend, an der Decke verharrt: Rosettenförmiges Vitralienfenster. Bögen mit Girlanden. Filigrane Ornamente. Ein geometrisches Zusammenspiel, das sich über verzierte Säulen und Balkone hinweg meisterhaft entfaltet. Ein samtenes, goldbesticktes Tuch, auf dem zwei Löwen eine Krone tragen, ziert den heiligen Schrein. Zum Abschied wirft die späte Nachmittagssonne ein buntes Lichtbild des gläsernen Davidssterns der Tür auf die weiße Wand.

Temeswar

Wir erreichen die Stadt in der Abend-dämmerung, gerade noch rechtzeitig, um die Fassade der Synagoge in der Festung (Str. Mărășești 6) in natürlichem Licht zu bannen: Zwei Türme; zwischen alternierenden rohen und emaillierten Ziegeln ein rosettenförmiges Vitralienfenster. Dann geht es über Baubretter in das staubige, düstere Innere. Das Gebäude im eklektischen Stil ist die zweitgrößte Synagoge des Landes.  Immerhin gab es an die 13.000 Juden im Temeswar der Zwischenkriegszeit. 1863-1865 vom Wiener Architekten Ignatz Schumann projektiert, wurde der Bau von Leopold Baumhorn durchgeführt. Im prachtvollen Innenraum beeindrucken Wandmalereien, Holzschnitt- und Steinmetzarbeiten. Über dem Balkon thront die riesige Orgel. Der  Verfallszustand betrübt, doch die Restaurationsarbeiten der unter Denkmalschutz stehenden Synagoge haben 2017 begonnen – bis Temeswar 2021 Kulturhauptstadt sein wird, sollen sie abgeschlossen sein.

Die Synagoge Iosefin (Str. Iuliu Maniu 55) erreichen wir bei Nacht. Im Hof liegen verknäuelte Reste des Blechdachs, das der Sturm vor wenigen Tagen mit sich gerissen hat. An den Wänden zeugen Wasserspuren von dem Unglück, eine kugelförmige Hängelampe ist vollgelaufen. Eine dritte Synagoge, die neologische Fabriksynagoge, 1897-1899 ebenfalls von Leopold Baumhorn erbaut, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Das denkmalgeschützte Gebäude wurde 2009 an das Temeswarer Nationaltheater verpachtet.

Arad


Die neologische Synagoge (Str. Tribunalul Dobra 10), von außen unauffällig in einem mehrstöckigen Gebäude untergebracht, erreicht man nur über den Innenhof.  Ihr Grundstein wurde 1828 ohne Baugenehmigung gelegt. Weil die jüdische Gemeinschaft in Arad bis 1828 auf 812 Mitglieder angewachsen war, jedoch nur eine kleine Holzsynagoge (1759) zur Verfügung stand, wurden Baupläne für einen Komplex mit Wohnräumen für Rabbiner, Kantor und Schüler, sowie Läden im Erdgeschoss eingereicht. Das Rathaus genehmigte diesen Plan nicht. Bürokratische Hürden verzögerten die Fertigstellung bis 1934. Dass sie überhaupt möglich war, ist dem genialen Einfall von Richter Josef Hirschl gedankt, der die Idee hatte, das Gebäude dem österreichischen Kaiser zu schenken. Gegen ein kaiserliches Gebäude konnte die Stadtverwaltung nichts mehr einwenden. Heute gibt es  an die 300 jüdische Gläubige in Arad, die Synagoge wird noch genutzt.  2008 bis 2013 wurde sie mit Geldern des FCER und der Stiftung Caritatea renoviert. Neben der überwältigenden Größe und Pracht ist das riesige Arkadenfenster über dem Eingang bemerkenswert, durch das natürliches Licht eindringt. Die aufwendige Bemalung des Deckengewölbes in Blautönen und Gold dominieren florale Motive. Von der Empore aus erhält man Zugang zur Orgel – und einen großartigen Ausblick zum Fotografieren.