Salve, schöne Alba Carolina!

Hinter trutzigen Festungsmauern erwachen 2000 Jahre Geschichte zum Leben

Heute bestürmen nur noch Touristen die Festung Alba Carolina in Karlsburg

Eingang zum Komplex des orthodoxen Metropoliezentrums „Michael der Tapfere“

Die römisch-katholische Kathedrale zum heiligen Michael

„Salve, edler Besucher! Tritt ein.“

„Mein“ Zenturio: Der als Römer verkleidete Historiker führt durch das rekonstruierte Principium des Kastells.

Unter Trommelwirbel rückt die Wachablöse an.

Kunstvoll restaurierte Eingangstore mit ausdrucksvollen Basreliefs
Fotos: George Dumitriu

Lautlos tut sich die Pforte zum Principium des römischen Castrums auf. Licht fällt in das schlichte Innere des Hauses. Ein in prächtiges Rot gekleideter Zenturio bedeutet mir, näher zu treten. „Salve!“ grüßt er und teilt mit, der Kommandant  sei nicht zu Hause. Ich möge mich mit seiner Gesellschaft begnügen, wolle ich denn warten. Über das Hypokaustum strömt angenehm warme Luft in den Raum. Mein Gastgeber führt mich zu einem seltsamen Tisch mit roten und schwarzen Steinen und lädt mich zu einer Partie ein: Latrunculi, das Lieblingsspiel der Soldaten der 13. Römischen Legion Gemina, die hier in Apulum stationiert ist...

Das Klicken der Kamera holt mich in die Realität zurück. Nicht nach Apulum, sondern ins heutige Karlsburg/Alba Iulia. Das Hypokaustum - eine Ruine zu meinen Füßen. Das Principium - eine originalgetreue Rekonstruktion. Der Römer, auf den ich warten wollte - Geschichte. Nur der Zenturio steht immer noch leibhaftig und lächelnd vor mir...

Nirgendwo ist Geschichte so lebendig wie hier: In der Festung Alba Carolina begegnen wir ihren Zeugen an allen Ecken und Enden. Den Zenturio gibt es wirklich. Wahrscheinlich wird er sich gleich zum Mittagessen eine Wurstsemmel holen, seine Freundin anrufen oder ein Schwätzchen mit einem der lebensgroßen Bronzesoldaten einlegen, die überall in der Festung herumstehen. Wir verlassen das Principium, angelockt vom fernen Klang der Trommeln. Schichtwechsel der Wachsoldaten!

Zu Pferden und zu Fuß defilieren prachtvoll geschmückte Männer quer durch die Burganlage vor das Tor, wo die feierliche Ablöse stattfindet. Ein kleiner Hund läuft kläffend neben der Gruppe her. Touristen haben sich knipsend oder eisschleckend auf der Tribüne niedergelassen. So kann man Geschichte ganz entspannt genießen.

Sternförmige Befestigung

Von oben sieht die gewaltige Anlage  aus wie ein siebenzackiger Stern. Vauban-Stil nennt man diese Art der Befestigung, nach ihrem Erfinder, dem französischen Baumeister Sébastian Le Prestre de Vauban (1633-1707), der damit den Festungsbau revolutionierte. Doch der sternförmige Grundriss hat keine ästhetischen, sondern rein strategische Motive. Alle Mauern sollen vom eigenen Verteidigungsgeschütz anvisiert werden können, um den Feind ferzuhalten. Im Inneren der Vauban-Fortifikation trifft man auf zwei fast deckungsgleiche rechteckige Befestigungen: eine mittelalterliche und die des römischen Castrums Apulum, wo die 13. Legion Gemina stationiert war. Sie sollte nach der Eroberung Dakiens das „Land des Goldes“ , also den Abbau des Edelmetalls und die Transporte nach Rom, überwachen.

Locker kann man einen Tag in der Festung verbummeln, langweilig wird es nicht. Darüber hinaus werden Führungen zu verschiedenen Themen angeboten, z.B. die Tour der drei Festungen, welche die gesamte Geschichte umfasst, aber auch speziellere, wie die Tour der sieben Tore. Die Führungen dauern etwa zwei Stunden und kosten 10 Lei für Erwachsene bzw. 5 für Kinder.

Historischer Abriss

Von der hölzernen Zugbrücke, üppig mit Blumenampeln geschmückt, schlendern wir quer durch die Anlage. Vorbei am orthodoxen Metropolitenkomplex und der römisch-katholischen Kathedrale zum heiligen Michael bis zum Museum der Vereinigung (Muzeul Unirii), das über lokale Funde in der Region Aufschluss gibt.

Bereits in der Bronzezeit im 11.-8. Jh. v. Chr. erstreckte sich hier auf einer nahen Anhöhe auf  über 30 Hektar die durch Erdwälle und Gräben befestigte geto-dakische Festung Teleac, erzählt Museumsdirektor Dr. Gabriel Tiberiu Rustoiu. Auf dem  Zuckerhut/Piatra Craivii, auch Gemsenstein genannt, lag im 1. Jh v. Chr. eine weitere dakische Festung, Apoulon. Nach der Eroberung durch die Römer entstand 20 Kilometer südlich davon die römische Stadt Apulum, mit dem Castrum an der Stelle der heutigen Festung.

Nach dem Abzug der Römer 271-275 nutzte die einheimische Bevölkerung das Castrum weiter für die Verteidigung gegen Wandervölker, bis zur Eroberung durch die Magyaren im Jahr 1002. Mehrere Angriffe im Mittelalter setzten den Mauern weiter zu. Die schwersten Schäden entstanden jedoch 1241 im Zuge des Mongoleneinfalls. Die zentrale Bedeutung der Festung war danach verloren.

1272 ließ der ungarische König Stephan V. hier wieder eine  Burg errichten, die im 15. Jh. durch Matthias Corvin weiter ausgebaut, jedoch 1515 von Raubrittern zerstört wurde.

Erst 1600 kam Karlsburg als Hauptstadt der von Michael dem Tapferen/Mihai Viteazul vereinigten drei  Länder - Walachei, Siebenbürgen und Moldau - erneut zu Bedeutung. In der zweiten Hälfte des 17. Jh. wurde die Stadt von den Türken zerstört und danach von den Truppen Karls VI. besetzt. 1714 gab Prinz Eugen von Savoyen den Bau der Festung im Vauban-Stil in Auftrag, der bis 1738 andauerte. Sie sollte die Habsburger vor den Türkeneinfällen schützen und ihre Macht in der Region konsolidieren.

Museum der Vereinigung

Im Museum der Vereinigung kann man vor allem Exponate aus der Dakerzeit bestaunen, denn hier sind viele Funde aus Sarmizegetusa Regia und den umliegenden Dakerfestungen, heute im Welterbe der UNESCO, gelandet. Zum Beispiel das 1,5 Kilogramm schwere Goldcollier, das aus Căpâlna entwendet  und später zusammen mit sieben spiralförmigen Goldarmreifen aus Deutschland rückerstattet wurde . Derzeit reist es mit der Wanderausstellung „Das antike Gold und Silber Rumäniens“, die bis zum 12. Juli in Karlsburg gastierte, durchs Land.

Für die ausführliche Betrachtung der Exponate fehlt uns leider die Zeit. Rustoiu weist auf ein paar „Sahnestückchen“ hin: ein „erfolgreich“ trepanierter Schädel aus dem Endneolithikum (2700 v. Chr.) - der Patient hat die Operation mindestens um ein Jahr überlebt, wie die verwachsenen Knochenränder beweisen! Ein Gefäß in Form einer Mohnblume, für den rituellen Drogenkonsum gedacht, um mit den Göttern in Kontakt zu treten, „denn damals war Wein noch nicht erfunden“, schmunzelt der Direktor.

Die weiße Stadt

Im Laufe ihrer bewegten Geschichte machte die Stadt mehrere Namenswechsel durch. Bereits die im 6. Jh. unter awarischer Herrschaft einziehenden Slawen nannten sie - angeblich wegen ihrer weißgetünchten Häuser - Bălgrad,„die weiße Stadt/Burg“.  Unter der darauffolgenden bulgarischen Herrschaft  war die Stadt als Kontrollzentrum des Handels mit „weißem Gold“ - Salz - bekannt. Die Ungarn übersetzten den slawischen Namen sinngemäß in Fehervár - Weißenburg, später auch Gyulafehervár, um ihn von anderen Weißenburgen zu unterscheiden. Die deutsche Bezeichnung Karlsburg erhielt Weißenburg erst nach dem Ausbau der Festung im Vauban-Stil unter dem Habsburger Kaiser Karl VI (1685-1740).

Heute ist die für 70 Millionen Euro vorwiegend mit EU-Geldern aufwändig restaurierte Festung nicht mehr weiß, sondern ziegelrot. Vor den  gewaltigen Bollwerken  - den Wehrtürmen von Bethlen, Eugen von Savoyen oder dem der Siebenbürger Sachsen  - zieren bunte Blumenornamente den frischen grünen Rasen. In meinem Kopf überlagert sich historisches Stimmengewirr. Erholsam,  einfach durch die Gassen zu streifen, vorbei an den Souvenirständen, den bronzenen Statuen, durchs Tor und über die Brücke zurück in die moderne Stadt. Salve, schöne Alba Carolina! Ave, mein edler Zenturio!