Streifzug durch die Zarenhauptstadt

St. Peterburg: Wo Kunst, Kultur und die russische Seele zuhause sind

Strahlt mit dem Blau des Himmels um die Wette: die Frontfassade des Katharinenpalastes.

Peterhof - Gartenseite: auch im strömenden Regen romantisch...

Blendendes Gold im Tanzsaal des Katharinenpalastes
Fotos: der Verfasser

Je näher wir der alten Zarenhauptstadt kamen, desto heller wurde es: Um Mitternacht war die Sonne immer noch nicht unter dem Horizont verschwunden, obwohl der Höhepunkt der bekannten Weißen Nächte (Ende Juni-Mitte Juli) längst vorbei war. Und die Straßen, Cafés, Sommer- und Biergärten waren voller Menschen. Eines der größten Probleme in der Stadt und des Umlands war die Gelsenplage, so dass die Fenster geschlossen bleiben mussten; nur die Klimaanlage surrte Tag und Nacht.

Die dreistündige Reise Ende Juli in einem Siemens-Breitspur-ICE von Moskau nach St. Petersburg (700 Kilometer) war ein besonderes Erlebnis, wenn man bedenkt, dass entlang der bewaldeten Strecke beiderseits der Eisenbahnlinien Metallzäune zwecks Unfallvermeidung mit Wildtieren hochgezogen wurden und der Zug nur einen planmäßigen Zwischenstopp in Tver eingelegt hat. In der Nähe überquerte die Trasse die obere Wolga.

Die Stadt mit ihren zahlreichen großen und kleinen Inseln und den vielen Kanälen führt zu Recht den Beinamen Venedig des Nordens. Alle Kanäle und Flüsse münden in die nur 71 Kilometer lange Newa (lies: Nejwa), die in der Stadt Breiten zwischen 600-1000 Metern erreicht, und auf die Ozeanriesen hereinfahren können, wenn nachts zwischen zwei und fünf Uhr die Brücken hochgefahren werden; Pech oder Glück für Nachtschwärmer, die das andere Ufer dann nicht mehr erreichen können. Die 1703 von Peter dem Großen auf Sumpfgelände nahe dem Finnischen Meerbusen gegründete Stadt mutet „äußerst europäisch“ an. Eigentlich bestand die Stadt aus vielen Inseln und zahlreichen Kanälen, die jedoch zugeschüttet wurden, so dass  sie sich derzeit auf 42 Kanälen erstreckt. Aus Sicherheitsgründen musste die Stadt selbst zwei bis vier Meter über dem Meeresspiegel gebaut werden. Trotzdem wird die Stadt stets von Hochwasser bedroht: Seit ihrer Gründung wurden 299 Überschwemmungen gezählt.

Entlang der langen und breiten, oft vier- bis fünfspurigen Straßen (genannt Prospekt; sprich: Prjaspjekt) erheben sich majestätische Bauten, die elegante Geschäfte, Büros und kulturelle Einrichtungen, Restaurants, Cafés usw. beherbergen. Anders als in Moskau, wo nur russische Hinweistafeln zu sehen sind, bietet St. Petersburg unter dieser Schreibweise auch  jene in lateinischer Schrift. Die 5 Millionen-Stadt verfügt über lange Prachtstraßen: Newski-Prospekt (lies: Njewski Prjaspjekt) – fünf Kilometer lang, eine der kürzeren; der Maskowskyi Prospekt, ist elf Kilometer lang. Und überall fallen Statuen vom Stadtgründer Peter dem Großen ins Blickfeld. Mit 123 Metern Tiefe hat die nördlichste Millionenstadt die tiefst gelegene Metro-Station Russlands bzw. Straßenverkehrszustände wie in Neapel oder Istanbul…
Das hundert Kilometer lange Metro-Netz fährt sechzig U-Bahn-Stationen an.

Stadt der Dichter und Maler

Die Stadt war vom 18. bis ins 20. Jahrhundert die Hauptstadt des Russischen Kaiserreiches, ist ein europaweit wichtiges Kulturzentrum und beherbergt den wichtigsten russischen Ostsee-Hafen. Die historische Innenstadt ist mit  Prunkbauten, Schlössern und 2.300 Palästen Weltkulturerbe der UNESCO. Überall trifft man auf Schilder, die auf Wohnungen, Ateliers, Wirkungsstätten berühmter Künstler aufmerksam machen. In der Stadt wimmelt es von Touristen, denn auf Schritt und Tritt gibt es etwas zu sehen und zu bewundern; ob es nun die Auferstehungskirche (Erlöserkirche „auf Blut“) oder die Isaaks-Kathedrale, der Schlossplatz mit dem ehemaligen (erstürmten) Winterpalais, 1754-62 nach Plänen von Rastrelli erbaut - heute die berühmte Eremitage, das Michael-Schloss, die Landzunge auf der Wasilij-Insel, die Smolny-Kathedrale, die Peter-Paul-Festung oder der Dekabristenplatz ist. Die Liste ließe sich womöglich ins Endlose fortsetzen.

An der Mojka, Nr. 19 sollte man unbedingt dem Puschkin-Haus - hier erlag der Dichter den Verletzungen nach dem Duell - einen Besuch abstatten. 1865/66 wohnte F. Dostojewski (lies: Dastajewski) in einer Eckwohnung im Heumarktviertel mit Blick auf das Haus, in dem er seinen Helden Raskolnikow in „Verbrechen und Strafe“ - auch/oder „Schuld und Sühne“, je nach Übersetzungsvariante - „untergebracht“ hatte. Auch das Dostojewski-Museum (Newskij  P.– östlich der Fontanka) sollte Literaturfreunden einen Besuch wert sein. F. Dostojewski, M. Gorki, N. Nekrassow, M. Lermontow, A. Puschkin, I. Turgenjew u. a. Literaten hatten zu St. Petersburg ein besonderes Verhältnis. L. Tolstoj, I. Gontscharow, N. Nekrassow (Fontanka 19),  A. A. Fet und andere verbrachten ihre Aufenthalte in der Stadt stets bei I. Turgenjew (Fontanka 38).

Wenn man bedenkt, dass von den 2,7 Millionen Kunstschätzen der Eremitage mit ihren verschiedenen Gebäuden man allein für die Besichtigung der ausgestellten 69.000 Exponate 60 Jahre bräuchte, wenn man nur eine Minute vor jedem Kunstwerk verharrt, kann man sich von den unsagbaren Kunstschätzen nicht einmal annähernd ein Bild machen. Allein der französischen Kunstsammlung sind 40 Räume gewidmet.

Paläste einer Märchenwelt

Und es sollte unbedingt noch Zeit bleiben, um die Paläste in der Umgebung der Stadt zu besuchen: Peterhof (Petergof), Petropawlowsk und Zarskoje Selo (Puschkin). Letzteres wurde wieder nach seinem alten Namen „Zarskoje Selo“, also Zarendorf benannt, dessen Schmuckstück, der Katharinen-Palast mit seinem berühmten Bernsteinzimmer und dem fast 1000 Quadratmeter großen Tanzsaal alles in den Schatten stellt: Feines Lindenholz mit Blattgold überzogen versetzen den Besucher in eine Märchenwelt. Die riesigen Parkanlagen mit zahlreichen Teichen und Teehäusern, Arsenalräumen usw. vermitteln den Staunenden ein annäherndes Bild vom dem, was einst strahlte und seinen Glanz bis heute nicht verloren hat.
Die Sommerresidenz Peters I. – Peterhof (Petergof) – mit seinen Wasserspielen und Parkanlagen, Erfrischungspavillons, direkt am Finnischen Meerbusen gelegen, konnte per Schiff auf den Kanälen bzw. der Newa erreicht werden. Der Zar ließ sich ein kleines Anwesen direkt am Meeresufer errichten und nutzte den Palast lediglich für Empfänge hoher ausländischer Staatsgäste. Seine Minister und Getreuen beschenkte er mit Villen im ländlichen Milieu – Datschas (russich: datj = geben; also Gegebenes, Geschenktes).

Inseln und Kanäle

Auf der nahen Ostseeinsel Kotlin liegt Kronstadt, das nicht nur das Maß für das Höhennull ist, sondern dem auch in der Geschichte Russlands durch die Matrosenaufstände von 1905 und 1906 gegen die Zustände in der Kaiserlich Russischen Marine eine bedeutende Rolle zukommt, zumal die Kronstädter Matrosen auch während des Juliaufstands von 1917 meuterten. Auch 1921 rebellierten die Kronstädter Matrosen gegen die bolschewistische Herrschaft, doch die Aufruhre wurden von der Roten Armee unter der Leitung des Volkskommissars für Militär- und Marinewesen, Leo Trotzki, niedergeschlagen.

Durch den „Petersburger Damm“ ist die 19,35 Kilometer kleine Insel mit der Stadt verbunden. Die Stadt führte zunächst den Namen Sankt Pieter-Burgh (holländisch; weil Peter I. lange in Holland weilte), später dann St. Petersburg, 1914-1924: Petrograd und 1924-1991: Leningrad. Russisch heißt sie nun St. Peterburg (ohne s).

Auffallend in St. Petersburg sind die spärlichen Grünanlagen im Vergleich zu Moskau, denn entlang der Flüsschen und Kanäle erstrecken sich nur schmale Straßen, durch die – vor allem im Früh- und Spätnachmittagsverkehr - kaum ein Durchkommen möglich ist, so wie auf den Hauptverkehrsadern. Obwohl es alle eilig haben, nimmt man die Staus gelassen hin: Überall Polizei und Einsatzwagen, denn man will den Langfingern den Garaus machen; sperrt diese sofort - sichtbar - in eigens vor allem in der Nähe des Kaufhauses Gostinyi Dwor bereitstehende Käfigwagen.