Amerikanisches Wirtschaftsblatt: „Fürchtet die Rumänen!“

„Forbes“ und „Moody`s“ warnen vor Folgen des „Winters der Proteste“

„Lasst Griechenland sein! Fürchtet euch vor den Rumänen!“ titelte „Forbes“ in seiner jüngsten Ausgabe und rief damit heftige Gegenreaktionen rumänischer Wirtschafts- und Finanzanalysten hervor, die von der Absurdität des Vergleichs sprachen, aber auch von der Gefahr, die von solchen Behauptungen als Reaktion der Investoren ausgeht. Die Amerikaner von „Forbes“ haben auf ihrer elektronischen Ausgabe von vergangenen Wochenende unter diesem reißerischen Titel Rumänien eine herbe Ohrfeige erteilt und mit dem akut insolvenzbedrohten Griechenland verglichen. Ihre Argumente stehen dabei allerdings in den Augen von Rumänienkennern auf etwas wackligen Füßen.

Einerseits vergleichen sie die Verkaufszahlen von Neuwagen in Rumänien. Zwischen 2007 und 2011 seien die Verkäufe um 74 Prozent geschrumpft, was ein Zeichen von Rezession sei. Aber sie sagen im Beitrag selber: „Nicht jeder braucht unbedingt einen Neuwagen“, jedoch sei das „ein guter Indikator für die Leiden“, welche die rumänische Mittelschicht durchmacht. Denn in der EU sei der Verkauf von Neuwagen nur um 15 Prozent zurückgegangen. Zweitens erinnern sie an die Dauerproteste dieser Tage, die einen Instabilitätsfaktor darstellen, und drittens an die Tatsache, dass die Rezession in der EU einen wichtigen Wirtschaftsfaktor Rumäniens schwächt, die Geldüberweisungen der im westlichen Ausland arbeitenden Millionen Rumänen, neben der Verringerung der Ausfuhren.

„Griechenland wird viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt, weil ein Großteil seiner Auslandsverschuldung gegenüber weltweit operierenden Finanzgruppen besteht“, meint „Forbes“. „Dadurch verliert man Länder wie Rumänien ungerechtfertigterweise aus den Augen. Wir setzen eher auf Rumänien.“ Als Kandidat eines Staatsbankrotts, versteht sich.

Neuwagenverkauf als Wohlstandsindikator

Der Beitrag von „Forbes“ reflektiere keinerlei rumänische Wirklichkeit, kontern rumänische Wirtschafts- und Finanzanalysten. „Dass Rumänien größere Probleme haben soll als Griechenland scheint mir absurd“, sagt Finanzanalyst Aurelian Dochia. „Das Argument mit dem Rückgang des Neuwagenverkaufs lässt mich sprachlos.“ Griechenland habe eine Auslandsverschuldung von 350 Milliarden Euro, also 160 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP). „Das kann und wird der Staat Griechenland nie zurückzahlen können. Mehr noch: Athen kämpft gegen Defizite an, die es nicht unter zehn Prozent drücken kann. Rumänien hingegen ist, trotz aller Schwierigkeiten, im Gleichgewicht.“

Außerdem hätten sich die Finanzmärkte bisher von den landesweiten Dauerprotesten unbeeindruckt gezeigt. „Zugegeben, die Proteste tun nicht gut. Aber die Risikoprämien, die Rumänien zu leisten hat, sind wegen der Proteste nicht erhöht worden. Die liegen seit mehreren Monaten auf dem selben Niveau.“

Auch der Wirtschaftsanalyst Bogdan Glăvan schlägt in die selbe Kerbe, zugunsten Rumäniens im Vergleich mit Griechenland: „Griechenland ist weiterhin bedingt zahlungsfähig. Das verschweigen die Journalisten von ‘Forbes’. Und sie sagen auch nicht, ob Rumänien zahlungsfähig ist oder nicht. Wenn man einen Objektivitätsanspruch hat, müsste man das immerhin tun.“

Glauben an Stabilität wird erschüttert

Glăvan meint, dass man Rumänien ohne Weiteres mit Griechenland vergleichen könne, allerdings nicht wie es „Forbes“ tut. Beide Länder hätten Regierungen gehabt, die maßlos viel Geld ausgegeben haben. Beide Länder hätten sich nahezu ausschließlich auf europäische Gelder verlassen. Und tun sie zum Teil immer noch, Rumänien sogar durch die Gründung eines darauf ausgerichteten Ministeriums. Statt die Produktion im Innern anzukurbeln und daraus Finanzierungen über Steuern zu erzielen.

Die Ratingagentur „Moody`s“ widerspricht der Meinung der rumänischen Wirtschafts- und Finanzanalysten in einem nicht unbedeutenden Punkt: sie meint, dass die Dauerproteste der Straße, die den Rücktritt des Präsidenten und der Regierung fordern, sehr wohl den Glauben an die wirtschaftliche Stabilität und finanzielle Solidität Rumäniens erschüttern und dass die Bonitätseinstufung Rumäniens in Gefahr sei.

Außerdem gefährden die Dauerproteste die Kontinuität der Struktur- und Finanzreformen der Regierung Rumäniens, die Zeichen von Verunsicherung durchblicken lasse. Die Nachrichtenagentur Mediafax zitiert einen Kernsatz der „Moody`s“-Analyse: „Die Auswirkung auf das Rating Rumäniens wird positiv sein, wenn die Endform der beabsichtigten Gesetze die Bedingungen des IWF, der EU und der Weltbank erfüllt.“

Es steht kein „glorreicher Sommer“ bevor

Der englische „The Economist“ titelt: „Geringe Chancen, dass der Winter der Unzufriedenheit in Rumänien von einem glorreichen Sommer gefolgt wird“. Die hohen Finanzanleihen Rumäniens und die trüben Wirtschaftsperspektiven der Region, die durch die Euro-Krise indirekt, aber schwer betroffen ist, machen auch jede optimistische kurz- und mittelfristige Zukunftsaussicht zunichte, heißt es auf dem Blog der Zeitung.

Die „Würmer“, die „gewaltbereite und -tätige Vorstadt“, die (unübersetzbar) „ciumpalacii“, verzweifelt ob der Sparmaßnahmen, der offensichtlichen politischen und wirtschaftlichen Kompetenzlosigkeit der Regierenden, dem Fehlen jeder Beratung mit der Öffentlichkeit oder der Zivilgesellschaft bezüglich neuer Gesetze, der Selbstherrlichkeit und dem autokratischen Gehabe von Präsident und Regierung gehen tagtäglich auf die Straße und machen ihrem Unmut Luft – mit einer Durchhaltefähigkeit und Konsequenz (auch in der Abweisung aller politischen Parteien), die man ihnen nicht zugetraut hätte. Selbst Präsident Băsescu habe in seiner ersten Stellungnahme zu den Dauerprotesten zugegeben, dass es einen „Bruch“ gibt zwischen ihm und „einem Teil der Bevölkerung“, die ihn „zu unrecht“ Diktator nenne.

„Unfähige Anonyme“ als Minister

Dazu einer, der Insider war und auch zu den Intellektuellen des B²sescu zählte, Andrei Pleşu in der jüngsten Ausgabe von „Dilema Veche“ über Regierungschef Emil Boc: „Es ist unverständlich, nach welchen Kriterien er sein Team zusammengestellt hat. Es ist unverständlich wieso er – angesichts der allgemeinen Krise - statt Experten ersten Ranges zu suchen, Technokraten mit Erfahrung und nachprüfbaren Leistungen –  in Schlüsselposten allerlei Sorten unfähige Anonyme berufen hat.“

Die Opposition wolle zwischenzeitlich aus den Dauerprotesten politisches Kapital schlagen, konstatiert „The Economist“, etwa durch Paralleldemos, was aber nur bedingt gelingt. Die Regierung hingegen habe einen weiteren Kredit von fünf Milliarden Dollar aufgenommen, der zu den bereits geborgten 27 Milliarden Dollar summiert wird, die seit 2009 in Tranchen aufgenommen wurden und allmählich nähere sich das erste Rückzahldatum. Deshalb auch der etwas barocke Titel des ansonsten ausgeglichenen Beitrags der Engländer: „Geringe Chancen, dass der Winter der Unzufriedenheit in Rumänien von einem glorreichen Sommer gefolgt wird“.

Interessant ist, dass weder das amerikanische noch das englische Wirtschaftsblatt in ihren Beiträgen das Wahljahr 2012 zu den entscheidenden Einflussfaktoren der bevorstehenden Entwicklungen in Rumänien rechnen.