100 Jahre seit der Staatsgründung Rumäniens

Anregendes Geschichtskolloquium im Rahmen der Deutschen Kulturdekade im Banater Bergland (I)

Dr. Franz Metz und Raluca Nelepcu werden vom Veranstalter Erwin Josef Țigla vorgestellt.

Dipl.-Ing. Anton Schulz und Prof. Dr. Vasile Docea brachten mehrere wenig bekannte und das Interesse fesselnde Aspekte ins Gespräch. Fotos: DFBB

Auf dem kulturellen rumäniendeutschen Sonderweg, den Reschitza und das Banater Bergland unter Stabführung von Erwin Josef Țigla beschreiten, fand gegen Ende der 28. Deutschen Kulturdekade im Banater Bergland auch ein zweitägiges Geschichtskolloquium statt, das 300 Jahren seit Besiedlung des Berglands (auch) mit Deutschen und 100 Jahren seit der Staatsgründung Rumäniens gewidmet war.

Angesprochen wurden sehr unterschiedliche Themen, von Musik und Schul- bis Zeitungswesen oder Postgeschichte, aber auch die – bisher hierzulande nur gebietsweise vertiefte - Frage nach detaillierten Angaben über die Reaktionen der Deutschen der ungarischen Reichshälfte in der Donaumonarchie auf die radikalen Veränderungen in Mitteleuropa nach Ende des Ersten Weltkriegs und die Meinungsdispute – vor allem unter den Banater Schwaben – bei der Entscheidungsfrage im auseinanderbrechenden Habsburgerreich: Zu wem wollen wir künftig gehören, zu Ungarn, wie bisher, zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen oder zum Königreich Rumänien, das aggressiv mit (zum Teil bis heute nicht eingelösten) Versprechungen lockte?

Am ersten Tag des Kolloquiums wurden Referenten aus unterschiedlichen Forschungsbereichen eingeladen. Der aus dem Banat stammende und in München lebende Musikwissenschaftler und Organist Dr. Franz Metz betitelte seinen Vortrag „Neue Grenzen, alte Lieder?“ Metz ging auf die Folgen des Ersten Weltkriegs für die Musikkultur des Banats und speziell des Banater Berglands ein und kam zum Schluss, dass die Lieder nach der neuen Grenzziehung mehr oder weniger die alten geblieben sind. Allerdings war es plötzlich eine neue Sprache, in denen diese gesungen wurden.

Die ADZ-Redakteurin und Doktorandin (an der Klausenburger UBB, bei Prof. Dr. Rudolf Gräf) Raluca Nelepcu befasste sich in ihrer Präsentation mit der Vorgängereinrichtung der Nikolaus-Lenau-Schule, der ungarischen Oberrealschule, die nach dem Ersten Weltkrieg ins Deutsche Staatslyzeum umgewandelt wurde; während der Direktor der Temeswarer „Eugen Todoran“-Universitätsbibliothek, der Historiker Dr. Vasile Docea, über die Entscheidung König Karls I. zur Neutralität des Königreichs Rumänien zu Beginn des Ersten Weltkriegs berichtete.

Die Philologin, Literatur- und Kunstkritikerin, Übersetzerin und Verlegerin Ada Cruceanu-Chisăliță sprach über die Lektionen des Alexander Tietz, die in den 13 (rumänisch geschriebenen und nach 1989 erstveröffentlichten) „Briefen von der Alm“ zum Ausdruck kommen, u. a. über seinen Aufruf zur Rückkehr zur Natur, aber auch zur Pflege und Wahrung der Schätze, die die Natur bietet.

Dipl.-Ing. Anton Schulz aus Regensburg, Deutschland, Reschitzaer Lokalhistoriker, Sammler und Philatelist, hatte sich zum Thema „Die Feldpost Österreich-Ungarns und das Banater Bergland im Ersten Weltkrieg“ gewählt. Schulz brachte interessante Postkarten, die von der Front abgeschickt wurden und nicht nur, mit ins deutsche Tietz-Zentrum, um sie dem zahlreich erschienenen Publikum vorzustellen.

Konsul Ralf Krautkrämer, der am zweiten Tag dabei war, hielt eine wohl austarierte Begrüßungsrede, ausgehend vom strikt und jederzeit nötigen Bedarf nach geschichtlicher Aufklärung, dessen Befriedigung er vor allem den Jugendlichen empfahl. Der Konsul sagte in kleinerem Kreis zum Ende des Geschichtsvortrags von Prof. Dr. Rudolf Gräf, nun gehe er eigentlich mit mehr Fragen als bei seiner Ankunft aus Reschitza weg.

Tiefschürfend seine unter dem Siegel der Dringlichkeit betonten Mahnungen zur Wahrung des (auch zwischenethnischen) Friedens (als eine der unwiderlegbaren Lehren des 20. Jahrhunderts) und sein Dank an die deutsche Minderheit, „unsere Botschafter in Rumänien“, und an Hauptorganisator Erwin Josef Țigla, „Ihren europäischen Botschafter“.

Der Prorektor der Babeș-Bólyai-Universität (UBB) in Klausenburg/Cluj-Napoca, Rudolf Gräf, machte eine positivistische Bestandsaufnahme der politischen Bestrebungen der Banater Schwaben ab der „Bogaroscher Schwabenpetition” (von 31 Dorfrichtern und Gemeinderäten aus 13 Ortschaften rund um Bogarosch, 1848/49), der „erste öffentliche Ausdruck der Politisierung der Banater Schwaben”, „die stattfand im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Prozess ihrer sozialen Neuschichtung und dem Entstehen einer intellektuellen Elite“, aber auch „mit der Annahme einer Herrschaftlichkeitsattitüde, die dem Ungarischen abgekupfert war“, was die Trennung vom Bauernstand hervorrief, „aus dem sie hervorgegangen war“.

Gräf ging auf die Verdienste des siebenbürgisch-sächsischen Abgeordneten und Journalisten Edmund Steinacker (1839-1929) um die Förderung der nationalen Interessen der Banater Schwaben (Gräf nannte ihn den „Entdecker der Schwaben”) ein und auf Steinackers (großteils vergebliche) Bemühungen, den staatlich forcierten, aber großteils auch willig akzeptierten Magyarisierungsprozess des deutschen Bürgertums in der ungarischen Reichshälfte abzubremsen.

Die Gründung des „Deutschen Tagblatts für Ungarn” (Johann Anheuer) 1900 in Temeswar, mit seinen ausdrücklich deutschbetonten Tendenzen (als Kontrast zum Ungarischtümeln banatschwäbischer Eliten) bedeutete laut Gräf auch der „Beginn einer organisierten deutschen politischen Bewegung in Ungarn“, die bis 1907 andauerte und mit der Gründung 1906 in Werschetz der Ungarländischen Deutschen Volkspartei (UDVP) des Anwalts Dr. Ludwig Kremling (mit Johann Röser) einen ersten Höhepunkt erfuhr.

Gräf würdigte die Bemühungen von Rudolf Brandsch (1880-1953), einem Mitglied des Belvedere-Kreises um Erzherzog Franz Ferdinand („Vereinigte Staaten von Großösterreich“), um die Belange der Deutschen in ganz Transleithanien und dessen Aktivitäten 1918, beim Zusammenbruch der Habsburgermonarchie, um die Selbstbestimmungsrechte der Deutschen in Ungarn – zum Unterschied von dem heute noch von den Ungarndeutschen verehrten Hochschullehrer Jakob Bleyer (1874-1933), ein philomagyarischer Batschkadeutscher, der für die Beibehaltung der Integrität des Reichs des Heiligen Stefan kämpfte. Brandsch war mitentscheidend bei der Hinwendung der Rumäniendeutschen zu Großrumänien – trotzdem ließen ihn die Kommunisten dann in stalinistischer Zeit in einem Gefängnis umkommen.

Nicht zuletzt wies Gräf auf eine dritte Richtung bei den Rumäniendeutschen – neben jenen der Pro- oder Contra-Ungarn- bzw. Pro- oder Contra-Rumänien-Parteigängern – hin: die international eingestellte Sozialdemokratie, die vor allem im Banater Bergland und zunehmend auch in den Städten des Banats aktiv war, unter dem entscheidenden Einfluss der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie stand, im Banat in der Regel Deutsch als Kommunikations- und Kultursprache pflegte, also auch weniger der vom ungarischen Staat geförderten sozial-ökonomisch-kulturellen Zerreißprobe zwischen Deutsch und Ungarisch, bzw. der staatlich verordneten Zwangsmagyarisierung ausgesetzt war.

(Schluss folgt in der morgigen Ausgabe)