Allgemeine Bestürzung über das Bildungswesen

Ex-Unterrichtsminister Andrei Marga über die schockierenden Abiturergebnisse 2011

Der Rektor der Klausenburger Babes-Bólyai-Universität, Ex-Unterrichtsminister Prof. Dr. Andrei Marga, bezeichnete gegenüber Mediafax die Ergebnisse der Zwölftklässler beim diesjährigen Abitur als „alarmierend“ und als ein Zeichen dafür, dass in der ganzen rumänischen Geschichte noch nie so schlecht gelernt wurde wie jetzt. Das Kommuniqué des Bildungsministeriums von Sonntagabend, in welchem die Schüler für die katastrophalen Prüfungsergebnisse verantwortlich gemacht werden, sei „albern und abgeschmackt“, während die Meinung derjenigen, die das schlechte Abschneiden auf die zur Prüfung ausgewählten Lehrfächer und die schweren Aufgaben zurückführen, „zumindest diskutabel“ seien.

„Jetzt redet man, angesichts der Resultate, die von den Lyzeen und den Schulämtern öffentlich gemacht wurden, vom schwächsten Bakkalaureat in der Geschichte. In der Tat, der hohe Prozentsatz der Gescheiterten ist alarmierend: Lyzeen, in denen kein einziger Kandidat die Prüfung bestanden hat, niedrige Erfolgsquoten in ganzen Verwaltungskreisen. Nun werden Meinungen in Umlauf gesetzt. Das Unterrichtsministerium schiebt die Schuld den Schülern zu – das finde ich albern und abgeschmackt. Andere finden bei den Prüfungsfächern und den schweren Prüfungsaufgaben den Haken. Das ist zumindest diskutabel. Der Grund und – weil wir von Entscheidungen sprechen – die Schuld liegt ganz wo anders: Bãsescu sagte doch, dass die Schule ´Idioten produziert`.“
 

Vier Gründe der Katastrophe

Andrei Marga identifizierte vier Gründe der gegenwärtigen katastrophalen Lage im Unterrichtswesen. Die erste: Präsident Bãsescu habe „dilettantische Minister, manche Plagiateschreiber oder Personen mit psychischen Problemen zu Unterrichtsministern ernannt“, die „undurchdachte Maßnahmen im System“ getroffen hätten, „deren Effekte wir nun erleben“. „Wir haben es beim Bakkalaureat 2011 mit denjenigen Schülern zu tun, die sechs Jahre lang unter dem Bãsescu-Regime gelebt und gelernt haben“, sagte Andrei Marga gegenüber Mediafax. „Dieser hat dilettantische Minister ernannt, manche unter ihnen Autoren von Plagiaten. 

Bãsescu hat, zweitens, der Lehrerschaft schwerste Schläge versetzt: Schulen aufgelöst, Entlassungen, Lohnkürzungen, Haushaltskürzungen, zweifelhafte Evaluierungen, denen sie sich stellen mussten, was alles zur Demotivation der Lehrerschaft geführt hat. Drittens, die Schüler selber sind demotiviert, indem sie sehen, dass ehemals mittelmäßige Schüler und Studenten, Personen, die auf jede Weise betrogen haben, die Institutionen dieses Landes, in einer verzerrten Demokratie, leiten.“ Nicht zuletzt sei gegenwärtig „Rumänien von der inkompetentesten Regierung seiner Gegenwartsgeschichte geführt, mit einem Bildungsministerium, das vollkommen überfordert ist von dem, was es zu tun hätte.“

Nicht die schwachen Benotungen müssten laut Marga aufgebessert werden, man müsste dringend „zurückkehren zu einer systematischen Bildung und zu eigenen Anstrengungen“.
 

Das Desaster ist erst am Anfang

„Es liegt in unserer Verantwortung darauf aufmerksam zu machen, dass das Desaster im Bildungswesen in den kommenden Jahren noch größer wird, so lange die Gesetze und die Maßnahmen von Bãsescu aufrechterhalten werden“, verkündete Marga in Klausenburg. „Das Verwirrspiel im Unterrichtswesen ist erst am Anfang. Wie man es auch dreht, ich muss sagen: Es ist zwingend nötig, dass Rumänien ernsthafte Reformen durchführt und dass mit Geschick, mit Geduld diejenige Bildungsreform wieder aufgenommen wird, zu der sich Rumänien im Mai 2000 gegenüber der EU verpflichtet hat, als das Kapitel Unterrichtswesen das erste erfolgreich abgeschlossene Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen Rumäniens war. Spitzfindigkeiten, Flickarbeit und Improvisationen können kompetente und aufrichtige Reformen auf keinen Fall ersetzen.“

Montagabend hatte das Nationale Zentrum für Evaluierung und Prüfungen die landesweiten Ergebnisse des Abiturs der Prüfungssession Juni-Juli des Schuljahrs 2010-2011 zu 100 Prozent aufgearbeitet. 44,47 Prozent der Prüfungskandidaten hatten rumänienweit die Prüfung bestanden. Allerdings werden noch die Einsprüche bearbeitet, die bis heute Abend mit einem endgültigen Bescheid versehen werden müssen.
 

„Ein Spiegelbild der Gesellschaft“

Bildungsminister Daniel Funeriu (PDL) erklärte, dieses Abitur bezeichne einen Scheideweg für Rumänien. Die Ergebnisse und Verhaltensweisen, die bei dieser Prüfung offengelegt wurden, seien „ein Spiegelbild der Gesellschaft“ und die Nation müsse sich entscheiden, „ob sie sich auf die Ehrlichen oder die Verschlagenen verlassen möchte“. 

Funeriu beglückwünschte die 90.765 Zwölftklässler, welche das Bakkalaureat 2011 in erster Session erfolgreich bestanden haben, „aber auch ihre Eltern, Fachlehrer und Grundschullehrer.“ Desgleichen beglückwünschte er jene 65 Schüler, die die Prüfung mit der Höchstnote 10 bestanden haben. Zum ersten Mal habe die rumänische Gesellschaft in diesem Jahr erfahren, sagte der Minister, dass das Abiturdiplom „einen Wert darstellt, der durch Arbeit errungen werden kann“. 

Gleichzeitig verkündete das Bildungsministerium, dass die 661 Kandidaten, die bei der ersten Prüfungssession wegen versuchten Betrugs ausgeschlossen wurden, weder im Spätsommer/Herbst, bei der zweiten Session 2011, noch im Sommer 2012 als Kandidaten antreten können. Sie können ihre Chancen frühestens im Herbst 2012 neuerlich wahrnehmen.