Alternativlose „Katakomben“ und „Tarnwohnungen“

Dokumentationsband von Hannelore Baier klärt alte Fragen und lässt neue offen

Bei Ion Mihai Pacepa kommt Emil Bodnăraș denkbar schlecht weg. Rumäniens Ex-Spitzenspion, der sich 1978 über West-Deutschland in die USA abgesetzt hatte und 1987 als Autor des Bestsellers „Red Horizons“ hüben wie drüben für Aufruhr sorgte, konnte den 1976 verstorbenen Spitzenfunktionär des rumänisch-kommunistischen Regierungsapparates niemals gut leiden. Im 1993 veröffentlichten Buch „The Kremlins Legacy“ (Die Altlast des Kreml) spart Pacepa nicht mit rauer Kritik an Bodnăraș. Aus gutem Grund, denn Emil Bodnăraș, der sich am 6. März 1945 als Übersetzer des Ultimatums einschaltete, das ein sowjetischer Armeebeauftragter König Michael I. in Bukarest auf Russisch stellte, war „maßgeblich am Staatsstreich vom 23.8.1944 beteiligt“ gewesen, wie Hannelore Baier in einer Fußnote des inhaltsschweren Dokumentationsbands betreffend das Thema „Überwachung und Infiltration. Die Evangelische Kirche in Rumänien unter kommunistischer Herrschaft (1945-1969)“ zurecht anführt.

Emil Bodnăraș aber „sprach sehr gut Deutsch“ und war auf seinem ethnisch-religiösen Ohr nicht gerade taub. Bischof Friedrich Müller (1884-1969), der am 29. April 1945 zum Oberhirten der gebeutelten Siebenbürger Sachsen und ihrer sehr traditionell verhafteten Kirche gewählt worden war, wusste die Tatsache, dass „die Mutter dieser schillernden Persönlichkeit des rumänischen Kommunismus eine Bukowinadeutsche und Mitglied der evangelischen Kirche war, was der Sohn nicht vergaß“, bei Bedarf gekonnt auszuspielen, um die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR) vor unumkehrbar einschneidender Gleichschaltung mit Rumäniens diktatorischem Regime oder gar ihrer Auflösung zu retten. Um gute Karten bei ihm zu haben, entsprach er sogar dem Wunsch von Bodnăraș auf sein Predigen bei der Beerdigung dessen Mutter. „Gerne“ soll Müller das erzählt haben – kleingedruckt nachzulesen in der einleitenden Studie des neuesten Dokumentationsbands von Hannelore Baier, den Ende April der Regensburger Verlag Friedrich Pustet und das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) auf den Markt gebracht haben.

Für die Securitate zählte Friedrich Müller als Objektiv „Moraru“ und in der Wahrnehmung kircheninterner Gegner als der „rote Bischof“, dem die polarisierende Auswanderungsbewegung nicht zusagen wollte: „Den Sachsen muss gezeigt werden, dass es zu keiner Massenemigration kommen wird, denn der rumänische Staat kann aus wirtschaftlichen Gründen auf die Sachsen nicht verzichten, da sie gute Arbeiter sind.“ War der erste Bischof der Siebenbürger Sachsen zur Nachkriegszeit ein Vertreter, der sich bei kommunistischen Würdenträgern nicht nur aus kirchenpolitischem Kalkül, sondern auch richtiggehend mit Herz und Hand beliebt zu machen suchte? Nein, das sicher nicht. Doch im Kontakt mit seinen nationalstaatlichen Verhandlungspartnern musste Friedrich Müller den Anschein erwecken, ein Linker zu sein, dem blindes Vertrauen entgegengebracht werden kann. Kompromisse, denen er sich nicht versperren konnte, waren zwangsläufig schwere Kompromisse mit sich selbst.

Doppelt extremer Staat

Dieses erschreckend dichte und sperrige Informationspaket, worauf Hannelore Baier beim Recherchieren im Archiv des Nationalen Rats für das Studium der Archive der ehemaligen Securitate (ACNSAS) gestoßen ist, deckt sich historiografisch mit der Epoche Rumäniens, als gewaltbereite Vorkämpfer rechts- wie linksextremer Haltungen unter dem Protektorat der Sowjetunion vornehmlich in der zweiten Hälfte der 40er-Jahre und noch bis Schluss der rüden 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts gemeinsame Sache machten, um politische Macht genießen zu dürfen.

Denn für das Schüren initial zündender Angst nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Sowjetunion nichts dagegen, in Rumänien auch Schläger und Mörder im Terrain aktiv zu wissen, die sich wenige Jahre zuvor noch vor den Karren des Faschismus hatten spannen lassen. Eine Marschroute, die moderat werbende Kommunisten wie Lucrețiu Pătrășcanu, der Anwalt von Ion Mihai Pacepas Vater, mit ihrem Leben bezahlen mussten. Rechts und Links trafen sich – aber nicht in der Mitte.

„Ich hatte gehofft, dass der Sturz des Faschismus der rumänischen Gesellschaft Gelegenheit bieten würde, sich vom Nationalismus zu heilen und sich den Werten der modernen Welt zu öffnen. Doch siehe, uns wurde die Verschwägerung des Roten mit dem Braunen geboten“, erinnert sich Psychologe Serge Moscovici (1925-2014) in seiner 2019 durch Alexandra Laignel-Lavastine, ausgehend von den Skizzen des jüdischen Autors, herausgegebenen Autobiographie „Mon aprés-guerre à Paris. Chronique des années retrouvées“, die von den Éditions Grasset & Fasquelle veröffentlicht wurde und seit 2021 auch in der rumänischen Übersetzung von Magda Jeanre-naud beim Polirom-Verlag aufliegt („După război la Paris: cronica anilor regăsiți“). Rumäniens kommunistische Staatsführung versuchte, der landeseigenen Bevölkerung einzureden, man wäre national in der goldenen Mitte angelangt, die einem der als Feind zu sehende Westen nicht zu gönnen bereit sei. Sehr unvorteilhaft für die EKR und ihren Bischof.

Widersacher mit oder ohne Köpfchen?

Obwohl Friedrich Müller zu Petru Groza, Gheorghe Gheorghiu-Dej, dem Patriarchen Justinian der Rumänisch-Orthodoxen Kirche, dem Generalsekretär des Kultusdepartements ab 1957, Dumitru Dogaru, und natürlich Emil Bodn˛ra{ gute bis sehr gute Beziehungen hatte. In ihnen erkannte er keine „Linksabweichler“ mit dem politischen Ziel, sich in Interna und die alle vier Jahre anstehenden Wahlen in die Gremien der EKR einzumischen. Der Securitate, die er mit dem Wort „Linksabweichler“ abstempelte, traute er hingegen niemals über den Weg. Mitte der 60er-Jahre jedoch stellte Bischof Müller fest, dass „der Einfluss der Linksabweichung zunimmt“ – sein 80. Geburtstag war 1964 gefeiert worden, und der Verdacht, dass der zunehmend kränkelnde Oberhirte der Siebenbürger Sachsen kaum noch zwischen „links“ und „linksabweichlerisch“ zu unterscheiden willens war, liegt nahe.

In seiner rechtskonservativen Einstellung zur Welt neigte er dazu, alle ihm gegnerisch gesinnten Personen in ein und denselben Topf zu werfen. Binnenkritiker der seiner Obhut unterstehenden Kirche hatten es bei ihm nicht weniger einfach als die auf ihn angesetzten Informanten und Agenten der Securitate, deren Mission er als ein erfahrener Kirchenmann genügend oft durchschaute. Einzig und allein Pfarrer wie den Dechanten des Burzenländer Bezirks, Fritz Schön, der eine täuschend echt gespielte Schein-Kollaboration mit der Securitate einging und als gewiefter Drahtzieher manche der kommunistischen Übergriffe auf die EKR souverän konterkarierte, ließ Bischof Friedrich Müller gewähren. Nicht genehm jedoch war ihm die Wahl von Hermannstadts Stadtpfarrer und Dechant Alfred Herrmann zum Bischofsvikar ab 1954, der unter dem Decknamen „Prietenul“ (Freund) der Securitate als Informant zuarbeitete.

Noch dazu entstammte Alfred Hermann einer Arbeiterfamilie und war in theologischen sowie kirchenpolitischen Fragen gern anderer Meinung als Bischof Friedrich Müller. Erleichterung muss es ihm bedeutet haben, dass Sozialist Hermann sieben Jahre nach seiner Wahl zum Bischofsvikar aus gesundheitlichen Gründen wieder vom Stellvertreteramt zurücktrat. Politisch explizit linke Gesinnung war unter den Siebenbürger Sachsen, die sich mehr oder weniger als Opfer der umgebenden Mehrheitsgesellschaft in Rumänien zu verstehen glaubten, wohl mit dem Manko einer suspekten Attitüde befrachtet. Zwischen Sozialismus und Kommunismus wurde eher halblaut differenziert.

Auch Links kann gut sein

Abstufungen ein und derselben Spektren klar bei ihrem Namen zu nennen war damals nicht angesagt – national nicht und schon gar nicht unter den Siebenbürger Sachsen. Dr. Ulrich Andreas Wien, dessen Buch „Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus“ in Hannelore Baiers einleitender Studie zum Dokumentationsband „Überwachung und Infiltration“ häufig als Referenz angeführt wird, gab im Herbst 2019 ein Interview für die ADZ: „Überaus problematisch war es, dass die vielen Siebenbürger Sachsen sehr selten eine Diskussionskultur gelernt hatten.“

Die Nachkriegszeit schließlich bot nun auch wirklich keine Chance, das von Dr. Wien angesprochene Versäumnis nachzuholen. Bischof Friedrich Müller hatte bis Ende seines Lebens viel Dringenderes zu bewerkstelligen und zu schützen, als in der EKR „unterentwickelte Fähigkeiten zum Debattieren“ aufzubauen und zu pflegen. Seiner Aufgabe ist er dennoch vorbildlich nachgekommen. Mehr als 50 Jahre nach ihm muss es aber auch gestattet sein, seine Amtsführung als radikal zu interpretieren. Radikal einfach, weil den zweifelsohne rechtsorientierten Siebenbürger Sachsen inklusive ihrer Kirche im kommunistischen Rumänien keine andere Option als eine harsche Opposition zum Linksextremen des nationalen Alltags übrigblieb. Nicht vergessen werden darf, dass Friedrich Müllers Aufstieg zum Bischof nicht eben zufällig erfolgte, da er 1938 zum Bischofsvikar gewählt worden war. Es ehrt ihn postwendend, den Anordnungen des stur NS-hörigen Bischofs Wilhelm Staedel ab 1941 Widerstand zu bieten versucht zu haben. Gleichzeitig aber verdient sein stolzes Predigen der Jahre 1940 und 1941, als er glatt behauptete, „das ´Heil Hitler´ wird gerade uns Christen in diesen Tagen zum Gebet“, eine saure Kritik. Unerhört!

Rechts, ok. Nur wie und wie nicht?

Als Vikar von Bischof Wilhelm Staedel vertrat Friedrich Müller im Jahr 1941 die Ansicht, dass es den Pfarrern der EKR entgegen eines ministerialen Entscheids nicht untersagt werden dürfe, Mitglieder von Parteien oder politischen Organisationen zu sein. 1954 bestand er wiederum auf dem schieren Gegenteil davon. Hannelore Baiers Dokumentationsband zeichnet das Porträt eines Kirchenmannes, der ein Lernen mit der Zeit nicht ausschloss, aber das „Mer wällen bleiwen wat mer sen!“ niemals hinterfragte. „Ich muss alles wissen, was in der Welt geschieht, anders werde ich nicht imstande sein, die Kirche zu leiten.“ Bischof Friedrich Müller sah sich und seine Kirche bekanntlich als Triebkräfte „einer historischen Mission im Südosten Europas.“

Er verschwieg nicht, dass „die Welt in stetiger Veränderung ist.“ Die analoge Welt seiner Zeit aber konnte von Internet, YouTube und Social-Media-Kanälen nichts ahnen. Der aufgeklärte Westen, zu dessen Mitgliedern er sich und sein Kirchenvolk rechnete, hatte zur Amtsperiode von Bischof Müller noch keine Rezepte für den Umgang mit Strömungen wie Whataboutismus und Cancel Culture aushecken müssen. Prägnant argumentierende Binnenkritiker der demokratisch-westlichen Welt wie Theologe Eugen Drewermann, Historiker Daniele Ganser und Neurobiologe Gerald Hüther waren entweder noch nicht am Leben oder hatten noch nicht die digitalen Medien zur globalen Verbreitung ihrer Vorträge verfügbar – die im Übrigen keineswegs darauf zielen, den abendländischen Wohlstand zu schwächen.

Im krisenträchtigen 21. Jahrhundert das „Mer wällen bleiwen wat mer sen!“ mit derselben Härte in die Welt rufen zu wollen, die auch Bischof Friedrich Müller an den Tag legte, ist eine Verlust-Strategie. Rechtssein dagegen ist nicht vom Start weg schlecht, solange eine durchlässige statt autokratische Selbstdarstellung geübt wird. Der Oberhirte der Siebenbürger Sachsen von 1945 bis 1969, der seiner Kirche ein „Katakomben-Leben“ nahelegte, und über den Agenten und Informanten der Securitate in „Tarnwohnungen“ zu Gericht saßen, hatte seinerzeit gar keine Wahl, er konnte und durfte die Großwetterlage nicht anders als radikal bewerten und behandeln. In seinem Wirkungsland war die Option zur Demokratie damals nicht gegeben.

Heute bläst der Wind aus anderer Richtung. Gut, dass der Tod von Bischof Friedrich Müller einschließlich seiner Epoche mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt und die Akzeptanz von politischer Binnenheterogenität auch Merkmal der Siebenbürger Sachsen ist. War ja endlich Zeit geworden. Wäre Bischof Friedrich Müller ein Demokrat gewesen, wäre Rumänien statt totalitär demokratisch gewesen?