Auf den Pfaden der Deutschen in Ungarn

Identität bewahren, Gemeinschaft stärken, Siedlungen vernetzen

Die Führung durch Landeslehrpfad und zur Ulmer Schachtel beim Ungarndeutschen Bildungszentrum Baja übernahm Alfred Manz (62, Vater und Großvater, Lehrer für deutsche Sprache und Literatur sowie ungarndeutsche Volkskunde und Geschichte), Vorsitzender des LdU-Bildungsausschusses, Autor und Schriftleiter der deutschsprachigen Regionalzeitung „Batschkaer Spuren“.

Das A und O der Ungarndeutschen sei die Religion, so die Infotafel zur sechsten Station des Landeslehrpfades in Baja. | Fotos: Astrid Weisz

So wird man in Badeseck auf dem Lehrpfad begrüßt und erfährt erst auf den zweiten Blick die tragische, örtliche Romeo-und-Julia-Geschichte auf der Innenseite des Herzens.

In Feked hat man mit Réka Peck eine leicht schüchterne, dafür umso engagiertere Führung nicht nur entlang des Lehrpfades, sondern auch in der 2022 eröffneten „Klumpenträger”-Ausstellung (Klumpen sind Holzpantoffeln).

Wie kann man gleichzeitig seine Identität als Minderheit bewahren, die Gemeinschaft fördern und nach außen hin sichtbarer werden? Diese Frage beantwortet die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) mit einem 2015 begonnenen landesweiten kommunalen Entwicklungsprojekt: Durch die finanzielle Förderung des deutschen Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat wurden inzwi-schen 13 örtliche ungarndeutsche Lehrpfade – beispielsweise in Bodgan, Schomberg, Sanktiwan bei Ofen, Feked, Nadasch, Badeseck und Tscholnok, sowie ein Landeslehrpfad in Baja – angelegt. Sie bieten eine Lehralternative zu Schulunterricht oder Museumsbesuch, vernetzen ungarndeutsche Siedlungen und in dem Projekt haben sich viele Mitglieder der Gemeinschaft engagiert.

Die lediglich einige hundert Meter langen Pfade seien seitdem sehr gut besucht, heißt es auf der Webseite des Projektes lehrpfad.hu, wobei sich immer mehr ungarndeutsche Ortschaften bereit erklären, durch den freiwilligen Beitrag von Institutionen und Zivilorganisationen Kuriosa und Werte der vor Ort lebenden Ungarndeutschen zu ermitteln und auf Tafeln, in interaktiven Installationen und Begleitheften zu präsentieren. Bekommt man dann von einem ortskundigen, informierten und auch begeisterten Ungarndeutschen wie Alfred Manz (Ungarndeutsches Bildungszentrum) oder Zoltán Schmidt (LdU Regionalbüro Fünfkirchen) eine Führung, ist das Erlebnis nochmal um eine menschliche Dimension erweitert, denn beiden Herren ist das Herzblut, das in die Erarbeitung des Lehrpfades eingebracht wurde, und die Liebe zur Heimat bei jedem Satz von den Lippen zu lesen.

Der aus acht Stationen bestehende thematische Weg mit dem Motto „Vergangenheit hat Zukunft“ befindet sich auf dem Gelände des Ungarndeutschen Bildungszentrums Baja. Im Gegensatz zu den anderen ungarndeutschen Lehrpfaden werden hier nicht die Werte einer konkreten Siedlung dargestellt, sondern das gesamte Ungarndeutschtum. Der mit Informationsschildern, interaktiven Elementen und einem Begleitheft versehene thematische Weg erzählt anhand des Leitmotivs „Gemeinschaft“ über Ansiedlung, traditionelle Funktionen der Familie, Zusammenleben in einer Dorfgemeinschaft, Lebensunterhalt, Muttersprache, Religionsgemeinschaften und moderne Gemeinschaftsformen der ungarndeutschen Volksgruppe, sowie über zukunftsweisende Wege für eine nachhaltige Traditionspflege und ungarndeutsche Identität. 

Abenteuer Auswanderung

Die Ansiedlung ist die erste Station, die sich direkt neben der nachgebauten Ulmer Schachtel befindet. Die Installation sind den Stolpersteinen nachempfundene helle Pflastersteine mit Namen von Einwanderern aus dem 18. Jahrhundert mit Hinweis auf Herkunft und Ansiedlungsort. Die zweisprachige Infotafel erzählt, was man beim Auswandern alles hinter sich lässt, aber auch die Erwartungen und Hoffnungen, mit denen man in die neue Heimat aufbricht. In der Ulmer Schachtel wird ein Gefühl für die abenteuerliche, beschwerliche Fahrt auf dem einfachen Floß vermittelt, mit Moos geschoppt als Einwegboot aus Ulm nach Wien und bis nach Ungarn. In den Seitenwänden sind Ausstellungsvitrinen eingebaut, von der Decke hängen Informationsblätter, in der Ecke stehen Klappstühle und ein überdimensionales Würfelspiel, letztere nicht nur als Ausstellungsobjekt und Denkmal, sondern auch als alternatives Klassenzimmer für den ungarndeutschen Volkskunde- oder Geschichtsunterricht. 

Familie und Dorfgemeinschaft

Die zweite Station ist von kleinen Holzpfählen umgeben und heißt „Daheim ist daheim“, die Familie als kleinste Wirtschafts- und Kulturgemeinschaft der Ungarndeutschen – einst eine Großfamilie, deren Leben sich im Drei-Generationen-Haus von der Geburt bis zum Tod abspielte, heute eine moderne mit selten mehr als zwei Kindern. 

Am  dritten Haltepunkt wird das Miteinander der Dorfgemeinschaft mittels einer symbolträchtigen Zeichnung in den Fokus gerückt. Klar zu erkennen ist dabei eine Zäsur, eine Kluft, im Leben der Ungarndeutschen bis und nach dem Zweiten Weltkrieg, mit seinen Repressalien für die Ungarndeutschen: Deportation zur Zwangsarbeit, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Enteignung. Und doch ging und geht das Leben weiter, mit anderen Dorfgemeinschaften und anderen Bräuchen. Eine bewegliche Tischplatte, in der wie bei einem Geschicklichkeitsspiel eine Kugel durch ein Labyrinth geführt wird, indem Seiten gehoben oder gedrückt werden, verleitet dazu, spielerisch zu erkunden, was in der Dorfgemeinschaft passierte: von Hausbau und Hochzeitsvorbereitungen, Weinlese und Schweineschlacht bis hin zum Federschleißen, alles mit alten Bildern belegt.

„Schatztruhe“ Handwerk

Neben der vierten Infotafel findet der Besucher, eine große buntbemalte Truhe, die als Vitrine umgebaut alte und neue Technologie vereint. Die Station ist dem Gewerbe der Ungarndeutschen gewidmet mit Utensilien von einstigen Berufen wie Blaufärber, Seiler, Barbier, Töpfer oder Möbelfärber. Eine große Solarzelle in der Mitte und USB-Anschlüsse an der Truhenseite erlauben das Aufladen von Handys.

„Teitsch und Deutsch“

Der Landespfad wendet sich beim nächsten Halt an die Ohren der Besucher: „Teitsch und Deutsch“. Versteckt hinter einer zweigeteilten Tür zeigt die Installation, wie Dialekt und Hochdeutsch zu vermitteln waren und seien. Die Knöpfe daneben könnten Klingeln sein, sie rufen jedoch eine Geschichte auf, die über einen Lautsprecher in verschiedenen ungarndeutschen Mischmundarten anzuhören ist.

„Mit Gott fang an...“

Einen speziellen Haltepunkt widmen die Ungarndeutschen der Religion. Zur Installation gehören hier die kreisförmigen Darstellungen des katholischen und des evangelischen Kirchenjahrs. Die Informationstafel zieht auf der ungarischen Seite mit Bildern eine Parallele zwischen katholischem und evangelischem Baudenkmal, Kulturerbe und Festen, während auf der deutschen Seite ein Wandschoner Glaubenssprüche/Losungen zusammenfasst, zumal die Station selbst den Titel „Mit Gott fang an, mit Gott hör auf!“ trägt.

Werte und Ziele

Viel mehr als die vorangehenden Stationen befasst sich die siebte des ungarndeutschen Landeslehrpfades mit dem derzeitigen Gemeinschaftsleben der Ungarndeutschen, wie sie politisch, kulturell, medial, im Bildungswesen und Jugendarbeit aufgestellt sind, welche Werte und Ziele sie verfolgen und anstreben, wie viele Vereine und Selbstverwaltungen es gibt. Als interaktive Installation gilt es hier, das Wappen der Ungarndeutschen zu erforschen, mit seinen Symbolen für Herkunft, Heimat, zweigeteilte Gemeinschaft, Glaube und Fleiß. 

Aus Alt mach Neu

Die letzte Station „Damit es weitergeht“ hat man in die Hände von Schülern gelegt, die in einer Bildermontage Altes und Neues verbinden und in zehn Punkten ein Manifest für das Fortbestehen des Ungarndeutschtums zusammenfassen.

Die Informationstafeln enthalten stets eine kleine Karte zur Orientierung, wo die nächste Station zu finden sei. Jeder Lehrpfad ist grafisch einmalig gestaltet, verfolgt einen roten Faden: der Weinstock in Moor, das Janusgesicht in Badeseck, der Mensch in Mohatsch, die Monate in Band oder die Namen in Sanktiwan. In Feked ist es beispielsweise das Thema Holz, von den Wurzeln, der Herkunft der Ahnen, dem Material für die Häuser oder Schuhe, bis hin zum Holzdeckel der Bibel, oder die alte Dorfeiche, um die sich seit mehr als 300 Jahren das Dorfleben abspielt. Wenn sich die Infotafeln und die dazugehörenden Begleithefte – manchmal gibt es auch eine speziell entwickelte Rally (Nadasch) oder ein Rätselheft für Kinder (Feked) – samt den jeweiligen interaktiven Installationen auch gut für eine Einzelbegehung eignen, ist es Gruppen zu raten, sich für eine ortskundige Führung anzumelden, die das Erlebnis um vieles bereichert.