Besuch beim Antiquitäten-Doktor

Aus den Memoiren eines antiken Biedermeier-Klaviers

Ja, das bin tatsächlich ich! In frischem Schellack-Anzug aufgemotzt warte ich im Kabinett meines Wunderdoktors auf meinen Chauffeur.

Gabriel Constantinescu in seiner Werkstatt: „Von den Sachsen habe ich viel gelernt“, sagt der mittlerweile langjährige Profi im Restaurieren antiker Möbel und Musikinstrumente.

Ecaterina ergänzt mit Spezialkitt fehlende Partien an einem barocken Lampenschirm: „Restaurierte Gegenstände müssen nicht nur originalgetreu aussehen, sondern auch gebrauchsfähig sein“.
Fotos: George Dumitriu

„Die meisten Menschen behaupten, Gegenstände hätten kein Leben. Ich bin da ganz anderer Ansicht. Meine Geschichte ist von Höhen und Tiefen gezeichnet, die über die nüchternen historischen Fakten, die über mich dokumentiert sind, weit hinausgehen. Meine Kindheit verbrachte ich in der Biedermeierzeit in der Hauptstadt des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs. Durch meine filigrane Schönheit und den lieblichen Klang meiner Stimme habe ich 175 Jahre lang Menschen erfreut, berührt, vielleicht auch gelegentlich zu Tränen bewegt. Und wenn ich selbst weinen könnte, ich hätte es so manches Mal getan. Zum Beispiel, als ich im feuchten Keller eines Museums stand, erst hochkant an der Wand aufgestellt, dann brutal über den Boden geschliffen...

Das bestätigte sogar der Restaurateur, der danach die Falten meines kostbaren Nusswurzelholz-Furniers mit unendlicher Geduld glätten musste. An den vielen Narben und Blessuren in meiner Schellack-Seele konnte er mein Schicksal lesen wie in einem Buch. Ach –  ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen: Gestatten, J. Reitmeyer, geboren 1837 in Wien, meines Zeichens – ein Klavier!“

Ratternd öffnen sich die Tore des mit verwilderten Pflanzen übersäten Hofes, und wir betreten eine wundersame Welt. In einer Doppelgarage voller Farbtöpfchen, Schraubzwingen, Kistchen mit antiken Schrauben, Furnieren und unfertigen Bilderrahmen an den Wänden sehe ich es zum ersten Mal: das kostbare Stück, weswegen wir diese weite Fahrt mit dem Lastwagen von Bukarest nach Hermannstadt/Sibiu unternommen haben.

Der Mann mit den durchdringenden Augen lächelt stolz, als er die Decke wegzieht. Da steht es vor uns, prachtvoll glänzend, mit seinen filigranen Goldintarsien. Auf den ersten Blick wirkt das Klavier wie neu! Doch Gabriel Constantinescu zeigt auf die Plomben - Furnierstückchen, die er an Stelle der vielen Schrammen einsetzen musste – und erklärt uns das wichtigste Prinzip einer Restauration: jeder Eingriff muss erkennbar sein!

Eine Gratwanderung also zwischen Instandsetzung nach optisch-ästhetischen Gesichtspunkten und der Dokumentation der Reparatur für die Nachwelt nach streng definierten Regeln. Nur so behält das Stück an Wert, während ein stümperhafter Eingriff ihn stark reduziert oder gar für immer zerstört. So kann man an jeder Antiquität ihre Geschichte – einschließlich früherer Eingriffe – nachvollziehen. Im Falle des vorliegenden Objektes eine wahrhaft bewegte, doch lassen wir es ruhig selbst berichten...

Lange Odyssee

„Kurz nach meiner Geburt reiste ich im Auftrag eines österreichischen Barons nach Temeswar, als Geschenk an seine rumänische Geliebte. Ein würdiges Umfeld für ein so kostbares Stück wie mich. Doch in den Wirren der beiden Weltkriege erlitt ich meine ersten Traumen. Mein schönes Furnier wurde schnöde schwarz überstrichen, wie es damals häufig Mode war.

Zur Zeit des Kommunismus verschlug es mich schließlich in den Besitz einer Proletarierin in einem Bukarester Wohnblock, wo ich wie ein lästiges Möbelstück, das nur den Platz verstellt, behandelt wurde. Nach der Revolution verkaufte sie mich endlich, und so gelangte ich in eine wunderschöne Großstadtvilla, die meiner würdig war.

Eines Tages entdeckte mein neuer Besitzer, der ein geschultes Künsterauge hatte, eine merkwürdige Stelle an meiner Haut. Er kratzte ein wenig daran und verließ dann aufgeregt das Haus. Als er nach Stunden zurückkehrte, hatte er eine Flasche mit stark riechendem Zeug in der Hand. Er nahm einen Schwamm und wusch mir behutsam den hässlichen schwarzen Lack vom Leib. Hurra, endlich wieder ich! Wie stolz glänzten meine verschlungenen Goldstaub-Intarsien, mit denen man mich in der Jugendstilzeit nachträglich verziert hatte, neben der originalen Perlmuttinschrift mit meinem Namen unter dem Tastaturdeckel.

Glücklich fotografierte er mich von allen Seiten und schickte die Bilder an Experten in alle Welt. Aus Wien erhielt er alsbald ein Schreiben – meine Geburtsurkunde sozusagen, die außerdem verriet, dass ich noch sieben Brüder hatte. Überall hatte man bereits nach mir gesucht, ich galt jahrzehntelang als verschollen.

Doch mein Glück mit dem neuen Herrn währte nicht lange. Als er sich scheiden ließ, musste er aus der Villa ausziehen und gab mich in die Obhut eines Museums, im guten Glauben, dort würde fachgerecht für mich gesorgt. Damit begann erst meine wahre Leidensgeschichte. Was der Erste und Zweite Weltkrieg nicht geschafft hatten, geschah nun im dunklen Kellerverließ... Hätte mein Herr nicht irgendwann einen Brief bekommen, er möge mich wegen Umbau des Gebäudes dringend abholen – wer weiß, ob und in welchem Zustand ich jemals wieder das Licht der Welt erblickt hätte...“

Im Geheimlabor

Im gleißenden Sonnenlicht schießt George Dumitriu ein paar Fotos, bevor die Männer das Klavier in den Lastwagen hieven, sorgsam befestigen, abdecken, Hohlräume auspolstern. Ecaterina, Gabriels Ehefrau und ebenfalls Restaurateurin, erzählt, wie sie in stundenlanger, akribischer Kleinarbeit den Schellack erneuert hat. Viel Erfahrung braucht es für das komplizierte Verfahren, das mit einem getränkten Filzbällchen, das nur ganz wenig von der Substanz abgibt, in mehreren Arbeitsgängen vonstatten geht.

Der Meister öffnet eine Dose und nimmt eine Handvoll bernsteinfarbener Plättchen heraus: Schellack, das von Läusen verdaute und wieder ausgeschiedene Harz eines indischen Baumes, das man in Alkohol auflösen muss. Natürliche Rohstoffe sind für einen Restaurateur ganz normal. Wenn möglich, werden die am Original angewandten alten Techniken reproduziert.

„Knochenleim“, nennt Gabriel Constantinescu als Beispiel und führt uns in den Nebenraum, wo eine Gründerzeit-Kommode aus Deutschland steht, deren Furnier mit gezielt platzierten Schraubzwingen stellenweise geglättet wird. Der Meister nimmt das Röhrchen mit dem Leim aus dem Wasserbad: „Man muss die Temperatur genau kennen, denn er darf nicht zu stark erhitzt werden.“ Manchmal hilft den Restaurateuren jedoch auch die moderne Technik. Ecaterina hält ein federleichtes Bällchen aus Holzkitt  in die Höhe, extra für Restaurationszwecke hergestellt.

Damit kann man fehlende Teile ersetzen und modellieren, sagt sie und zeigt auf den Barockleuchter, an dem sie gerade arbeitet. Vor ihrer Ausbildung als Restaurateurin an der Lucian Blaga Universität in Hermannstadt/Sibiu hatte sie Kunst studiert. Auch Gabriel begann seine Karriere mit einem Kunststudium. Ein gewonnener Wettbewerb im Schreinern verschlug ihn schließlich ans Brukenthal Museum, wo man ihm anbot, Restaurateur zu werden. Studieren konnte man diese Disziplin zu seiner Zeit noch nicht.

Vor etwa fünf Jahren machte er sich dann mit der Werkstatt selbstständig und beschäftigt heute fünf Fachleute. Gut 20 Jahre Erfahrung hat der 43-jährige Gabriel als Restaurateur von Holzmöbeln und Metallgegenständen auf dem Buckel. In der Branche genießt er einen Ruf, der ihm auch Aufträge aus dem Ausland beschert.

Ecaterina erzählt, wie schwierig es manchmal ist, Materialien für die Restauration zu bekommen. „Theoretisch kann man alles im Internet bestellen“, meint sie und fügt hinzu „doch die Firmen liefern nicht nach Rumänien. Oft bringen uns Kunden Bestellungen mit, oder wir müssen selbst reisen.“ Auf Präsentationen in Italien erfahren die Restaurateure dann von neu entwickelten Technologien, oder von Substanzen, die man wegen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkung nicht mehr verwenden sollte.

Terpentin zum Beispiel, weil es das Nervensystem angreift. Viele Restaurateure haben  Leberschäden, denn bis man Chemikalien, die Dämpfe absondern, als giftig erkennt und verbietet, war man ihnen oft schon lange ausgesetzt. Auch weil man wissen muss, welche Materialien langfristig miteinander reagieren, gehört zur Ausbildung viel Chemie und Physik.

Bevor wir uns wieder in die Kanzel des Transporters schwingen, gibt Gabriel eine Anekdote zum Besten. Weil fachkundig restaurierte Möbel stark an Wert gewinnen, erhielt er einst den Auftrag, einen Lastwagen voll Sperrmüllgut aus Deutschland zu restaurieren. Obwohl er darauf hinwies, dass es sich um kaum 50 Jahre alten Kram handelte, bestand der Kunde auf der Arbeit, bezahlte die erste und schickte prompt eine zweite Ladung. Nachdem Gabriel drei Monate daran gearbeitet hatte, dann kam der Anruf: leider lohnt sich der Verkauf doch nicht, er würde die Möbel daher nicht mehr abholen. Eine teuer bezahlte Lektion. Heute nimmt er nur noch Aufträge an, wenn es sich tatsächlich um Antiquitäten handelt.

Ein neues Zuhause

„Wir verabschieden uns. Langsam schaukelt der Lastwagen aus dem Hof, vorbei an der lustig bemalten Hundehütte mit der Aufschrift „căţei“, hinaus aus der Stadt und über die endlose grüne Hügellanschaft, die ich unter meiner Decke leider nicht sehen kann. Endlich biegen wir von der Hauptstraße ab, in eine Villengegend am Rande von Bukarest. Wieder packen mich unzählige Hände, tragen mich behutsam ins Innere, schrauben meine Beine an. Dann erst sehe ich mich um – und kann meinen Augen kaum trauen: glänzende Marmorsäulen, kostbare Ebenholzmöbel, venezianische Leuchter und eine Vase mit goldenem Glasmosaik. Ist die prunkvolle Villa von Familie Sponte wirklich mein neues Zuhause? Die güldene Vase wirft mir zuerst einen arrogant prüfenden  Blick rüber, doch sie schweigt, als mir die Marmorsäulen freundlich zulächeln. Denn dank meines Antiquitätendoktors aus Hermannstadt bin ich diesen Ortes nun absolut würdig!“