Birgt das neue kollektive Arbeitsrecht Rumäniens rechtlichen Sprengstoff?

Ende 2022 trat in Rumänien das neue Gesetz über den Sozialdialog, das den kompletten Rechtsrahmen für das kollektive Arbeitsrecht enthält, in Kraft. Das Sozialdialogsgesetz (Gesetz 367/2022, nachfolgend „SDG“) ersetzte das alte Gesetz 62/2011 vollständig. 

Eine der vielen Neuregelungen des SDG, die am 25. Mai 2023 noch durch die Dringlichkeitsverordnung 42/2023 überarbeitet wurde, bezieht sich auf den Arbeitskampf; im Rumänischen als „kollektiver Arbeitskonflikt (conflict colectiv de muncă)“ bezeichnet. Diese Neuerungen werfen nicht nicht nur alte Prinzipien über Bord, sondern führen erhebliche Pflichten für Arbeitgeber ein, die in der jetzigen Fassung rechtlich bedenklich sind. Es folgt aus Platzmangel eine summarische Darstellung.

Was ist ein Arbeitskampf?

Laut SDG ist ein kollektiver Arbeitskonflikt ein Konflikt zwischen Arbeitnehmern/Arbeitern – vertreten durch Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertreter – und Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden betreffend:

  • Beginn, Durchführung oder Beendigung von Verhandlungen über Tarifverträge (…);
  • die kollektive Nichtgewährung individueller Rechte, die in anwendbaren Tarifverträgen (…) vorgesehen sind, von mindestens
    – 10 Arbeitnehmern bei einer Belegschaft zwischen 21 und 99;
    – 10 Prozent der Belegschaft, wenn diese zwischen 100 und 299 beträgt;
    – Mindestens 30 Arbeitnehmern ab einer Belegschaft von 300,
    wenn ein Rechtsstreit hierüber eingeleitet und nicht innerhalb von 45 Tagen ab dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung beigelegt wurde.

Ist ein Arbeitskampf eingeleitet, kommt es zu einer Schlichtung mit der zuständigen Stelle des Ministeriums (je nach Ebene des Konflikts). Scheitert diese, kann die Gewerkschaft/Arbeitnehmervertretung das Verfahren zur Durchführung eines Streiks einleiten, sofern keine Zwischenverfahren (Mediation oder Schiedsverfahren) vereinbart wurden. 

Diese Zwischenverfahren sind nicht zwingend, was die Brisanz des Themas verdeutlicht.

In welchen Situationen ist ein Arbeitskampf möglich?

Laut Art. 126 SDG können „kollektive Arbeitskonflikte“ unter anderem dann eingeleitet werden, wenn der Arbeitgeber

  • Tarifverhandlungen verweigert, obwohl er keinen oder nur einen abgelaufenen Tarifvertrag hat;
  • die Forderungen der Arbeiter/Arbeitnehmer ablehnt;
  • trotz Beginn der Verhandlungen nicht alle gesetzlich erforderlichen Informationen vorlegt;
  • die Wiederverhandlungen von Klauseln ablehnt, bezüglich derer eine periodische Verhandlung vereinbart wurde, oder mit der Gegenseite keine Einigung über die Wiederverhandlung periodisch zu verhandelnder Klauseln erzielt;
  • es ablehnt, in Fällen des Art. 99 Abs. 3 einem für den Wirtschaftssektor abgeschlossenen Tarifvertag beizutreten.
    Hintergrund: Art. 99 Abs 3 besagt, dass Arbeitgeber(verbände) Sektorentarifverträgen auch dann beitreten können, wenn sie diesen Tarifvertrag nicht abgeschlossen haben. Seit Mai 2023 können die Gewerkschaftsverbände, die in den Betrieben der o. g. Arbeitgeber Mitglieder haben, diese Arbeitgeber zum Beitritt zum Sektorentarifvertrag auffordern. Der Arbeitgeber hat innerhalb von zehn Tagen zu antworten, während dessen bereits eine Schlichtung stattfindet. Kommt es in dieser Frist nicht zu einer Einigung, ist der o. g. Gewerkschaftsverband zum Streik bei dem Arbeitgeber (!) berechtigt.

Kurze Bewertung

Zunächst können Fälle, in denen mehreren Arbeitnehmern individuelle Rechte nicht gewährt werden, neuerdings kollektive Arbeitskonflikte auslösen. Bisher konnten die einzelnen Betroffenen in solchen Fällen ihre Ansprüche auf dem Rechtsweg geltend machen. Die nun eingeführte Berechtigung zum Arbeitskampf bedeutet einen erheblichen Paradigmenwechsel.

Weiterhin sind die Regelungen sehr auffällig, die Arbeitnehmervertretern das Recht verleihen, dem Arbeitgeber ihren Willen aufzuzwingen. So können sie einen Arbeitskampf einleiten und u. U. zu einem Streik übergehen, wenn der Arbeitgeber einer Vereinbarung über die periodische Wiederverhandlung bestimmter Klauseln (z. B. Gehaltserhöhungen) nicht zustimmt.

Bedenklich stimmt aus rechtlicher Sicht das Recht der Arbeitnehmervertretungen, den Beitritt von Arbeitgebern zu Sektorentarifverträgen, die sie nicht abgeschlossen haben, zu erzwingen – obwohl dieser Beitritt ausdrücklich Option des Arbeitgebers ist. Fordert der Gewerkschaftsverband, der Mitglieder im Betrieb des Arbeitgebers hat, diesen zum Beitritt auf, kann er ihn durch das neue Verfahren praktisch dazu zwingen. Es stellen sich Fragen nach der Vereinbarkeit mit der Vertragsfreiheit, den Regeln zur Urabstimmung und u. U. auch mit der Gewaltenteilung, da nur die Legislative über die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen entscheidungsbefugt ist.

Insgesamt ist u. E. mit Korrekturen der neuesten Dringlichkeitsverordnung (evtl. auch mit der Prüfung durch das Verfassungsgericht) zu rechnen. 


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