Blech runter, Fuchsschwanz bereit, Schindeln drauf

Der Anfang eines Versuchs, die Leaota-Hütte zu rehabilitieren

Zwischenstand der Arbeiten am Feierabend des fünften von einundzwanzig Tagen
Fotos: der Verfasser

Blick vom Vorgipfel (1531 Meter) des „Muntele Românescu“ nach Süden auf die „Stâna de piatră“. Auf der Rückseite des Hügels, in dessen Wald der Borkenkäfer gewütet hat, steht die untaugliche und längst nicht mehr bewirtschaftete Leaota-Hütte. Durch das neue Schindel-Dach aber ist sie vor weiterem Schaden von oben gesichert.

Authentische Weitergabe von Know-How

Querschnitt durch die Schindel-Decktechnik an der Traufe: Hier ist es nötig, für den Start noch drei Schichten übereinander zu setzen. Danach wird in Stufen fortsetzend nur jeweils eine neue aufgelegt.

Eine Freiwillige, die nicht erst noch in den richtigen Gebrauch vom Fuchsschwanz eingewiesen werden muss.

Frühmorgens um sechs Uhr im Nadelwald hoch über dem Kloster „Adormirea Maicii Domnului“ und vier Stunden Fußmarsch vom Dorf Runcu im Kreis Dâmbovi]a entfernt. Statt sich vor ihren ersten Hammerschlägen auf dem Dach der einzigen Hütte weit und breit im Leaota-Gebirge an einer deftigen Frühstückstafel gütlich zu tun, stürzen Onkel Nelu aus Ruc²r, sein Sohn und sein Neffe im Stehen auf 1330 Metern Seehöhe rasch einen Espresso hinunter.

Und kaum, dass er ausgetrunken ist, sitzen sie schon auf Kissen an den Sparren des Hüttendaches, um allen neu verlegten Querlatten 40 Zentimeter lange Schindeln aus Fichte aufzulegen. In lückenloser Überlappung und mit dem Einschlagen je eines Nagels, selbstverständlich. Drei Handwerker robuster Ausdauer, die von der „Ambulan]a pentru Monumente“ eigens für diese Teilaufgabe der Deckarbeit am Dach der Leaota-Hütte angeheuert wurden, und für zig Freiwilligen in Zelten rings um die Hütte pünktlich das beste Wecker-Läuten klopfen, das man sich hier oben nur wünschen kann.

Auch der von Rodungen bislang verschonte Wald des Bergrückens „Muntele Românescu“ dankt es ihnen mit sattem Widerhall. Dem Echo der drei Wochen langen Baustelle von Sonntag, dem 24. Juli, bis Samstag, den 13. August, geht im glücklichsten Fall nicht bloß ein Kurzruf ohne Folgen voraus. Einige Freiwilligen im Einsatz, die bereits die ersten zwei oder drei von sechs Studienjahren der Grundausbildung an der Bukarester Universität für Architektur und Städtebau „Ion Mincu“ (UAUIM) absolviert haben, sehen sich vor, auf und in der Leaota-Hütte zum allerersten Mal überhaupt so richtig gefordert, statt nur mit Papier oder Laptop auch im Terrain Hand anzulegen. Wo analoges Gerät mehr als jede noch so digitale Technik zählt.

Auf Knopfdruck entsteht hier nichts

Ohne Zollstock, Messband, Zimmermannsbleistift, Tischler-Winkel, Fuchsschwanz, Hammer, Tacker und Nägel schließlich können dem historischen und brauchbar erhaltenen Dachstuhl einer Schutzhütte  weder eine Unterspannbahn noch horizontale Latten oder vertikale Sparren-Ergänzungen aus Holz aufgezogen werden. Eugen Vaida aus Alzen/Al]îna, Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation „Ambu-lan]a pentru Monumente“, muss das Einsatzlager schon am dritten von 21 Tagen verlassen, sorgt aber dafür, dass das metallene Außengerüst unter der größten aller Fronten des neu zu deckenden Daches fest steht. Aufstellen lässt er auch zwei Sägeböcke, an denen Holznachschub auf Maß zurechtgeschnitten werden soll. Architekt und Rumänien-Kenner Jan Hülsemann aus Bremen, der sich gerne bereit erklärt hat, die Arbeiten am Dach der Leaota-Hütte zu leiten, macht sich wie erwartet nicht an den Sägeböcken zu schaffen. Sein Wissen und seine Erfahrung sind prioritär überall nötig, wo keine weiteren Späne mehr entstehen – hoch oben auf dem Gerüst und am Dach selbst.

Gut so, weil dadurch die nicht viel weniger wichtige Bodenarbeit mit dem Fuchsschwanz beispielsweise der Freiwilligen Daniela (Name geändert, Anm. d. Red.) übrigbleibt. Sie kommt aus einer großen Stadt Siebenbürgens, meidet aus Höhenangst die Arbeit auf dem Dach, hat die ersten vier Semester an der UAUIM bestanden und noch nie in ihrem Leben ein Brett in Stücke gesägt. Spätestens beim dritten oder vierten Versuch dagegen hat sie den Dreh heraus und den am First Schuftenden ein Holzbauteil in der zentimetergenau richtigen Länge nach oben durchgereicht. Natürlich ohne sich beim Hantieren mit dem noch etwas sperrigen Fuchsschwanz beeilen zu müssen, aber trotz allem mit dem Leistungsdruck im Nacken, dass die Querlatten und Sparren-Ergänzungen pünktlich vom Sägebock abfallen müssen.

Die NGO von Architekt Eugen Vaida macht´s möglich: „Jeder hat einen Platz in der ´Ambulanța´!“ Auch, wenn man sich ohne jede handwerkliche Fähigkeit nichtsdestotrotz als Freiwilliger nützlich machen will. Was noch nicht beherrscht wird, lässt sich erlernen, und das Arbeiten erfordert vor allem die Muskelkraft des eigenen Körpers.

Jan Hülsemann bringt es nicht übers Herz, den stolzen Haufen zig historischer Querlatten, die durch neue ausgetauscht werden, als Brennholz freizugeben. Weil sie noch oder gerade in sehr gutem Zustand sind und vormals bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs – der Bauzeit der Hütte – aus Baumstämmen und dicken Ästen der Umgebung geschnitten wurden, deren Holz um die hundert Jahre alt ist. Die natürliche Trocknung unter der Dachhaut in sechs bis sieben Jahrzehnten hat diese soliden Träger derart gehärtet, dass handelsübliche Baumarkt-Nägel des 21. Jahrhunderts leider jäh einknicken, sobald man probiert, sie in das feste Holz zu schlagen. Schindel-Dachdeckermeister Nelu aus Rucăr, der an die 60 Jahre alt sein mag, hält nicht viel von den industriell produzierten Nägeln. „In Form gepresster Draht.“ Ohne sie wiederum wäre es aber auch nicht machbar, die Leaota-Hütte binnen nur drei Wochen von dem Blechdach zu befreien und es vollständig durch neue Schindeln zu ersetzen.

Ein Tanz auf Messers Schneide

In Hoffnung auf bessere Zeiten erteilt Jan Hülsemann Anweisung, die vorerst ausgedienten Querlatten im Dachboden der Hütte zu verstauen. Was wegen ihrer Länge nur von außen über eine Türe im Balkon möglichst ist, und, ja, auch mir Quereinsteiger ein paar Stunden Krafttraining verpasst. Beim Anpacken vermute ich, dass der Wahlspruch „Eroii nu mor niciodată!“ (Helden sterben nie) über dem hochgereckten Fingerpaar inmitten der Zahl 89 – als schwarzweißer Aufkleber an mehreren Türen und Fenstern der Hütte zu finden – abseits all der politischen Wunschkonzerte eben nicht nur unter Bergfreaks zählt, sondern auch altem Rohmaterial gilt. Wer weiß denn schon, ob die Machart steinharter Nägel, die in mühsamer Arbeit Stück für Stück gegossen wurden und worauf vor allem Roma sich mal bestens verstanden, irgendwann nicht wieder unverhoffte Hochkonjunktur erlangt?

Unter den vom Aussterben bedrohten Berufen, für die in der urigen Leaota-Hütte das letzte Stündchen noch lange nicht geschlagen hat, ist unbedingt auch die Stellenbeschreibung eines pflichtbewussten Ofensetzers zu nennen. Vier Kachelöfen bullerten ehemals in drei Gemeinschaftsschlafräumen und im Speisesaal, wovon nur noch zwei intakt stehen. Ein dritter weist starke Bruchschäden auf, während der vierte von Freiwilligen der „Ambulan]a pentru Monumente“ sauber zerlegt wurde. Am schrägen Platz vor der Hütte übrigens haben dieselben Nachwuchs-Architektinnen auch einen im Boden verankerten Esstisch perfekt waagerechter Fläche gezimmert, und gekocht wurde in täglich wechselndem Schichtdienst unter dem Terrassenvordach mit frischen Vorräten, die für die Dauer des Zeltlagers im einzig erhaltenen Küchenschrank der Behausung gelagert waren. Ein in einheimischen Sommerküchen üblicher Gaskocher und das Wasser der Quelle im Nadelwald taten ihr Übriges.

Onkel Nelu, der schon zwei Bandscheiben-OPs an sich geschehen lassen musste, meidet den Regen wie der Teufel das Weihwasser. Noch beim ersten Tropfen unterbricht er das Arbeiten und steigt vom Dach herunter. Der Kälte, die sich mit der Nässe auf seinen Rücken legen würde, möchte er sich nicht mehr länger aussetzen und es strikt vermeiden, sein Kreuz zum bereits dritten Mal vom Neurochirurgen behandeln lassen zu müssen. „Ab dann wäre echt Sense mit Arbeiten.“ Jan Hülsemann, der aus einem viel stärkeren Sozialstaat kommt, bewundert er. „Siebzig und noch so munter im Schuss? Alle Achtung!“

Dennoch: das Tempo, das die Schindel-Dachdeckenden aus Rucăr bei aller gesundheitlichen Vorbelastung ihres Chefs vorlegen, lässt dem wöchentlich wechselnden Freiwilligen-Team der „Ambulan]a pentru Monumente“ keine Ruhe. Ohne neu aufgezogene Querlatten keine Schindeln, so einfach ist die Rechnung. Im Trio geben Onkel Nelu, sein Sohn und sein Neffe nicht viel auf den Stundenplan der „Ambulan]a“, der um 8 Uhr zum Frühstück ruft. Sie klettern gerne als Erste auf das Dach der Leaota-Hütte und verlassen es als Letzte. Schließlich muss das Ding ja auch mal fertig werden. „Eroii nu mor niciodată!“