Boykott

Zugebissen

Das Jahr 2022 ist zu Ende. Ein guter Indikator für das, was dieses Jahr geprägt hat, ist das sogenannte Wort des Jahres. „Zeitenwende“ ist das Wort des Jahres 2022. Als Begründung für die Wahl wurde der Einfall Russlands in die Ukraine angeführt, welcher auf vielen Ebenen einen Paradigmenwechsel mit sich gebracht haben soll.

Durch das Wort des Jahres sollen „Wörter und Wendungen, die das politische, wirtschaftliche und  gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben“ hervorgehoben werden, kann man der Homepage der Gesell-schaft für deutsche Sprache e.V. entnehmen, die mittels einer Jury jedes Jahr die entsprechende Auswahl trifft.  Mir scheint jedoch, dass „Boykott“ das Wort ist, welches dieses Jahr am besten zusammenfasst. Das ganze Jahr waren wir damit beschäftigt, etwas zu boykottieren. Und wer nicht boykottierte, war nicht auf dem Laufenden und fast nicht von dieser Welt.

Anfang des Jahres boykottierten Corona-Skeptiker die Impfung und das Tragen der Maske, um ihrerseits von den Befürwortern der Impfung boykottiert zu werden.

Dann kam der Einfall in die Ukraine und wir boykottierten russisches Öl und Gas, russische Produkte, ja sogar die Russen selber und ihre Kultur. Ich bin mir sicher, dass sie durch den ihnen in etlichen europäischen Kultureinrichtungen auferlegten Boykott von Puschkin, Tschechow, Tschaikowsky usw. ihre Fehler eingesehen haben.

Nicht besser erging es Karl May, der seinerseits, natürlich mittels Boykott, posthum „erfahren“ musste, dass niemand so sehr wie er die amerikanischen Ureinwohner gekränkt hat.
Die Energiekrise brachte uns dann den Boykott der Energieunternehmen. Diese wurden so sehr boykottiert, dass die meisten größere Profite verbuchten als in den letzten drei Jahren. Aber man stand auf den Barrikaden mit der nackten Hand im Wind und machte seine Stimme stark, denn man wirkte aktiv an der Änderung der Welt mit.      

Dann sollte die WM boykottiert werden. Rumänien war sich dessen so sehr bewusst, dass es sich aus lauter zivilgesellschaftlichem Engagement gar nicht qualifizierte und die verfrühte, dem Boykott zu verdankende Abreise der deutschen Nationalmannschaft aus Katar konnten wir auch live erleben. Dieses alles, nachdem ja schon erfolgreich die Olympischen Winterspiele in China im Februar 2022 boykottiert wurden.  

Auf politischer Ebene wird durchgehend verlangt, dass die Gegner boykottiert werden. Wenn nicht aktiv im Alltag, dann wenigstens bei den Wahlen, und sogar diese könnte/sollte man, so mancher Verlautbarung nach, boykottieren.

Da die rumänische Außenpolitik massiv versagt hat, was zu einer Verschiebung des Schengen-Beitritts unseres Landes geführt hat, sollen nun österreichische und niederländische Banken und Unternehmen boykottiert werden. Ja, man soll sogar dem österreichischen Wintertourismus massiv zusetzen, indem man die Skipisten des Alpenlandes boykottiert.   

Die sozialen Medien sind von vornherein zu boykottieren (zurzeit insbesondere Elon Musk und Twitter). Und diesen Boykott macht man am besten mittels derselben bekannt, denn die Welt muss wissen, was und dass man boykottiert.   

Auf der Homepage ethicalconsumer.org wurde und wird uns eine ganze Liste an Unternehmen angeboten, die boykottiert werden sollten. Zu diesen gehören: Amazon, Axa, Air France, Coca Cola, Facebook u.v.m. In der Liste ist es wie im Supermarkt, jeder kann etwas finden, was er boykottieren möchte und es sich dann groß auf die „ethische Flagge“ schreiben.  

Mit dieser längst nicht allumfassenden Liste in der Hand muss ich feststellen, dass ich eigentlich an keinem Boykott aktiv teilgenommen habe. Also könnte ich sagen, ich habe den Boykott als solchen boykottiert und dadurch meinen Beitrag geleistet. Es war ein gutes Jahr, wir können nur hoffen, dass auch 2023 genauso fleißig boykottiert wird.