Brauchen wir eine neue Kulturpolitik?

Ein informelles Treffen wurde zum Werkstattgespräch

Collage: Rege Gesprächsteilnahme | Fotos: Goethe Institut Bukarest

Joachim Umlauf: „gute Literatur wird gefördert, woher auch immer sie stammt“

„Brücke nach Europa“ / „Punte spre Europa“ – mit diesem Slogan betrieb das DFDR Wahlwerbung bei den ersten freien Wahlen 1990 nach der kommunistischen Wende. Und tatsächlich: Das DFDR hielt Wort und leistete anfangs beratende und auch administrative Unterstützung den eigenen rumäniendeutschen Mitgliedern gegenüber, die nach jahrzehntelangen Repressalien und Benachteiligungen Richtung BRD ziehen wollten und es auch taten. Die verbliebenen Bürger verstanden die Wahlwerbung im übertragenen Sinne und wählten in wachsendem Umfang das DFDR, das folglich in Hermannstadt/Sibiu bereits fünf Mal den Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin gestellt hat und inzwischen auch den Landespräsidenten. Alleine wegen der Brücke nach Europa? Gewiss nicht! 

Wohl aber wegen des „german spirit“, sowie des interkulturellen Dialogs. Welches ist dessen heutiger Stand? Welches sind die kulturellen Interferenzen bilateraler deutsch-rumänischer und rumäniendeutscher Kulturpolitik? Muss die Kulturpolitik lediglich aufgefrischt, erneuert werden, oder brauchen wir gar eine neue Kulturpolitik?

Als vor Pfingsten der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem mehrtägigen Besuch zu seinem rumänischen Amtskollegen Klaus Johannis kam, wurde er auch von einer kulturellen Delegation begleitet. Diese traf sich zu einem informellen Gespräch im Goethe-Institut Bukarest mit Akteuren des Kulturbetriebes vor Ort. Unter Moderation des Gastgebers Dr. Joachim Umlauf wurde am 24. Mai 2023 über den Stand der deutsch-rumänischen Kulturbeziehungen und die Perspektiven der zukünftigen Zusammenarbeit diskutiert. 

Zu den Gästen der Reisedelegation zählten der langjährige Kultur- und Europapolitiker insbesondere für deutsche Minderheiten, Dr. Bernd Fabritius, die Schriftstellerin Iris Wolff, der Rockmusiker und Betreiber eines Feriencamps für Waisenkinder Peter Maffay und der Literaturwissenschaftler Ernest Wichner – allesamt rumäniendeutscher Herkunft. Neben Dr. Klaus Fabritius von Seiten des DFDR Altreich beteiligten sich die Rektorin des Neuen Europa-Kollegs und Musikwissenschaftlerin Valentina Sandu-Dediu, Performancekünstlerin und Theaterexpertin Roxana Lapadat, die Germanistikprofessorin Iliana-Maria Ratcu und der Romancier Norris von Schirach (zuletzt auch in rum. Übersetzung erschienen: „Beutezeit“) an der Diskussion. Es war also eine Runde mit besten Voraussetzungen für die unterschiedlichen Kulturbereiche bei einem Gastgeber mit entsprechender Tradition: Vor rund 42 Jahren veranstaltete das Goethe-Institut in Bukarest unter Leitung von Uwe Martin ein internationales Celan-Kolloquium, das die Wende in Celans Rezeption bewirkt hat. Darauf Bezug nehmend präsentierte unlängst Ernest Wichner auf der Leipziger Buchmesse die deutsche Übersetzung eines Sachbuches über Celans „rumänische Dimension“. Das ist insgesamt ein gutes Beispiel enger deutsch-rumänischer wie auch rumäniendeutscher Kulturbeziehungen. Solche gilt es, von institutioneller Seite, gezielter zu berücksichtigen.

Wichtig ist zu bedenken, dass sich unter den Rumäniendeutschen ein Generationswechsel andeutet. Der Erlebnisgeneration folgen jüngere Leute mit breitgefächerten Möglichkeiten in einer modernen Welt, die für Rumänien als Kulturraum, aber auch für dessen Sprache verstärkt begeistert werden müssen. Rumänisch zählt, anders als z. B. Französisch und Englisch, zu den sogenannten kleinen Sprachen, für die im Bereich literarischer Übersetzungen Handlungsbedarf besteht und Überzeugungsarbeit bei den Verlagen erforderlich werden lässt. Umgekehrt gibt es viele Rumänen, die sich für die deutschsprachige Literatur interessieren. Mit anderen Worten: „Das ist ein Patchwork“, erklärt Joachim Umlauf auf Anfrage für die ADZ, da zusammenwirkende Interessen nicht mehr trennbar sind und es auch nicht sein sollen. Insofern gibt es klare Überlappungen deutsch-rumänischer Kulturbeziehungen zusammen mit Rumäniendeutschen, aber eben nicht exklusiv. Das sei durchaus vergleichbar mit dem sozialen Engagement von Peter Maffay: Er wirkt in seiner angestammten Heimat, aber eben nicht nur für eigene Landsleute, sondern für alle, die Interesse und Bedarf haben.

Bernd Fabritius hingegen sieht sein Engagement über Maßnahmen zur Fortbildung von Deutsch als Fremdsprache hinausgehend auch für schulische Ausbildung von Deutsch als Muttersprache. Beides sei förderwürdig und zwar nicht im Wettbewerb miteinander. Darauf für die ADZ angesprochen fasst Bernd Fabritius zusammen: „Auch die deutschen Minderheiten sind Akteure der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Auch sie transportieren ein Deutschlandbild, auch sie transportieren deutsche Kultur in fremde Gesellschaftsstrukturen hinein.“

Das Goethe-Institut stemmt viele eigene Maßnahmen und Projekte, arbeitet aber auch mit externen Partnern zusammen, deren Kulturmaßnahmen gefördert werden. Der Praxistest zeigt es: Im deutschen Kulturzentrum Klausenburg/Cluj-Napoca fand – entsprechend gefördert – unlängst der Workshop für literarische Übersetzungen „viceversa“ statt. Darauf angesprochen erklärte die Teilnehmerin Daniela Boltres (gebürtige Zeidnerin in Berlin), dass eine solche Veranstaltung jährlich sinnvoll wäre. Demgegenüber stand in der Gesprächsrunde des Goethe-Instituts Bukarest mit der Kulturdelegation aus Deutschland noch das gegenseitige persönliche Kennenlernen im Vordergrund – aber nicht nur.

Ernest Wichner beispiels-weise, dessen Übersetzung von Norman Manea „Der Schatten im Exil“ eben bei Hanser erschienen ist, widmet sich weiterhin der eta-blierten rumänischen Literatur. Unlängst erschien zu-dem seine eigene, vielbeachtete Lyriksammlung bei Schöffling. Bereits im Herbst dieses Jahres wird sich ganz konkret zeigen, ob seine gemeinsam mit dem Goethe-Institut Bukarest angedachten Maßnahmen zusammen mit weiteren Partnern umsetzbar sind.

Kritische Stimmen gibt es von außen aber auch. Gerade aus der gleichen Region stammend und im gleichen Alter wie Ernst Wichner bemängelte Anfang Juni der Schriftsteller Horst Samson („Der Tod ist noch am Leben“, erschienen im Pop-Verlag, 2022)  mehrfach in den sozialen Netzwerken die Kooperationsbereitschaft des Goethe-Institutes Bukarest. Er meint: „Auf jeden Fall fällt das Goethe-Institut Bukarest dadurch auf, dass es seit Jahrzehnten rumäniendeutsche Literatur rassistisch und in penetranter Ignoranz als nichtdeutsche, vielleicht sogar als „undeutsche“ Literatur ausgrenzt und für deren Verbreitung nichts Nennenswertes tut, es sei denn, sie zu unterdrücken!“ Wie begegnet man Kritik solcher Art? Joachim Umlauf stellt dazu fest, dass man auf solche Art von Kritik kaum reagieren kann. Ansonsten interessiere er sich für gute Literatur und die wird gefördert, woher auch immer sie stammt. Unter seiner Ägide erschien 2022 eine Anthologie zeitgenössischer deutscher Lyrik in rumänischer Übersetzung, worin beispielsweise zwei noch recht junge Autoren Berücksichtigung finden: Alexandru Bulucz (geb. in Siebenbürgen), der inzwischen DLF-Preisträger beim internationalen Bachmanwettbewerb 2022 ist und Yevgeniy Breyger (geb. in der Ukraine), der inzwischen diesjähriger Favorit beim gleichen deutschsprachigen Literaturwettbewerb ist. 

Mit Joachim Umlauf kommt man auch persönlich leicht ins Gespräch. Was würde er, der in der Erwachsenenbildung tätig ist, jungen Leute heute raten? Aus eigener Erfahrung erzählt er: Ein Literaturstudium mit den Fächern Germanistik und Romanistik, im Rahmen der Promotion Expertise erlangen und via DAAD die Welt erkunden. Das wird nie langweilig und wer weiß – vielleicht landet man in Osteuropa oder gar in Rumänien, wo es ganz gewiss literarische Vielfalt gibt, aber wenig Buchverkäufe – ein breites Betätigungsfeld. 

Das sieht auch Iris Wolff ähnlich, die Teil der Kulturdelegation war. In ihrem letzten Roman vernetzt sie nämlich das Schicksal der Deutschen, aber auch Rumänen im Banat mit jenen in Siebenbürgen und bringt Menschen über Grenzen hinweg zusammen. Sie gehört zur neuen Generation jener, die ihre alte Heimat eher aus dem Elternhaus kennen, spürt den früheren Geschehnissen nach und engagiert sich weiterhin direkt: Im Herbst präsentierte sie als Gast des inzwischen international etablierten Literaturfestivals FILIT in Jassy/Iași die rumänische Ausgabe ihres letzten Romanes („Lumea estompata“, editura Lebada neagra) und trat vor Ort in regen Austausch mit anderen Literaten. Auch ist sie gelegentlich als Dozentin für Kunst und literarisches Schreiben tätig.

Und genau darum geht’s bei rumänisch-deutschen Kulturbeziehungen in Zusammenarbeit mit Rumäniendeutschen auch: Literatur- und Sprachvermittlung, bidirektionale literarische Übersetzungen, Erinnerungen aus dem Elternhaus auf-, aber auch fiktional fortschreiben, in Verse fassen, die Geschichten von Menschen aufleben und neu entstehen lassen, Perspektiven neu entwickeln, (Kultur-)Beziehungen ausbauen und festigen – gemeinsam mit jenen, die heute in der alten Heimat leben. Denkbar ist, im Rahmen des groß angelegten Heimattreffens in Hermannstadt im kommenden Jahr, auch einen Workshop für literarisches Schreiben und Übersetzungen zu organisieren. Angeleitet beispielsweise von den bereits erwähnten Iris Wolff (Prosa) und Alexandru Bulucz (Lyrik) aber auch dem Wissenschaftler (ULBS) und Schriftsteller Radu Vancu (zuletzt: „Kaddish“, Editura Max Blecher) und anderen etablierten Schriftstellern Hermannstadts unter Moderation einer Pädagogin und Germanistin wie Andrea Dumitru („Momentaufnahmen – Zu den Schriften von Eginald Schlattner“, Honterus, 2022) neue Texte in zwei Sprachen entstehen zu lassen, inspiriert von der historischen Altstadt Hermannstadts oder typisch sächsischer wie rumänischer Bauerngehöfte im Freilichtmuseum „Astra“. Das ist ein prädestiniertes Beispiel für Maßnahmen im Sinne rumänisch-deutscher Kulturbeziehungen unter rumäniendeutscher Mitwirkung – für alle.

Brauchen wir dafür eine neue Kulturpolitik? Oder reicht zusätzlich zu Brauchtumspflege und Volkskunst eine angepasste Kulturpolitik? Angepasst an das Zeitgeschehen, angepasst an Interessen aller Akteure. Themen gibt es. Interessenten sind da. Akteure sind da. Institutionelle Unterstützung kann folgen. Jenseits von engen Förderregularien und Budgetkürzungen muss dafür ein Weg gefunden werden. Gemeinsam mit Kulturakteuren und dem regionalen DFDR-Vertreter haben Bernd Fabritius und Joachim Umlauf ergebnisoffen und in bester Werkstattmanier Gespräche geführt. Das macht Hoffnung.