Chilli – ein Helfer auf vier Pfoten

Der Begleithund ist seit kurzer Zeit das „Augenlicht“ von Simona Smultea

Simona Smultea und ihr Begleithund Chilli bilden seit diesem Sommer das sogenannte „ChilliSimo”-Duo. Die beiden kämpfen gegen Vorurteile und Diskriminierung im Alltag.

Die „Light into Europe”-Stiftung vermittelt u.a. den Zugang zu Begleithunden für Menschen mit Sehbehinderung in Rumänien. Fotos: Light into Europe Charity

Es ist ein heißer Sommertag. Simona und Chilli haben sich im Schatten eines Baumes, am Rande des 700er Marktplatzes, auf dem Gehsteig neben der Taxi-Stelle, vor den starken Sonnenstrahlen versteckt. Hier ist der Asphalt kühler und Chilli wartet hechelnd brav neben Simona. Sein Blick wendet sich nie vor seiner Herrin ab. Er ist immer aufmerksam. Auch wenn er sich ausruht, berührt sein Körper ständig den Körper von Simona. Chilli ist ein schwarzer Labrador Retriever und seit wenigen Wochen der Begleitführhund von Simona Smultea, eine junge blinde Frau aus Temeswar/Timișoara. 
Vor einer Minute sind die beiden aus einem Taxi ausgestiegen und warten nun auf mich. Zusammen wollen wir ins West City Radio am Temeswarer Freiheitsplatz gehen. Dort wird Simona Smultea ihre Geschichte und die ihres Begleithundes Chilli erzählen. Wir treffen uns. Chilli schaltet plötzlich auf „Action-Modus“. Auch wenn der Drang, ihn zu streicheln und mit ihm zu reden groß ist, muss ich mir das verkneifen. Chilli ist im Einsatz, das heißt, seine Aufmerksamkeit soll hundertprozentig auf das gesamte Umfeld fokussiert sein und auf die Befehle von Simona. Zusammen starten wir nun in Richtung Freiheitsplatz. 


Der Alltag ist für Sehbehinderte in Temeswar gar nicht freundlich. Schon bei der ersten Ampel gibt es Probleme. Chilli kann keine Farben sehen. Ob die Ampel grün oder rot zeigt, kann der Hund nicht wahrnehmen. Die Ampel hier, gegenüber dem Militärkrankenhaus, hat kein akustisches Signal und am Rande des Gehsteiges gibt es auch keinen taktilen Bodenindikator. Simona und Chilli sind deswegen fast vor ein fahrendes Auto auf die Straße getreten. Nachdem sie die Straße überquert haben, gibt es weitere Probleme: Auf dem Gehsteig wird gearbeitet. Der Asphalt wurde entfernt, Sand und Kieselsteine bringen Simona zum Stolpern. Wenige Meter weiter ist der Gehsteig komplett blockiert. Ein Gerüst für die Fassadensanierung eines Gebäudes erschwert das Vorbeigehen. So muss Chilli Simona einen neuen Weg zeigen. Diesmal zwischen den Straßenbahngleisen. In der Ferne kann man fahrende Straßenbahnen hören. Ganz schüchtern und beängstigt folgt Simona ihrem Hund. Schließlich sind sie vor dem Radiogebäude, dem der ehemaligen ungarischen Bank und dem Franziskaner-Kloster, angekommen. Hier stehen sie vor einer neuen Herausforderung. Im historischen Gebäude funktioniert der alte Aufzug nicht. Die drei Stockwerke mit vielen schmalen Treppen müssen sie selber hochsteigen. Langsam, aber präzise stellt sich Chilli vor die erste Stufe. So gibt er Simona das Signal, es folgen Treppen. Langsam wartet der Hund Stufe für Stufe, dass Simona ihm folgt. Das Geländer hilft Simona auch, zu erspüren, in welcher Richtung die Treppen führen und wann diese enden. Nach wenigen Minuten erreichen die beiden die dritte Etage und den Sitz des lokalen Radiosenders. 

Völlig erschöpft bekommt Chilli nun seine Belohnung. „Good boy, Chilli!“,     lobt ihn Simona auf Englisch. „Du kannst nun ´chillen´“, scherzt die junge Frau, indem sie ein Wortspiel mit dem Namen ihres Hundes macht („to chill“ bedeutet auf Englisch, „sich entspannen“). 

„Ich kann mich nun auch entspannen“, sagt Simona. „Durch die Stadt zu gehen, ist für mich sehr anstrengend. Vor allem wenn es um noch unbekannte Routen geht. Chilli hilft mir, durch die Stadt zu laufen, doch wir sind immer noch in der Anpassungsphase. Ich sollte mich total von ihm leiten lassen, aber ich kann mich nicht total von allem, was um mich ist, lösen. Das ist noch alles neu und sehr anstrengend für uns beide“, verrät Simona Smultea. 

Vom Radio ist sie eingeladen worden, um über ihre Sehbehinderung, aber vor allem über ihren neuen Freund auf vier Pfoten zu reden, denn Chilli ist der erste europaweit akkreditierte Begleithund in Temeswar. Seit kurzer Zeit bilden die beiden ein Team. Zusammen lernen sie nun die Stadt kennen. Mit Hilfe von Chilli möchte Simona leichter im Alltag zurechtkommen. Doch die blinde Frau begegnet nun einer neuen Form von Diskriminierung. Manche Lebensmittelläden und sogar Fahrer und Kontrolleure des Temeswarer Nahverkehrbetriebs verweigerten ihr und Chilli den Zugang. „Man hat mir gesagt, ich darf mit einem Hund ohne Maulkorb nicht mit dem öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass das bei Begleithunden ganz anders ist als bei Gesellschaftshunden. Maulkörbe sperren die Sicht und lenken den Geruchssinn des Hundes ab. Chilli wird jedoch an der Leine geführt und trägt in der Öffentlichkeit eine Maulschlaufe. Bis ich all das zu erklären versuchte, ist der Trolleybus einfach davon gefahren“, erzählt Simona Smultea. Nun kämpfen die beiden für ihre Rechte, denn Begleithunde haben laut nationalen und internationalen Gesetzen überall Zugang. 

Blinden- und Assistenzhunde dürfen überall hin

Die Begleithunde von Blinden oder Behinderten im Allgemeinen haben besondere Rechte. Sie dürfen ihre Menschen überall in öffentliche Stätten wie Museen, Theater, Restaurants und Cafés, öffentliche Verkehrsmittel und Lebensmittelläden oder selbst ins Krankenhaus begleiten. 

Simona Smultea ist 34 Jahre alt und hat ihr Augenlicht wegen einer Netzhautablösung nach ihrem 18. Lebensjahr im Laufe der Jahre verloren. Bis die komplette Blindheit einsetzte, konnte sich die in Terregowa/Teregova (Verwaltungskreis Karasch-Severin) geborene Frau langsam an ihr neues, lichtloses Leben anpassen. Bei allem, was sie von diesem Zeitpunkt an machte, hatte sie ihre Behinderung im Hinterkopf. Sie studierte Physio- und Kinesiotherapie an der Medizinuniversität in Temeswar, denn sie wusste, dass sie so weiterhin arbeiten konnte. Seit mehreren Jahren ist sie Mitglied und Vizepräsidentin des Vereins „Ceva de Spus“ in Temeswar. Der Verein besteht aus Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderungen, die sich somit selbst vertreten und um ihre Rechte kämpfen. 

Die Sehbehinderung legte Simonas Energie nie lahm, sondern sie ist weiterhin sehr aktiv im Alltag. Sie studierte Musik an der Kunstvolkshochschule Temeswar und singt gern rumänische Folklore, aber auch Popmusik. Vor einem Jahr nahm sie an der rumänischen Musikshow „X-Factor“ in Bukarest teil.

2017 hat Simona Smultea sogar zwei Qualifikationen im Bereich der Weinverkostung seitens des Wine&Spirit Education Trusts (WSET) gemacht. Dies ist der weltweit führende Anbieter von Qualifikationen im Bereich Weine und Spirituosen. Vor fünf Jahren hielt sie eine sogenannte „blinde Führung“ durch den wohltätigen Weinsalon RoVinHud in Temeswar. Dabei erzählte sie Interessenten über das Weinverkosten und die vorhandenen Weinsorten bei der damaligen Messe. Das Einkommen von RoVinHud wird exklusiv für die Programme für behinderte Menschen des Vereins „Ceva de Spus“ ausgegeben. Die kommende Ausgabe des Salons wird zwischen dem 5. und 7. November ausgetragen. 

Anfang des Jahres half Simona auch bei der Inszenierung des ersten Theaterstücks in Temeswar für Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen. Die Bühnenaufführung für blinde, sehbehinderte und gehörlose Menschen, „Schmetterlinge sind frei“ (Originaltitel: Butterflies Are Free) von Leonard Gershe, wurde vom unabhängigen Temeswarer Theater Basca inszeniert. Als Mitinitiatorin des Projekts hat Simona Smultea bei den Proben gesessen, mit der Regisseurin und den Schauspielern gesprochen und ihnen erklärt, dass sie an bestimmten Stellen beispielsweise ihren Sprechrhythmus etwas bremsen müssen, damit der „Erzähler“ Zeit hat, zu schildern, was sich auf der Bühne zuträgt oder welche Geste lustig rüber kommt (die ADZ berichtete). 

Am aktuellen Wochenende werden Simona und Chilli beim Worldmusic Festival „PLAI“ auf dem Gelände des Banater Dorfmuseums in Temeswar dabei sein. Am Samstag und Sonntag wird sie tagsüber auf dem Festival einen Workshop halten und erzählen, wie ein Begleithund wie Chilli „arbeitet“ und was sie wissen müssen, wenn sie Blindenhunden im Alltag begegnen. 

Alles, was Simona Smultea bisher getan hat, diente dem Ziel, ihre Unabhängigkeit wieder zu gewinnen. In der Zwischenzeit haben Simona und Chilli mehrere Routen gelernt. Sie versuchen, so viel wie möglich alleine durch die Stadt zu streifen. Wenn es nicht zu Fuß geht, dann versucht Simona immer noch, das öffentliche Verkehrsnetz zu meiden und ruft ein Taxi. Auch hier muss sie noch mit Diskriminierung kämpfen, denn viele Taxifahrer wollen sie mit Hund nicht mitnehmen. Der Hund würde das Auto schmutzig machen, heißt es. „Ich versuche immer wieder, zu erklären, dass Chilli ein sehr guterzogener Hund ist und dass er gut gepflegt ist. Ich halte ihn sauber, habe immer eine Tüte für seine Exkremente dabei und im Auto sitzt er immer an meinen Füßen und nicht auf der Sitzbank“, erklärt Simona. 

Ein akkreditierter Hund

Chilli ist vom European Guide Dog Federation (Europäischer Verband für Begleithunde) akkreditiert. Zugang zu Chilli bekam Simona durch die rumänisch-britische Stiftung „Light into Europe Charity” in Bukarest. Die Stiftung hilft blinden und gehörlosen Menschen in Rumänien, durch Blindenführhunde, rumänische Gebärdensprache und pädagogische Unterstützung, ein unabhängiges Leben zu führen. 

„Das Programm mit Bildenführhunden wurde von der Stiftung im Jahr 2009 ins Leben gerufen, damit wir blinden Menschen Autonomie und Unabhängigkeit bieten. Heute haben wir 56 solche Hunde. 33 davon sind schon im Einsatz. Die anderen befinden sich in verschiedenen Phasen der Vorbereitung oder der Anpassung mit ihren Schützlingen”, erklärt Camelia Platt, die Geschäftsführerin von „Light into Europe”. Die Kosten für die Erziehung, Vorbereitung, Gesundheit und Ausrüstung eines Begleithundes werden vollständig vom Verein getragen. 

„Die Stiftung ist nicht nur für ihr Blindenführhunde-Programm bekannt, sondern auch für die Entwicklung eines integrierten Servicesystems für Kinder und Jugendliche mit Seh- oder Hörbehinderungen. Unser Ressourcen- und Servicezentrum in Bukarest fungiert als Drehscheibe für unterstützende Dienstleistungen, von Kursen zum Erlernen der Gebärdensprache für Gehörlose, Zugang zu Lehrbüchern für sehbehinderte Schüler, Aktivitäten für ein selbstständiges Leben, Orientierung und Mobilität, Vorbereitung für den Arbeitsmarkt sowie Behindertenbildung und Inklusionskurse für Unternehmen und Behörden”, schließt Camelia Platt. 

Menschen, die Hilfe benötigen oder die Aktivitäten der Stiftung unterstützen möchten, können auf der Facebookseite „Light into Europe Charity” oder via E-Mail, office@lightintoeurope.org mehr darüber erfahren.