Colectiv-Regisseur Nanau zu Gast bei Hermannstädter Gesprächen

„Rumänien ist lediglich eine Metapher für ähnliche Geschehnisse überall auf der Welt“

Hermannstadt – Im Oktober und November 2015 erschütterte der Brand im Bukarester Nachtclub Colectiv das politische und gesellschaftliche Leben des Landes. Während eines Konzertes am Abend des 30. Oktobers bricht ein Feuer aus, welches umgehend 27 Besucher tötet. Weitere 37 Menschen sterben in den folgenden Wochen, die meisten allerdings nicht an den Folgen ihrer Brandverletzungen, sondern aufgrund von Infektionen mit multiresistenten Keimen.

Bereits kurz nach dem Brand war der Regisseur Alexander Nanau mit seinem Team vor Ort in Bukarest. Von einer Tragödie in einem Nachtclub entwickeln sich die Geschehnisse in den kommenden Wochen und Monaten zum wohl größten Korruptionsskandal der vergangenen Jahre. Denn die Investigativjournalisten um C˛t˛lin Tolontan stoßen auf enge Verstrickung von Gesundheitssystem, Politik und Geheimdienst zum Nachteil der Bevölkerung in Rumänien.

In dieser Woche hat Alexander Nanau die Nachricht erhalten, dass sein Film in gleich zwei Kategorien für einen Academy Award der US-amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Sciences nominiert wurde. Hoffnung auf einen „Oscar“ darf sich der 41-Jährige und sein Team in den Rubriken „Beste Dokumentation“ und „Bester fremdsprachiger Film“ machen.
Bereits am 19. Februar 2020 wurde „Colectiv“ das erste Mal in Hermannstadt aufgeführt. Anwesend war im Rahmen der Vorpremiere auch Nanau persönlich. Und etwas mehr als ein Jahr später, am 13. März 2021, konnte eine kleine Auswahl an Hermannstädtern den Regisseur erneut begrüßen. Denn das Institut für Auslandsbeziehungen hatte zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Colectiv. Tödliche Verflechtung von Politik und Gesundheitssystem“ eingeladen. Moderiert wurde die Veranstaltung im Spiegelsaal des Demokratischen Forums von Aurela Brecht (ifa) und Raimar Wagner (Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit). Ebenfalls zu Gast war der Regisseur Günther Czernetzky.

Zu den Hintergründen zu seinem Film erklärte Nanau, dass nach dem Brand eine programmatische Manipulation durch die Politiker begann, die gesagt haben, dass das rumänische Gesundheitssystem auf höchstem europäischen Standard arbeitet und die Brandopfer behandeln kann. „Das das eine Lüge war, war natürlich ganz klar. Dass es ein Verbrechen war, war mir noch klarer, als ich erfahren habe, dass viele Eltern ihre Kinder hätten ausfliegen lassen können, aber von den Managern in den Spitälern, den behandelnden Ärzten und dem Gesundheitsminister aufgehalten wurden.“

An dieser Stelle wollte Nanau den Film machen, um zu verstehen, wie korrupte Macht im Verhältnis zu den Bürgern funktioniert. „Denn zu diesem Zeitpunkt hat die gesamte Presse versagt, die nur propagiert hat, was die Politiker und die Leute aus dem Gesundheitswesen vorgegeben haben.“ Allein das Team um C˛t˛lin Tolontan habe sich Recherchen zu den Hintergründen angenommen und dabei zunächst einmal die Lügen der Feuerwehr aufgedeckt und schließlich herausgefunden, dass das Krankenhaus für Brandverletzte eigentlich gar nicht funktioniert. „Und da sind wir auf die Idee gekommen, dass der beste Weg wohl über diese Investigativjournalisten gehen würde, wenn wir einen Dokumentarfilm im beobachtenden Modus über die Gesellschaft machen wollen.“

Ein Geschenk für Nanau und schließlich auch den Zuschauer war auch die Offenheit von Vlad Voiculescu, der das Gesundheitsministerium zwischenzeitlich übernommen hatte, da Patriciu Achimaș-Cadariu im Zuge des von Tolontan aufgedeckten Skandals um verdünnte Antiseptika zurücktreten musste. Voiculescu war der Ansicht, dass die Bürger genau wissen sollten, was im Ministerium geschieht und warum entsprechende Entscheidung getroffen wurden, erzählt Nanau. „Wir haben abgemacht, dass ich alles drehen kann und es gab im Ministerium natürlich viele Stränge, die wir verfolgt haben. Was es schließlich in den Film geschafft hat, ist der Teil, der aus meiner Sicht authentisch erzählt, wie die Arbeit in der Zeit von Voiculescu und seinem Team funktioniert hat.“

Aus den Reaktionen zu seinen Film, so Alexander Nanau zum Abschluss des Gesprächs, schließe er, dass „Rumänien“ lediglich eine Metapher für ähnliche Geschehnisse überall auf der Welt ist. „Die Korruption der Mächtigen, die Presse, die Whistleblower. Die britische Presse berichtet täglich über die Korruption der aktuellen Regierung und den Geldern, die während der Pandemie rausgeschmissen wurden – und Deutschland das Gleiche. Egal wo wir den Film gezeigt haben, die Leute hatten die gleiche Reaktion wie in Rumänien. Sie vertrauen den Mächtigen nicht mehr und brauchen die Presse und wollen ihr vertrauen können, um zu verstehen, was in ihrer Gesellschaft passiert und auch wieder die Kontrolle zu gewinnen.“