Copy/Paste oder die unendliche Geschichte

Zur Plagiatsdebatte in unserer Gesellschaft / Von der Sekretärin zum Rektor

Symbolbild: sxc.hu

Der ganze Rummel um das Plagiat, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, ein Medienspektakel, angeheizt, verheizt und verschlissen von Presse, Rundfunk, vor allem vom Fernsehen, das, als wichtiges Detail, wie Salz und Pfeffer im Essen als Hauptdarsteller unbedingt bekannte bis berühmte Persönlichkeiten unseres öffentlichen Lebens in den Vordergrund drängt.

Es ist bestimmt nichts Neues hierzulande wie auch in anderen Herren Ländern. Von vielen wird es auch heute eher als Kavaliersdelikt angesehen. Mit anderen Augen betrachtet, handelt es sich ganz einfach um einen Diebstahl wie jeden anderen. Nur muss man sich heute in unserem Land ernsthaft die Frage stellen, was noch als Diebstahl zu betrachten ist und was nicht.

Die letzte Masche ist nämlich die: Haltet die Diebe, schreien immer mehr und öfter die Diebe selbst. Und gar mit Erfolg. Alle Meinungsumfragen kommen zu mehr als besorgniserregenden Schlüssen: Im Volksmund heißt es nämlich, und es muss schon was daran sein, dass die großen Diebe in der Regierung, im Parlament, im Senat, in den Parteien, in den verschiedensten Staatsämtern, in der Polizei und in den Amtsgerichten zu suchen und zu finden wären. Und die Kleinen, die Hühner- und Taschendiebe, werden fast immer erwischt und mit langen Haftstrafen bedient, die Großen kommen meist ungestraft davon.

Dafür sorgt die Politik und  als letzte Instanz die Justiz: Selbst im Falle von Haftstrafen kommen solche Personen meist mit Strafen auf Bewährung ohne Strafvollzug davon. Es ist auch kein Wunder, dass trotz aller Anstrengungen und Aktionen aller rumänischen Regierungen nach der Wende die Grauzone zwischen legitim und illegitim immer größer und undurchsichtiger wurde, dass die EU die Justiz und die Korruption weiterhin als größte Hemmschuhe für ein wahres europäisches Rumänien ansieht.

Das Interesse für diese Plagiatsdebatte in unserer Gesellschaft scheint nicht so schnell abzuflauen. Da man damit die ohnehin skandalträchtige einheimische Politikszene betreten hat, da wir nun einmal in einer ständigen Wahlkampagne zu leben scheinen, wird sie auch so bald kein Ende finden.

Superlehrerin Lile: Von der Sekretärin zum Rektor

Im Rampenlicht steht selbstverständlich in dieser öffentlichen Debatte Premierminister Victor Ponta und sein Plagiatsvorwurf. Der neue, starke Mann in Rumänien, Leiter der PSD und der neuen USL-Regierungskoalition, wurde nämlich von der Ethik-Kommission der Uni Bukarest des Plagiats mit seiner rechtswissenschaftlichen Dissertation (Doktorvater war der inzwischen inhaftierte Adrian Năstase, ehemaliger PSD-Chef und Premierminister) angeklagt. U.a. hätte der Doktorand Ponta „massiv abgeschrieben“.

Der Ethik-Ausschuss des von seiner Parteikollegin Ecaterina Andronescu geleiteten Unterrichtsministeriums stellte dem Politiker jedoch prompt einen Persilschein aus. Nach den 2003 gültigen akademischen Vorschriften für Doktordissertationen wäre nämlich nichts Ungesetzliches geschehen, hieß es. Von einem Ende dieser Diskussion ist nicht abzusehen, da sich die Debatte zwischendurch seuchenartig in unserer Gesellschaft, nicht allein in  der  Politik,  ausgebreitet  hat.

So hat Mugur Ciuvică, Leiter der Gruppe für politische Untersuchungen GIP selbst Generalstaatsanwalt Codruţa Kövesi des Plagiats angeklagt. Kövesi hätte den Doktortitel 2011 an der West-Universität Temeswar erhalten, in ihrer Dissertation zum Thema Kampf gegen das organisierte Verbrechen jedoch nachweisbar stark aus Studien namhafter in- und ausländischer Fachautoren abgeschrieben, ohne deren Arbeiten in ihrer Dissertation zu nennen.

Des Plagiats angeklagt wurde auch der führende PDL-Politiker Vasile Blaga, seit Kurzem PDL-Parteichef. Die ganze Geschichte wurde von der Tageszeitung „Jurnalul National“ breit und mit pikanten Details dargestellt: Blaga, ehemaliger Senatsvorsitzender und zweiter Mann im Land, hätte in seinen Studien zu der Doktordissertation gemäß des Anti-Plagiats-Programms strikeplagiarism.com zu 33 Prozent Plagiat begangen. „Ja, es gibt Leute, die zeigen möchten, dass wir alle gleich sind, dass wir alle abschrieben,“ wehrte sich der Poltiker. Er hätte doch nur in seiner Eigenschaft als Doktorand drei Vorstudien zu seiner Doktorarbeit , also lediglich Arbeitselemente, präsentiert.

Weitere bewiesene, namhafte Plagiatoren aus unserer Politikszene: Corina Dumitrescu, Ioan Mang, beide als Unterrichtsminister nominiert. Man erinnert sich auch an den ehemaligen Gesundheitsminister Mircea Beuran. Er hatte aus einer in Frankreich 1992 erschienenen wissenschaftlichen Arbeit abgeschrieben und diese als eigene Arbeit in den USA veröffentlicht.
Ein interessanter Fall – wahrscheinlich nicht für lange Zeit, da sicher schon bald durch andere Fälle überboten – ist der des Plagiats von Prof. Dr. Ramona Lile, der frischgebackenen Rektorin der Arader Universität „Aurel Vlaicu“. Prof. Lile war lange Jahre hindurch ein Protegee der ehemaligen Rektorin Lizica Mihuţ. 

Prof. Dr. Mihuţ hatte an dieser Universität drei Amtsperioden hintereinander das Sagen gehabt. In diesem Jahrzehnt machte Frau Lile eine auch an hiesigen oft von Korruption  gekennzeichneten Hochschulen außergewöhnliche Karriere. Sie schaffte es in nur zehn Jahren an der Arader Uni von der unscheinbaren Sekretärin zur Rektorin.

Damit nicht genug: Sie veröffentlichte am laufenden Band in Rekordzeit insgesamt 35 wissenschaftliche Arbeiten und zahlreiche Universitätslehrgänge. Die aufstrebende Hochschullehrerin brach in der Obhut ihrer großen Gönnerin Mihuţ alle Rekorde an der Uni: Sie hielt eine Rekordzahl von Stunden pro Tag, desgleichen aber auch 400... Staatsarbeiten und Dissertationen in einem Jahr! Die schier unendliche Geschichte ist im Archiv des Unisekretariats weiterhin nachzulesen. Selbstverständlich kann sich jeder nach einer flüchtigen Dokumentation an der Uni ausrechnen, wieviel die Superlehrerin Lile eigentlich für ihre Arbeit von früh bis spät für das Wohl der Studentenschaft und der Universität verdiente. 

Der Fall Lile ist symptomatisch. Wenn man allgemein nach den Gründen für ein Plagiat sucht, entdeckt man in 99 Prozent der Fälle, dass es viel oder alles mit der Karriere zu tun hat. Es handelt sich um Zeitdruck, Streben nach Ansehen und Ruhm, aber auch nach Geld. Und bei Doktoranden gehts klar um arge Zeitnot, da sie auf den letzten Treppen vor dem Beruf und vor einer vielversprechenden Karriere stehen.

Die Arader Superlehrerin kümmerte sich kaum um fremde geistige Leistungen, die einfache Regel des Zitats oder die Verletzung von Autorenrechten. In ihrem Hochschulrausch schien sie alles einmal Geschriebene, alle Studien und Werke anderer Autoren als echtes „Freiwild“, als frei gewordene Ideen, zu betrachten.

So schaffte sie es, sich den ganzen Band eines Fachmanns samt Hochschulkollegen anzueignen: Sie veröffentlichte die Studie „Strategisches Management“ unter ihrem Namen im Guttenberg-Verlag Arad 2011. Eine genauere Analyse dieses auf den ersten Blick soliden wissenschaftlichen Werks mit umfangreicher Bibliografie lässt den Leser jedoch einen groben Diebstahl entdecken: Ganze Kapitel dieses Buches kann man in dem Band „Strategisches Management“, Editura Economică Bukarest 2004, von Ion Popa, fast Wort für Wort nachlesen.

Wie gesagt: Es ist nichts Neues. Das Plagiat ist so alt wie die Menschheit, was aber auch nicht als Entschuldigung gelten und zu einer Verharmlosung führen darf. So erinnert man sich an den großen deutschen Dichter Bertolt Brecht, der in seiner Dreigroschenoper Verse eines anderen Großen, des Barden François Villon, verwendet hat.

In der Musik hat das vor allem zu berühmten Skandalen geführt, ein Rechtsstreit kann zu Pleiten oder Entschädigungen in Millionenhöhe führen. Solche Prozesse hatten z. B. Popgrößen wie Michael Jackson oder Madonna. Kopiert werden vor allem erfolgsträchtige Stücke. Mit dem Popsong „My Sweet Lord“ wurde mit dem weltberühmten Beatles-Mitglied George Harrisson ein Plagiator entdeckt. Das Originallied war „He‘s so Fine“ von der Gruppe „The Chiffons“. Auch in der Wissenschaft und in der Politik ist das alles nichts Neues, nur aufgewärmte Suppe. Des Plagiats überführt wurden u. a. der mächtige russische Premierminister und früherer Präsident Wladimir Putin, der deutsche Verteidigungsminister Karl Theodor von Guttenberg, der ungarische Staatspräsident Pal Schmitt.

Kann man in diesem Klima, ohne Klarheiten und minimale Verhaltensregeln für alle implizierten Akteure, so weitermachen, als ob nichts geschehen wäre? Manche Leute belächeln noch die zahlreichen eingeführten Antiplagiats-Softs. Auch die Temeswarer West-Uni hat sich kürzlich einen Plagiatsdetektor aus den USA beschafft, der ein Plagiat in einigen Minuten entdeckt. Normal, es werden Stimmen dafür und Stimmen dagegen laut. Tatsache ist, dass man damit jedwelche Doktorarbeit, Diplomarbeit oder wissenschaftliche Studie an der Uni überprüfen kann.

Die Sache scheint sich eher als eine immer wichtigere Angelegenheit der Zivilgesellschaft zu entwickeln. Es wäre zu erwarten, dass vor allem das Unterrichtsministerium ein verstärktes Engagement an den Tag legt, da die gesamte Gesellschaft, aber vor allem das Unterrichtswesen auf allen Stufen direkt und entscheidend davon betroffen ist.