Darf man die Marienburg am Alt mit jener an der Nogat vergleichen?

Anmerkungen zu einigen Irrtümern im Zusammenhang mit dem Burzenland-Jubiläumsjahr 2011

Für das Burzenland, die in den Karpatenbogen eingebettete Senke im südöstlichen Siebenbürgen, deren größte und wichtigste Ortschaft das Munizipium Kronstadt/Brasov ist, ist 2011 bekanntlich ein wichtiges Jubiläumsjahr. Vor 800 Jahren (1211) berief der ungarische König Andreas II., zu Zwecken der Grenzsicherung, den Deutschen Orden ins Burzenland. Der Verleihungsakt in lateinischer Sprache, der zu diesem Zweck ausgestellt wurde, enthält die älteste urkundliche Nennung dieses Landstriches. 

Das große Jubiläum – 800 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung des Burzenlandes – wurde bereits anlässlich eindrucksvoller Festveranstaltungen gefeiert (z. B. beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl/Deutschland im Juni und, Anfang Juli, bei einem interethnischen Kulturevent in der Burzenländer Gemeinde Neustadt/Cristian oder beim Honterusfest in Pfaffenhofen/Deutschland), und weitere Jubiläumsveranstaltungen werden in den kommenden Wochen und Monaten folgen, wobei das Sachsentreffen am 17. September d. J. in Kronstadt – zumindest in der Intention der Organisatoren – ebenfalls einen Höhepunkt des Burzenland-Jubiläumsjahres darstellen wird.

In der Presse wurde wiederholt auf das Burzenland-Jubiläum hingewiesen, Festansprachen, Festreden und Jubiläumsartikel wurden veröffentlicht. Auch bei der Lektüre dieser Texte stößt der interessierte Leser gelegentlich auf Ansichten, Meinungen und Behauptungen im Zusammenhang mit den Anfängen der burzenländerisch-sächsischen Geschichte, die angesichts neuerer Ergebnisse der Geschichtsforschung als überholt einzuschätzen sind. Auf zumindest drei derartige Irrtümer sei im Folgenden hingewiesen.

Irrtum Nr. 1: Der Deutsche Orden leitete die sächsische Besiedlung des Burzenlandes ein

Die deutsche Übersetzung der Urkunde, durch die Andreas II. dem Deutschen Orden im Jahr 1211 das Burzenland zu Lehen gab, kann man z. B. in dem von Ernst Wagner herausgegebenen Buch „Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1191-1975“ (2. Auflage 1981) nachlesen. Eingeleitet wird der Abdruck dieser Quelle mit dem Satz (S. 13): „Obwohl der Deutsche Orden nur 14 Jahre bis 1225 im Burzenland bleibt, errichtet er dort fünf Burgen und leitet die Besiedlung durch Deutsche ein.“ Dies war bis vor Kurzem der allgemein anerkannte Standpunkt der Geschichtswissenschaft. Dementsprechend formulierten wir, als wir uns vor mehr als zwei Jahren im Deutschen Forum Kronstadt zum ersten Mal Gedanken über das Jubiläumsjahr 2011 machten, als Titel des zu feiernden Jubiläums: 800 Jahre seit dem Beginn der sächsischen Besiedlung des Burzenlandes.

Glücklicherweise zogen damals die Historiker Dr. Harald Roth und Dr. Konrad Gündisch die Notbremse. Sie erinnerten an die Ergebnisse archäologischer Forschungen zu Beginn der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, denen zufolge bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Burzenland deutsche Kolonisten nachgewiesen werden können. Gemeint sind die ab 1990 in Marienburg/Feldioara, im Bereich der evangelischen Kirche, durchgeführten Grabungen, über die der Archäologe Adrian Ionitã in dem Beitrag „Das Gräberfeld von Marienburg und die deutsche Siedlung in Siebenbürgen. Ein archäologischer Beitrag zur Geschichte des Burzenlandes im 12. und 13. Jahrhundert“ (Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, Heft 2/1996) berichtete. 

Durch die Freilegung und Untersuchung von 109 Grabstätten wurde festgestellt, „dass das Gräberfeld von Marienburg von einer ersten deutschen Siedlergruppe angelegt worden ist, die sich in Siebenbürgen nach der Mitte des 12. Jahrhunderts niedergelassen hat“. Auch in Tartlau/Prejmer wurden Siedlungsspuren aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gefunden. Das Fazit von Adrian Ionitã lautet: „Das Burzenland wurde schon zur Zeit Geisas II. (1141-1162) von westlichen Kolonisten besiedelt, somit wurde dem Deutschen Orden 1211 ein Gebiet verliehen, in dem bereits seit etwa einem halben Jahrhundert deutsche Siedlungen bestanden.“ Der Hinweis der genannten Historiker traf zu, doch ergab sich nun die Frage: Welchen historisch korrekten Namen geben wir dem Kind, das wir haben wollten, d. h. den Jubiläumsfeierlichkeiten von 2011? 

Vorgeschlagen wurde zunächst: 800 Jahre seit der Berufung des Deutschen Ordens ins Burzenland. Das schien uns zu wenig. Wichtig war uns weniger die 14-jährigen Präsenz der Deutschordensritter im Burzenland als vielmehr die acht Jahrhunderte urkundlich bestätigten Wirkens unserer Vorfahren im Burzenland, der essentielle Beitrag, den die Burzenländer Sachsen in mehr als 800 Jahren zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung des von ihnen besiedelten Landstriches erbracht haben. Dass der Deutsche Orden ins Burzenland berufen wurde und hier wirkte, hat zweifellos historische Bedeutung, selbst wenn wir, wie Dr. Harald Roth in dem Jubiläumsartikel „Heute noch eine spezifische Kulturlandschaft. Vor 800 Jahren ließ sich der Deutsche Orden im Burzenland nieder“ (Deutsches Jahrbuch für Rumänien 2011) feststellt, über „das eigentliche Wirken des Deutschen Ordens in den Jahren nach 1211 im Burzenland (…) sehr wenig, ja nahezu nichts“ wissen, sondern diesbezüglich vor allem auf Mutmaßungen angewiesen sind.

Andrerseits verdient in diesem Zusammenhang auch die Überlegung Erwähnung, was aus dem Burzenland geworden wäre, wären die Deutschordensritter im Jahr 1225 – was vermutlich mit tatkräftiger Unterstützung der Sachsen der Sieben Stühle geschah – von hier nicht vertrieben worden. Eine konzis formulierte Antwort auf diese Frage lieferte Prof. Dr. Paul Philippi im Festvortrag „Kronstädter Neuansätze“, gehalten beim Gemeindefest der Kronstädter Honterusgemeinde im September 2010 (zitiert aus „Lebensräume der Honterusgemeinde“, Nr. 15): „Und doch war die Vertreibung der Ritter quasi die Rettung für die spätere Entwicklung der freien sächsischen Bauern- und Bürgerverfassung. Der adlige Orden hätte eine feudale Ordnung mit untertänigen Bewohnern errichtet.“

Angesichts derartiger Überlegungen waren wir dankbar, als uns Paul Philippi und Gernot Nussbächer auf den Umstand aufmerksam machten, dass die bereits erwähnte Verleihungsurkunde von 1211 die älteste bekannte Erwähnung des Burzenlandes enthält. Folglich wussten wir, unter welchem Titel die Jubiläumsfeierlichkeiten des Jahres 2011 stattfinden sollten: 800 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung des Burzenlandes.

Irrtum Nr. 2: Die heute noch sichtbaren Burgruinen bei Marienburg sind die Überreste der Deutschordensburg

Bereits in den Jahren 1963, 1965 und 1970 waren in Marienburg archäologische Grabungen durchgeführt worden. Über deren Ergebnisse erfuhr der deutschsprachige Leser etwa in Pressebeiträgen von Géza Bakó („Wo stand die Marienburg?“, in: „Karpatenrundschau“, Nr. 50/11.12.1970) und Gernot Nussbächer („Die Marienburger Bauernburg“, in: „Neuer Weg“, 13.08.1971, auch in Nussbächers Buch „Aus Urkunden und Chroniken“, 1. Band, Bukarest 1981). Über die auch heute noch sichtbaren Burgruinen bei Marienburg schrieb damals Nussbächer: „Ausgrabungen des Bukarester Instituts für Archäologie sowie des Kronstädter Kreismuseums haben jedoch in den letzten Jahren den archäologischen Beweis erbracht, dass hier keine Ritterburg des 13. Jahrhunderts gestanden haben kann. Neuerdings hat der Kronstädter Forscher Géza Bakó als den Standort der ehemaligen Ritterburg den sogenannten Kirchhof‘ festgestellt.“ Nach Auswertung zweier Urkunden aus den Jahren 1420 bzw. 1439 schlussfolgert der Verfasser: „Folglich ist die heute noch bestehende Marienburg eine Bauern- und keine Ritterburg.“

Diese Erkenntnis hat sich inzwischen in der Fachliteratur durchgesetzt, wofür wir zwei Beispiele anführen wollen. In dem von Martin Rill 1999 herausgegebenen schönen Burzenland-Bildband lesen wir: „Die Ruine der allgemein als Marienburg bekannten Festung erhebt sich auf einem östlich der Ortschaft befindlichen Hügel. Sie entstand nicht – wie früher angenommen – im 13. Jahrhundert als Burg des Ritterordens, sondern erst im 15. infolge der Türkeneinfälle.“ Und Hermann Fabini schreibt in seinem „Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen“ (1. Band, 3. Auflage, 2002, Seite 449): „Es hat im Laufe der Geschichte zwei Burgen gegeben: die Kirchenburg, die zwischen 1211 und 1224 von den deutschen Rittern als Erdburg errichtet wurde, und die Bauernburg, die heute noch als Ruine erhalten ist.“ Befremdlich ist darum, dass die heute noch sichtbaren Marienburg-Ruinen weiterhin mit dem Deutschen Orden in Verbindung gebracht werden.

Als Beleg für diese Feststellung sei z. B. der erste Satz des Artikels „Kläranlage unterhalb der Marienburg. Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen und elementare Regeln des Denkmalschutzes werden missachtet“ von Waltraut Eberle („Siebenbürgische Zeitung“, 20.05.2011, S. 2) wie folgt zitiert: „Siebenbürgen feiert in diesem Jahr 800 Jahre seit der Ansiedlung des Deutschen Ordens im Burzenland (1211-1225), dessen erste Niederlassung bekanntlich die auf einem Hügel in unmittelbarer Nachbarschaft zur gleichnamigen Ortschaft Marienburg gelegene, seit Jahrhunderten als Ruine erhaltene Burg bei Kronstadt ist.“ 

Irreführend ist meiner Meinung nach und aus dem gleichen Grund auch der Bezug, den Dr. Konrad Gündisch in seiner beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl gehaltenen Festrede zwischen der Marienburg an der Nogat (im früheren Preußen) und der Marienburg am Alt (Siebenbürgen) herstellt – dem man übrigens unschwer anmerkt, dass er dem Einfluss der Lektüre von Waltraut Eberles Artikel zu verdanken ist (hier zitiert aus der „Siebenbürgischen Zeitung“, 15.07.2011): „Würde man hätten sich die Ordensritter im Burzenland so entfalten können wie später im Baltikum die Marienburg am Alt so behandeln wie jene an der Nogat, die aufwendig restauriert wurde und Hunderttausende Touristen anzieht, während in Siebenbürgen eine schäbige Kläranlage direkt unter der Burg gebaut wird, den wunderbaren Blick auf das Burzenland trübend und die würzige Luft verpestend?“ Sicherlich, über die entstehende Kläranlage am Fuße des Burghügels bin ich selbst nicht glücklich und sehe darin ebenfalls eine Verletzung der Regeln des Denkmalschutzes, doch ist es m. E. historisch falsch, hier den Deutschen Orden mit ins Spiel zu bringen.

Irrtum Nr. 3: Die rumänische Geschichtsschreibung ignoriert die Anwesenheit des Deutschen Ordens im Burzenland

Am 3. Juli d. J. fand in Pfaffenhofen (Deutschland) das Honterusfest statt, das unsere ausgewanderten Kronstädter Landsleute im zweijährigen Turnus veranstalten. Die Festansprache (die sogenannte „Quellenrede“) hielt der bekannte Schriftsteller Hans Bergel. Der Text wurde (mit dem Vermerk „Das gesprochene Wort gilt“; Redaktionsschluss war vermutlich vor dem Fest) in der „Neuen Kronstädter Zeitung“ (Folge 2/06.07.2011) veröffentlicht. Daraus sei folgende Passage zitiert: „Das Burzenland ist – so wie unsere Generationen es in seiner urbanen Grundanlage kennen, immer noch das unverkennbare Ergebnis von Planung und Arbeit des Deutschritterordens … Seltsam – erlauben Sie die Abschweifung – dass der Orden als erster und bestimmender Gestalter dieser Landschaft in der Geschichtsschreibung der heutigen Landesherren hartnäckig verschwiegen wird. Mit moderner europäischer Geisteshaltung des 21. Jahrhunderts hat das – Pardon – wenig zu tun. Doch das ist ein anderes Thema.“

Was wollen diese Zeilen suggerieren? Dass die rumänische Geschichtsschreibung die Präsenz des Deutschen Ordens im Burzenland schlichtweg ignoriert? Dass die rumänischen Historiker es bezüglich der Deutschordensritter mit Berührungsängsten zu tun haben? Wenn das gemeint ist, so ist es schlichtweg falsch. Es gibt mehrere Standardwerke der rumänischen Historiografie, in denen die Burzenland-Episode des Deutschen Ordens Erwähnung findet, so in der mehr als 1000 Seiten starken „Istoria României în date“ (2003). Im dritten Band der in den Jahren 2001-2008 unter der Ägide der Rumänischen Akademie veröffentlichten neunbändigen „Istoria românilor“ trägt ein etwa 15 Seiten starker Abschnitt den Titel „Asezarea secuilor si colonizarea sasilor. Cavalerii teutoni în Tara Bârsei“. Im Jahr 2006 erschien im Militärverlag (Editura Militarã) das Buch „Organizarea defensivã a Transilvaniei în evul mediu (sec. X-XIV)“, dessen deutsche Fassung in der Übersetzung von Winfried Ziegler der Arbeitskreis für Siebenbürgi-sche Landeskunde Heidelberg (AKSL) ein Jahr später herausbrachte. Die Rolle des Deutschen Ordens bei der Verteidigung der südöstlichen Grenze Siebenbürgens wird hier eingehend beleuchtet.

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass bei der AKSL-Tagung „800 Jahre Deutscher Orden im Burzenland“ (15.-18. September d. J., Kronstadt) nahezu die Hälfte der zahlreichen Referenten rumänische Historiker sein werden. Falls aber der Quellenredner mit dem zitierten Satz darauf hinweisen wollte, dass die rumänische Geschichtsschreibung nicht geneigt ist, das zivilisatorische Wirken der Deutschordensritter im Burzenland entsprechend zu würdigen, so sei darauf hingewiesen, dass z. B. auch unsere sächsischen Historiker damit offenbar Schwierigkeiten haben. Dazu sei ein weiteres Mal Harald Roths bereits zitierter Satz angeführt: „Über das eigentliche Wirken des Deutschen Ordens in den Jahren nach 1211 im Burzenland wissen wir sehr wenig, ja nahezu nichts.“ Im angeführten Zusammenhang der rumänischen Historiografie europäische Geisteshaltung abzusprechen, ist m. E. – vorsichtig formuliert – nicht in Ordnung. Zum Schluss sei vorsichts-halber noch darauf hingewiesen, dass der Verfasser dieser Zeilen selbst nicht Historiker, sondern bloß heimatkundlich interessierter Journalist (im Ruhestand) ist. Er lässt sich hinsichtlich seiner hier veröffentlichten Ausführungen von jenen, die mehr über das behandelte Thema wissen, gern eines Besseren belehren.