Das 20. Jahrhundert in Comics widergespiegelt

Das erste rumänische Comic-Festival fand in Kronstadt statt

Alexandra Gold bewies, dass selbst Auschwitz zum sensiblen Thema einer konzentrierten Bildgeschichte werden kann.

Nachdem im Vorjahr in Kronstadt/Brașov ein Comic-Salon zum Thema 100 Jahre Rumänien veranstaltet worden war, gingen die Veranstalter (Kreisrat Kronstadt, Bürgermeisteramt Kronstadt, Verwaltung des Landesfonds für Kultur) einen Schritt weiter. Zwischen dem 3. und 6. Oktober wurde an mehreren Standorten das erste Comic-Festival zu historischen Sujets in Rumänien abgehalten. Thema des Festivals war die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Es war ein sehr umfangreiches Thema, denn es beschränkte sich nicht ausschließlich auf Politik, Kriege und Revolutionen, sondern schloss auch Kultur, Wissenschaft, Sport ein. Die Veranstalter hatten hundert Stichtage vorgeschlagen, beginnend mit der Pariser Friedenskonferenz 1919 und endend mit dem 23. Juni 2016 – der Tag, an dem nach einem Referendum in Großbritannien das Ausscheiden aus der EU („Brexit“) beschlossen wurde. Sie wollten, nach eigenen Angaben, dabei auch auf die gegenwärtigen Spannungen in der EU aufmerksam machen. Über die Geschichte Europas ab 1919 zu reflektieren, sei äußerst notwendig „im Kontext der gegenwärtigen Krise der Europäischen Union, die sich mit einem verstärkten Populismus und mit Tendenzen zur Missachtung demokratischer Prinzipien auseinandersetzen muss.“

Auch Buchsalon mit Comics

Die ausgewählten Arbeiten wurden am Fuße der Zinne im Olimpia-Saal ausgestellt. Außerdem gab es noch einen Buch-Salon mit Comics, wo auch bekannte Comic-Autoren mit dem Publikum ins Gespräch kommen konnten; eine Kinemathek mit Zeichentrickfilmen zu historischen Themen; eine Rückschau aufs letzte Erscheinungsjahr (1989) der Kinderzeitschrift „Cutezătorii“, in der für die als „Pioniere“ benannten Schülerorganisationen kommunistische Propaganda betrieben wurde. Über diese Zeitschrift, die auch Comics veröffentlichte, war bei der Debatte „Pif versus Cutezătorii“ erneut die Rede. Anlass bot das 50-Jahre-Jubiläum der bekannten französischen Kinderzeitschrift, die zeitweilig auch in Rumänien gekauft werden konnte und die sich hierzulande einer großen Beliebtheit erfreute. Für Kinder organisierte das Comic-Festival Workshops und eine Sonderausstellung von Comics, die den Titel „Geschichten aus 1989“ trug und die von Kindern verfasst wurde. Im Geschichtsmuseum wurde einer der Altmeister des rumänischen Comics, Puiu Manu, durch eine Ausstellung einiger seiner Bildgeschichten gewürdigt. Es handelte sich, laut Nicolae Pepene, Manager des Geschichtsmuseums, um die landesweit erste museale Comic-Ausstellung.

Ausstellung mit politischer Karikatur

Das Festival hatte auch internationalen Charakter. Ebenfalls im alten Rathaus wurde eine internationale Anthologie der politischen Karikatur gezeigt („The Great Challenge“ ). Am Rudolfsring/B-dul Eroilor, entlang des Zentralparks Titulescu, ist eine Ausstellung mit Comics zu den revolutionären Ereignissen im Dezember 1989 zu sehen. Neben rumänischen Autoren sind auch Zeichner aus Frankreich und Belgien vertreten, zwei Länder, in denen die Comic-Tradition besonders stark ist.
Auf dem Marktplatz, vor dem Eingang zum Geschichtsmuseum, können in einer Freiluftausstellung weitere Ausschnitte der fünf preisgekrönten Comics gesehen werden wie auch Beispiele von Cutezătorii-Comics aus dem Jahr 1989.

Fünf Festivalpreisträger

Die fünf Festivalpreisträger sind: Cristiana Călin, Daniel Danil, Vlad Forsea, Alexandra Goldillo und Ionuț Popescu. Für ihre Bildgeschichten haben sie sich ganz verschiedene Themen gewählt. Cristiana Călin illustriert die Geburtsstunde der Atomära durch Otto Hahn; Daniel Danil hat sich fürs Thema „Rumäniens Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen Moskau 1980“ die von dem Ringer Ștefan Rusu gewonnene Goldmedaille ausgewählt; Ionuț Popescu schildert den Start von „Sputnik“ durch die Sowjetunion im Jahre 1957 – der erste Satellit im Weltall, mit der legendären Hündin Laika an Bord. Zwei der fünf Preisträger stammen aus Kronstadt. Alexandra Goldillo (Künstlername Alexandra Gold) hat sich für ein Thema entschieden, das mit Humor oder Unterhaltung unvereinbar ist: das Nazi-Konzentrationslager in Auschwitz. Sie habe das Thema allegorisch angegangen und dabei auch einige Hinweise auf die „Herrenwelt“ der Nazis eingebaut in der Hoffnung, dass die Betrachter von Bild und Text ihre Botschaft nicht nur verstehen, sondern auch darüber nachdenken. Vlad Forsea, Absolvent des Honteruslyzeums und an der Bukarester „Ion Mincu“-Fakultät für Architektur, entschied sich schnell für den Bau der Berliner Mauer als Thema, weil ihm Berlin auf Anhieb bereits beim ersten Besuch besonders gut gefallen habe. Seine Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit dazu eingefügtem Rot als Symbol des Kommunismus geben jene dramatischen Ereignisse mit eingebauten aussagekräftigen Zitaten prominenter Politiker (J.F. Kennedy, N. Chruschtschow) jener Zeit wieder, ohne aber, wie Forsea betont, die Sachen zu vereinfachen, indem der Westen verherrlicht wird.

Das Kronstädter Festival hat unterstrichen, dass auch hierzulande Comics als Bildgeschichten („die neunte Kunst“) sowohl unter Kindern und Jugendlichen als auch bei den Erwachsenen immer beliebter werden und dass geschichtliche Ereignisse und Zusammenhänge für ein breites Publikum oft einfacher und einprägsamer in Bildstrecken wiedergeben werden können als das in Lehrbüchern oder wissenschaftlichen Abhandlungen der Fall ist.