„Das Potential ist durchaus sehr stark vorhanden“

Gespräch mit Mag. Gerd Bommer, Wirtschaftsdelegierter der österreichischen Wirtschaftskammer

Nachdem Mag. Gerd Bommer an verschiedenen Orten tätig war – darunter Helsinki, New York oder Doha/Katar als Wirtschaftsdelegierter, hat er diese Funktion seit dem Jahr 2016 für Rumänien sowie die Republik Moldau inne. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen Exporte, Marktunterstützung und Projektgeschäfte – das heißt: Investitionsberatung, Gründung von Niederlassungen, Standortanalyse, Kontakte zu spezialisierten Dienstleistern und vieles mehr. Er ist außerdem im Außenwirtschaftsbüro Klausenburg/Cluj-Napoca tätig. Mit Mag. Gerd Bommer sprach Kai Michael Lindner.

Sie sind jetzt schon seit August 2016  im AußenwirtschaftsCenter Bukarest. Wie würden Sie Ihre Zeit in Rumänien mittlerweile beurteilen?
Ich habe in meiner Zeit in Rumänien sehr viel politische Dynamik mitbekommen, mit fünf Premierministern, inklusive dem Interimspremierminister. Und jetzt ist es dann schon der sechste. Von dem her ist einfach viel zu viel Wechsel drinnen, um Kontinuität zu gewährleisten. Es fehlt ein bisschen die Stabilität dahinter, die Unternehmen auch brauchen.

Gibt es Tendenzen in Rumänien, die man hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung im Auge behalten sollte?
Was in den letzten Jahren meiner Meinung nach sehr negativ war, ist, dass sich der Migrationstrend ein wenig geändert hat. Im Unterschied zu früher ist er jetzt von den Migrationsgruppen her sehr gefährlich, denn die zwei größten Gruppen sind die 25- bis 35-jährigen Akademiker und die 19-Jährigen und jünger. Das heißt, es ist die Zukunft des Landes, die hohe Bildung des Landes, die geht, also das Potential des Landes. Auch wenn die Zahlen deutlich niedriger sind, sind sie noch immer gleich schmerzhaft.

Sehen Sie hier kein Potential, dass diese Leute gut ausgebildet wieder zurückkommen?
Überhaupt nicht, nein, da gehe ich überhaupt nicht konform. Ich habe hier Diskussionen gehabt mit Politikern, die mir gesagt haben, sie sind total stolz, dass von den deutschen Schulen so viele Schüler nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz studieren gehen. Das ist eine klassische Fehleinschätzung. In Österreich und in Deutschland beginnen Firmen schon im ersten Studienabschnitt, die Studenten als Mitarbeiter zu gewinnen. Zum Job kommt die Liebe. Wenn Sie einen Partner fürs Leben finden, dann kommt der nicht unbedingt mit hierher, sondern Sie bleiben dort bei ihm. Daher glaube ich nicht, dass die Rate der Rückkehrer so hoch ist, wie man es sich erhofft, es werden wohl weniger als 15 Prozent sein.

Ergibt sich daraus der Mangel an Facharbeitern, welcher für viele Unternehmen hier in Rumänien ein Problem darstellt?
Bei den Facharbeitern ist es am schwierigsten, jemanden zu finden, aber das ist es inzwischen in jedem Bereich und auch nicht nur in Rumänien. Aber es ist ja so, dass die Regierung die duale Ausbildung abgeschafft hat, was später dann wieder revidiert wurde, als man darauf gekommen ist, dass das nicht die beste Entscheidung war. Bei unseren Projekten, die wir aufsetzen, haben wir grundsätzlich ein bisschen ein Problem mit den veralteten Curricula der Programme, die zu theorielastig sind und zu wenig Praxis in den Betrieben beinhalten. Man kann einen Schweißer einfach nicht an einem Schreibtisch ausbilden.

Sie fördern derzeit ja in Bukarest und in Klausenburg duale Ausbildungsstellen. Trifft Ihr positives Zwischenfazit von 2016 noch zu?
Es ist sehr positiv. Es gibt einen relativ realistischen Zugang der österreichischen Unternehmen, die sagen, es werden nicht alle Anfänger das Programm beenden. Die Ausfallquote ist zum Glück sehr, sehr gering. Zuletzt haben wir zwei neue Programme aufgesetzt, vor einem Jahr eines mit Automechanikern in Bukarest und vor zwei Monaten eines mit Schweißern in Ploie{ti. Letzteres ist logischerweise rund um die Ölindustrie herum aufgesetzt, wo es recht viele österreichische Niederlassungen gibt, die ja für die OMV Petrom und auch für andere Unternehmen arbeiten.

Sie fördern die duale Ausbildung in Kooperation mit österreichischen Unternehmen. Können da weitere Unternehmen sich einfach anschließen?
Begonnen haben wir 2017 mit einer Umfrage zu dem Thema „Lehrlingsausbildung für österreichische Unternehmen in Rumänien“. In dieser Umfrage ist ein extrem hohes Interesse herausgekommen, so dass wir sie sogar abgebrochen und gesagt haben, das ist uns ein bisschen zu viel. Und auf Basis der Punkte, die dort herausgekommen sind, haben wir entschieden, welche Programme wir machen. Nachdem ich aber eigentlich keine Ressourcen und auch kein Budget dafür habe, ist das Aufsetzen von diesen Programmen schwierig und wir setzen derzeit eigentlich maximal ein Programm im Jahr auf.

Abgesehen von der Emigration, wie kommt es zu dem Mangel an Arbeitskräften in Rumänien?
Es gibt zwar eine sehr niedrige Arbeitslosenrate in Rumänien, das Problem Rumäniens ist aber die niedrige Beschäftigungsquote, es sind also zu wenige Leute in den Arbeitsprozess integriert. Wir sprechen hier von einer Beschäftigungsquote von etwa 64 Prozent, in Österreich liegt diese bei 74 Prozent. Und selbst die Regierung hat inzwischen schon – wenn auch nicht öffentlich – teilweise gesagt, dass eineinhalb bis zwei Millionen Menschen das Potential sind, das noch in den Arbeitsmarkt integriert werden könnte. Die Mobilisierung der Arbeitskraft ist daher die nächste Aufgabe des Staates, diese kann nicht von einem Unternehmen gelöst werden. Das zweite Problem ist die Allokation. Wenn Sie aus der rumänischen Moldau wegen des Jobs migrieren, dann macht es keinen Sinn, nach Timi{oara zu gehen für ein wahrscheinlich doppelt so hohes, aber trotzdem noch rumänisches Gehalt. Da können Sie gleich weitergehen nach Deutschland, Österreich usw. Dort haben Sie dann ein besseres Verhältnis zwischen Lohn und Ausgaben.

Hat man es als Österreicher leichter, geschäftliche Beziehungen hierher zu knüpfen, da es geschichtliche und kulturelle Gemeinsamkeiten gibt, insbesondere zu Siebenbürgen und Banat?
Grundsätzlich, wenn schon zu Maria Theresias Zeiten Programme im Banat, in Siebenbürgen oder innerhalb des Karpatenbogens durchgeführt wurden, hat das natürlich historisch viel Reminiszenz, wo die Leute auch positiv über Österreich denken. Ich denke, unser positives Ansehen hat vielfach auch damit zu tun, dass wir als Österreich schon immer sehr viele Nachbarn hatten und im Land relativ viel Migration haben, was zu viel kultureller Kompetenz führt. Und was es uns als Österreicher leichter macht: wir sind flexibler. Wir sind vom Zugang her nicht so, dass wir sagen, wir müssen den österreichischen Zug hier eins zu eins umsetzen. Man muss sich an den Markt anpassen und dann ist man auch dementsprechend erfolgreicher.

Bieten Städte und lokale Behörden Unterstützung an für Unternehmen, damit es diese leichter haben?
Ja, durchaus. Das sieht man am stärksten in Siebenbürgen ausgeprägt. Dort schaffen die Kreise oder Städte immer wieder gewisse Anreize oder Möglichkeiten, um es den Unternehmen leichter zu machen, sich dort anzusiedeln. Und im Grunde müssen Sie ja einem Unternehmen nicht immer Geld oder dergleichen geben, sondern Sie müssen nur ein wirtschaftsfreundliches Umfeld schaffen, also klare Richtlinien, gute Infrastruktur und ähnliches. Es geht nicht so sehr um finanzielle Förderungen.

Wo Sie gerade die Infrastruktur angesprochen haben. Da wird ja hier in Rumänien oft die schlechte Qualität der Straßen oder der Eisenbahn bemängelt. Schlummert da nicht Potential?
Das Potential ist durchaus sehr stark vorhanden. Aber da hat es auch Aufträge gegeben, an denen nie jemand teilgenommen hat und wo die Ausschreibungsunterlagen geändert werden mussten. Vieles sind öffentlich-private Partnerschaften, die auf diese Art nicht so gut durchführbar sind, wie wenn man das ganze EU-finanziert. Und die EU-Finanzierungen im Infrastrukturbereich sind sehr hoch. Da wäre ein etwas mehr geradliniger Zugang und ein strafferes Beschaffungs- und Vergabewesen einfach wünschenswert. Das würde das Ganze beschleunigen.

Wir haben ja jetzt schon oft über Potential geredet. Wo gibt es hier das größte Potential?
Das allergrößte Potential ist grundlegend immer Infrastruktur, weil diese ja nicht nur sich selbst als Potential hat, sondern auch das, was es an wirtschaftlicher Entwicklung rund um die Infrastruktur herum auslöst. Wenn Sie über einen zweiten Sektor sprechen, der wirklich sozusagen vor sich hin schlummert und enormstes Potential hat hier in Rumänien, dann ist es der Tourismus. Sie haben in Rumänien alles, von Skigebieten, über das Meer, hin zu den historischen Bauten wie die Holzkirchen und Kirchenfestungen und der wunderschönen Natur.

Meinen Sie nicht, dass zu viele Touristen das eventuell ruinieren würden?
Wir sprechen hier von einem Tourismus, der so moderat ausgebaut ist, dass es ein enormes Potential zu heben gibt, ohne dass man eine Übervölkerung mit Touristen in den Karpaten oder ähnliches schaffen würde. Das würde eben, wieder, Hand in Hand gehen mit der Infrastruktur, die man braucht. Da gibt es ein enormes Potential zu heben. Und ich glaube, man muss auch nicht Angst haben vor so etwas, denn so etwas passiert nicht über Nacht. Zudem würde die EU wahrscheinlich sogar 90 Prozent der Projekte zahlen. Es ist jetzt vielleicht auch nicht das beste Beispiel, aber wenn Sie sich den Meerestourismus in Bulgarien anschauen, dann hat der Rumänien bei Weitem abgehängt. Das hat natürlich alles Schattenseiten, das ist schon ganz klar. Aber hier kann man gesetzliche oder regulatorische Rahmenbedingungen schaffen, so dass sich das Ganze gesund entwickelt.

Es geht ein bisschen der Spuk herum, dass die Weltwirtschaft ins Straucheln gerät. Ist es da nicht für österreichische Unternehmen besser, daheim ein sicheres Päckchen zu schnüren, anstatt sich noch woanders hineinzuwagen?
Die österreichischen Unternehmen haben aber die Expansion in Österreich vielfach schon abgeschlossen, es ist also nicht mehr so, dass sie sich zurückziehen müssten auf den österreichischen Markt, um dort Arbeitsplätze aufzubauen. Wir würden hier nicht Kapazitäten abbauen. Ganz im Gegenteil, derzeit sind die österreichischen Investoren einige der ganz wenigen, die wirklich massiv in Rumänien investieren. Es gab zum Beispiel mehrere Übernahmen von verschiedenen Werken im Bereich Baumaterialien. Die Österreicher haben hier einen ein bisschen anderen Zugang und auch eine andere Strategie als viele andere Länder. Aber wir glauben wirklich an den heimischen Markt in Rumänien, das ist sicher eine große Unterscheidung.

Österreichische Unternehmen sind ja auch in der Holzindustrie in Rumänien bei Weitem führend. Es gab Demonstrationen gegen illegale Abholzungen. Ist das ein Thema, mit dem sich auch die entsprechenden Betriebe beschäftigen sollten?
Man sollte sich vielleicht genauer beschäftigen damit, woher die Probleme mit der illegalen Abholzung wirklich rühren und wie es funktioniert. Wir hatten zum Beispiel eine Konferenz im Oktober zum Thema „IT und Innovation“, weil es eben die Möglichkeit gibt, stärker zu überprüfen woher das Holz kommt, wie es verarbeitet wird und auch, ob das legales oder illegales Holz ist. Wir hatten bei der Konferenz viele verschiedene Vertreter dabei: Den Generaldirektor von RomSilva, NGOs wie der WWF, der auch vorgetragen hat, Universitäten, Fachverbände und einige Unternehmen. Wer gefehlt hat in der Diskussion waren die Politiker. Bei den Demonstrationen sollte eigentlich einmal gefordert werden, dass sich die Politik stärker einbringt in dieses Thema.

Wie schaut bei den österreichischen Unternehmen der Wunschzettel an eine neue Regierung für Weihnachten aus?
Auf der Wunschliste steht natürlich sehr stark die Korrektur dessen, was in den letzten zwei Jahren an gewissen Notverordnungen erlassen wurde. Mit diesen wurden Marktbedingungen geschaffen, die sich überhaupt nicht am Markt orientiert haben, sondern im Gegenteil teilweise nicht durchsetzbar sind. Unternehmen können mit den ganzen Regulatorien leben, das ist überhaupt nicht das Problem. Aber sie müssen halt greifbar sein, transparent geschehen und vorhersehbar sein. Nicht so, wie man es da bei den Notverordnungen hatte, wo diese um acht Uhr abends beschlossen wurden und am nächsten Tag ab Mitternacht in Kraft waren. Von dem her wird eine bessere Gesetzgebung gewünscht, aus welcher transparenter hervorgeht, was man mit dem Gesetz bewirken will. Und dann die Erarbeitung eines hochqualitativen Gesetzes ermöglichen, das vielleicht dadurch mehr Zeit in Anspruch nimmt, den Markt dann aber für viele Jahre regulieren kann.

Herr Bommer, wir danken Ihnen sehr für das Gespräch!